Schäfer, Frank Ludwig, Juristische Germanistik. Eine Geschichte der Wissenschaft vom einheimischen Privatrecht (= Juristische Abhandlungen 51). Klostermann, Frankfurt am Main 2008. XXIII, 861 S. Besprochen von Adolf Laufs.

 

Vor vierzig Jahren erwarb der Rezensent als Schüler Hans Thiemes die venia legendi für Deutsches Privatrecht, um diese Disziplin als junger Professor in Heidelberg während einiger Semester auch zu lehren. Als Stütze dienten ihm unter anderem die „Grundzüge des Deutschen Privatrechts“ von Hans Planitz in der dritten Auflage des Jahres 1949. „Für Planitz waren die Grundsätze des germanischen Rechts unzerstörbar; er wollte daher ihre Zeichen noch im geltenden Recht erkennen“ (S. 656). Indessen erschien dem Rechtslehrer der frühen siebziger Jahre ein Fach ohne überzeugendes eigenständiges, nicht-pandektistisches System (vgl. S. 517-522) und ohne aktuelle Handbücher immer zweifelhafter. Die Verkürzungen des rechtshistorischen Unterrichts auf der akademischen Stundentafel zugunsten geltender, teils neuer Rechtsstoffe taten ein übriges: Er gab das seit der Eckhardt’schen Studienreform des Jahres 1935 niedergehende Deutsche Privatrecht auf, allerdings nicht leichten Herzens. Die letzten Gewissenszweifel nach diesem Entschluss hat die von Joachim Rückert geförderte Frankfurter Habilitationsschrift endlich zerstreut.

 

Das gewichtige Buch handelt von Germanistik und Romanistik, von Historik und Dogmatik, von Theorie und Praxis. Diese Spannungsbögen erforderten das Erschließen einer Fülle von Rechtsquellen und einer Vielzahl juristischer Autoren. Differenzierende Aufschlüsse verlangen Raum. „Es ist die Aufgabe der Wissenschaftsgeschichte“, so schließt die inhaltsreiche Monographie (S. 704), „die alten Bilder von Gierke bis Wieacker in ihrem zeitgebundenen Kontext zu verstehen und ihnen eine Bilanz gegenüberzustellen, welche den alten Streit zwischen den Fächern durch die Analyse der einzelnen Sachprobleme und Faktoren ersetzt. So wie sich die deutsche Sprache bereits in ihrer Grammatik aus dem lateinischen Vorbild ableitet, so vielfältig sind die Anknüpfungspunkte der Germanistik an die Wissenschaft des römischen Rechts“. Der Autor hat diesen Anspruch mit seinem gelehrten Werk eingelöst.

 

Scharfsinn und Urteilskraft des Verfassers bewähren sich auch beim wohl heikelsten Thema: dem der Rechtsgermanisten im Nationalsozialismus, der „Verbindungslinie zwischen der Germanistik vor und nach 1933“. Im 19. Jahrhundert bereitete die Wissenschaft „wichtige Elemente der nationalsozialistischen Germanistik“ vor. Die Verbindungen blieben „allerdings weit hinter einem gleichmäßigen Fortgang im Sinn einer echten Kontinuität vom Deutschen Bund zum Nationalsozialismus zurück“. Und: „Entscheidende Bausteine der Germanistik des 19. Jahrhunderts existierten im Nationalsozialismus nur in ideologisch verzerrten Formen fort“ (S. 670f.). In der Tat haben der Diktator und seine Gefolgsleute, unter ihnen auch Rechtsgermanisten (die das Buch beim Namen nennt), überlieferte Kulturgüter vielfach verbogen und missbraucht, eine Methode, die sie geradezu kennzeichnete.

 

Das historisch aufgebaute Werk führt weit zurück hinter die das moderne Verständnis prägenden Entwürfe Otto von Gierkes (1903), Ernst Landsbergs (1898/1910) und Franz Wieackers (1967) mit ihren „assoziativen Axiomen wie national, liberal, demokratisch oder lebensnah“. Der Autor zeigt, dass die Germanistik als Wissenschaftsdisziplin nicht erst mit Hermann Conrings berühmter Schrift von 1643 begann, sondern viel früher schon: begünstigt durch die Kirchenreformation, die sich weiter ausbildende und schriftlich ausbreitende deutsche Sprache, den später oft unterschätzten Praxis- und Prozessbezug der Wissenschaft, politische Ereignisse, den Humanismus, die Partikularrechts- und Differentienliteratur. So lasen die Dozenten an den beiden protestantischen Akademien zu Straßburg und Altdorf in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts jedenfalls teilweise in deutscher Sprache. Die Professoren und Praktiker des sächsischen Rechtskreises systematisierten in jener Zeit das einheimische Recht, „drangen allerdings noch nicht zu einer selbständigen Wissenschaftsdisziplin vor, weil sie das sächsische Recht stets nur im Vergleich mit dem gemeinen römischen Recht vortrugen“ (S. 680).

 

Begründer der Germanistik als einer Wissenschaftsdisziplin war Christian Thomasius mit seinen Kollegien zu den „Institutiones iuris Germanici“ und zur „Historia iuris Germanici“. Schäfer schreibt in diesem bekannten Zusammenhang vom „Deutschen Privatrecht“. Er hätte das Attribut „Deutsch“ also durchaus auch im Untertitel seines Buches verwenden können. Die frühen Germanisten sahen sich wie alle späteren konfrontiert mit der Frage nach Inhalt und Normativität, Anwendbarkeit und Revisibilität des Deutschen Privatrechts, dem ja kein Reichsgesetzbuch zugrunde lag. Justus Friedrich Runde etwa, der mit seinen „Grundsätzen des allgemeinen deutschen Privatrechts“ 1791 den „Gleichklang von deutschem Recht und deutscher Sprache“ herstellte und den Weg ins 19. Jahrhundert wies, sah in der Natur der Sache Rechtsquelle und „Methodenfigur“. Nach den Manifesten der Historischen Rechtsschule wandten sich die Lehrer des Deutschen Privatrechts zur Legitimation ihres Faches wieder der Rechtsgeschichte zu, wobei das Mittelalter nicht mehr positive Rechtssätze, sondern den Ausgang zu einer Entwicklungshistorie hin zum geltenden Recht bieten sollte. Carl Friedrich von Gerbers der Pandektistik verpflichtete Schrift „Das wissenschaftliche Princip des gemeinen deutschen Privatrechts“ verwarf 1846 nicht nur den positivrechtlichen Charakter des Stoffes, sondern forderte auch die konsequente Scheidung der Dogmatik von der Rechtsgeschichte.

 

Der Autor arbeitet neben den gemeinsamen und verbindenden die unterschiedlichen geistigen Strömungen innerhalb der Germanisten heraus mit den zugrundeliegenden internen und externen Wirkkräften. Er zeigt, wie die Germanisten im 18. und 19. Jahrhundert sich von der romantischen Idee entfernten, es gebe ein genuin einheimisches positives Deutsches Privatrecht. Die Partikularrechte, so erkannten sie, unterschieden sich zu sehr, um dem Deutschen Privatrecht mehr als die Rolle eines Lückenfüllers einzuräumen. Die Tendenz hin zur reinen Wissenschaft verstärkte sich und führte zunehmend weg von der Dogmatik des geltenden Rechts. Dies trug bei zur Aussöhnung zwischen Germanisten und Romanisten. „Im Verlauf des 19. Jahrhunderts näherten sich … Pandektenwissenschaft, Germanistik, Gesetzgebung und Rechtsprechung in der materiellrechtlichen und prozessualen Behandlung der verschiedenen Rechtsbildungsfaktoren immer stärker an“ (S. 552). Von einer massiven Benachteiligung des einheimischen Rechts war nicht mehr die Rede (vgl. auch S. 222).

 

Was diese knappen Hinweise nur lückenhaft anzudeuten vermögen, breitet das Buch neben vielem anderen in bunter, auch die Widersprüche aufzeigender Fülle vor dem Leser aus, der über Rezensionen und Vorlesungsverzeichnisse auch hinter die akademischen Kulissen blicken und über die Zusammenhänge mit politischen Ereignissen ein umfassendes Bild gewinnen kann: Wissenschaftsgeschichte im besten Sinne. Als instruktiv erweisen sich die umfänglichen Verzeichnisse der Vorlesungen, der Rechtsquellen und ihrer Materialien, der nach Jahrhunderten geordneten Literatur, ferner die Register der Stichworte, der Orte, der Personen und der Rechtsquellen (S. 705-861).

 

Was bleibt am Ende nach den so tiefschürfenden wie ernüchternden Analysen? Das Deutsche Privatrecht erweist sich als ein anspruchsvolles und lehrreiches Kapitel der juristischen Wissenschaftsgeschichte. Trotz der Rechtserfahrungen, die dieses Kapitel vermittelt, eignet sich das Deutsche Privatrecht neben der Deutschen und Römischen Rechtsgeschichte und der Privatrechtsgeschichte der Neuzeit als selbständiges, akademisch zu lehrendes historisches Rechtsfach kaum noch. Das darf nicht heißen, und das meint auch der Autor keineswegs, auf den Formen- und Einfallsreichtum des mittelalterlichen einheimischen Partikularrechts und die ihm zugrundeliegenden Ideen im Unterricht zu verzichten. Sie sollen vielmehr in den größeren, auch europäischen Zusammenhängen ihren Platz bei Forschern und Lehrern finden. Hans Thieme rechnete in seinem schönen Artikel „Deutsches Privatrecht“ (HRG I, 1971, Sp. 702-710) „die Entwicklung eines eigenen Systems des D. P. zu den vornehmsten Aufgaben der Germanistik“ – doch dieser Wunsch musste und muss unerfüllt bleiben.

 

Heidelberg                                                                                                              Adolf Laufs