Saage-Maaß, Miriam, Die Göttinger Sieben - demokratische Vorkämpfer oder nationale Helden? Zum Verhältnis von Geschichtsschreibung und Erinnerungskultur in der Rezeption des hannoverschen Verfassungskonflikts. V & R Unipress, Göttingen 2007. 240 S., 5 Abb. Besprochen von Adolf Laufs.
Die Protestation
der sieben Göttinger Professoren Wilhelm Eduard Albrecht, Friedrich Christoph
Dahlmann, Jacob und Wilhelm Grimm, Heinrich Ewald, Georg Gottfried Gervinus und
Wilhelm Weber nach der einseitigen Aufhebung der Verfassung des Königreichs
Hannover durch den neuen Landesfürsten
Wissenschaftliche Geschichtsschreibung und gesellschaftliche Erinnerungskultur in ihrem Zusammenhang erzeugten die unterschiedlichsten Interpretationen, vielfältiger als die plakative Alternative des Buchtitels den Leser auf den ersten Blick annehmen lässt. Mit einem eigenen Entwurf hält sich die kritische Autorin freilich zurück. Zur gewiss komplizierten Rechtslage meint sie, „dass es aus heutiger Sicht unergiebig und letztendlich nicht möglich ist, den Fall eindeutig zu entscheiden, weshalb auch an dieser Stelle von einer abschließenden rechtlichen Bewertung abgesehen werden soll“ (S. 23 Anm. 48). Eine Deutung und die historische Gewichtung des hannoverschen Verfassungskonflikts nach dem heutigen Stand der Erkenntnisse könnten jedenfalls nicht zu glatten Ergebnissen führen, sondern hätten mehrere divergierende Gesichtspunkte ins Bild zu setzen, zu vernetzen und gegeneinander abzuwägen. Das bleibt bei der Rezeptionsgeschichte zu beachten.
Auch der Historiker ist ein Kind seiner Zeit. Erinnerungskulturelle Bedürfnisse und wissenschaftliche Strömungen bestimmen die Wahl seiner Themen, seiner Quellen und seines methodischen Ansatzes mit. Das wissen wir längst. Der Reiz des Buches besteht darin, dass es diese Einsicht eindrucksvoll und wohlbelegt exemplifiziert, in dem es die Botschaft von 1837 auf viele jeweils eigenartige Empfängerhorizonte treffen lässt, wobei es bezeichnenderweise im Kaiserreich wie während der Weimarer Republik bei Historikern und Rechtswissenschaftlern nur wenig Interesse an den Göttinger Sieben und wenig Sympathie für sie zu konstatieren gibt. Der Bogen reicht von den Verhandlungen des Paulskirchenparlaments bis zur DDR-Historiographie. Neben berühmten Autoren wie von Treitschke und Schlosser, Ranke und Droysen, E. R. Huber, Smend und Wieacker, Lüth und Bracher kommen weitere Stimmen zu Wort, außer dem „Denkmalstürzer“ von See auch die Verfasser von Überblicksdarstellungen, die breiten Konsens aufweisen, ferner Festredner im öffentlichen Vergangenheitsdiskurs, welche die Göttinger Sieben zuletzt als Vorkämpfer der durch das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland berufenen Werte priesen.
Indienstnahmen bleiben indes heikel, wie das Buch lehrt. Ein waches Gewissen und Zivilcourage aber stehen dem Bürger wohl an. Als Signal des Vormärz wirkte die Protestation allemal. Das vor zehn Jahren vor dem Niedersächsischen Landtag zu Hannover eröffnete Landesdenkmal „Die Göttinger Sieben“ steht auf gutem Grund, mag die Debatte um deren Motive und Recht auch weitergehen. Spiegeln sich in der historischen Mehrdeutigkeit herausragender Taten nicht regelmäßig Mensch und Gesellschaft in ihrer Komplexität?
Heidelberg Adolf Laufs