Rücker, Simone, Rechtsberatung. Das Rechtsberatungswesen von 1919-1945 und die Entstehung des Rechtsberatungsmissbrauchsgesetzes von 1935 (= Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts 54). Mohr (Siebeck), Tübingen 2007. XX, 517 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Bisher fehlte eine fundierte Untersuchung über das gesamte Rechtsberatungswesen der Weimarer Zeit und der NS-Zeit. Insbesondere ist die Entstehung und Praxis des Rechtsberatungsmissbrauchsgesetzes vom Dezember 1935 noch nicht Gegenstand einer detaillierten Untersuchung gewesen. Insofern ist es sehr zu begrüßen, dass Rücker sich dieser Thematik unter breiter Einbeziehung der archivalischen Überlieferung vor allem für die NS-Zeit angenommen hat. Der Begriff „Rechtsbesorgung“ geht auf § 35 Abs. 2 GewO von 1883 zurück, wonach die gewerbsmäßige Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten nachträglich untersagt werden konnte, während der Begriff „Rechtsberatung“ in der Gesetzesbezeichnung des Rechtsberatungsmissbrauchsgesetzes und auch seines Nachfolgers, des Rechtsberatungsgesetzes von 1958 auftaucht, das durch das am 1. 7. 2008 in Kraft getretene Rechtsdienstleistungsgesetz vollständig abgelöst wurde. Rücker gebraucht beide Begriffe mit Recht synonym (S. 17f.). Bis zum Gesetz von 1935 war die Rechtsberatung, die nicht durch einen Rechtsanwalt erfolgte, grundsätzlich ohne besondere Erlaubnis zulässig. Lediglich Personen, die das Verhandeln vor Gericht geschäftsmäßig betrieben, konnten als Bevollmächtigte und Beistände in der mündlichen Verhandlung ausgeschlossen werden (§ 143 Abs. 2 CPO von 1877), eine Regelung, die 1898 durch die Befugnis der Justizverwaltung, die hiervon jedoch nur einen sehr restriktiven Gebrauch machte, erweitert wurde, geschäftsmäßige Vertreter als sog. Prozessagenten zuzulassen, die vom Richter nicht zurückgewiesen werden konnten. Bei der Zulassung von Rechtskonsulenten zu Prozessagenten sollten nach der ZPO-Novelle von 1909 die Bedürfnisse der Anwaltschaft berücksichtigt werden.

 

Im ersten Kapitel (S. 19-107) befasst sich Rücker mit den Akteuren der Rechtsberatung in der Weimarer Zeit (S. 19ff.). Anders als die Steuer- und Patentberater stellten die Rechtskonsulenten – ausgenommen die Vertretung vor den Kollegial- und Verwaltungsgerichten – auf zahlreichen Gebieten eine Konkurrenz dar. Hinzu kam noch die umfangreiche nicht gewerbliche Rechtsberatung von Vereinen und Verbänden, deren Tätigkeit teilweise ein politisches Potential beigemessen wurde (S. 107). Angesichts der Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation zahlreicher Rechtsanwälte forderten im April 1932 der Deutsche Anwaltverein und die Vereinigung der Vorstände der deutschen Anwaltskammern (VVAK) ein völliges Verbot der gewerbsmäßigen Rechtsvertretung und Rechtsberatung (S. 136ff.), worauf die Reichsregierung jedoch erst 1935 einging. Nach § 255 des ZPO-Entwurfs von 1931 sollten allerdings die nicht als Prozessagenten zugelassenen Rechtskonsulenten vor den Gerichten nicht mehr auftreten dürfen (hierzu W. Schubert, Zivilprozessreform in der Weimarer Zeit, Frankfurt a. M. 2005, S. 243f., 319f., 382, 384f.). Im dritten Kapitel geht es um die Diskussion und Regelung der nichtanwaltlichen Rechtsberatung von 1933 bis 1935 (S. 155ff.). Das Anwaltszulassungsgesetz vom 7. 4. 1933 beraubte einen Großteil der jüdischen Juristen ihrer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft. Um ihnen auch die Vertretung vor den Amtsgerichten zu versagen, wurde bereits durch ein Gesetz vom 20. 7. 1933 § 255 des ZPO-Entwurfs von 1931 als neu gefasster § 157 ZPO in Kraft gesetzt. Eine Zulassung jüdischer Juristen zum Prozessagenten war ausgeschlossen. Die Neuregelung von 1933 lässt ein „gesetzgeberisches Programm zur Zurückdrängung nicht anwaltlicher Rechtsberatung vor Gerichten und Behörden“ (S. 466) erkennen. Im Kapitel 4 untersucht Rücker die Gleichschaltung der Standesorganisationen der Rechtsanwälte und Rechtskonsulenten. Letztere hatten sich bereits in der Kaiserzeit, wenn auch nur in geringem Umfang, in Verbänden organisiert und wurden von der Reichsberufsgruppe Rechtsbeistände 1934 als Teil der Deutschen Rechtsfront erfasst, womit sich die organisierten Rechtsbeistände gegenüber den nicht organisierten Rechtskonsulenten absetzen konnten. Kapitel 5 ist den jüdischen „Rechtskonsulenten“ in der Zeit von 1933-1935 gewidmet (S. 236ff.). Den ehemaligen jüdischen Beamten und Rechtsanwälten war seit Sommer 1933 das Auftreten vor den erstinstanzlichen Gerichten gesetzlich verschlossen; sie durften sich nicht als „ehemaliger Rechtsanwalt“ oder „Rechtsanwalt a. D.“ bezeichnen und wurden, sofern sie sich als gewerbliche Rechtsberater niederließen, weitgehend boykottiert. Im umfangreichen Kapitel 6 (S. 264-352) beschreibt Rücker die Rechtsberatung insbesondere durch die NS-Verbände und Gliederungen der NSDAP, durch Organisationen der gewerblichen Wirtschaft sowie durch öffentlichrechtliche Körperschaften (u. a. durch den Reichsnährstand).

 

Die unmittelbaren Vorarbeiten zum Rechtsberatungsmissbrauchsgesetz (S. 353ff.; Kapitel 7) begannen im Sommer 1935, nachdem sich die wirtschaftliche Notlage der Anwaltschaft nicht zuletzt unter dem Einfluss der Rechtsberatung durch die nationalsozialistischen Massenorganisationen (besonders der Deutschen Arbeitsfront) verschärft hatte. Mit der Einführung der Konzessionierung der gewerblichen Rechtsberatung durch das genannte Gesetz vom 13. 12. 1935 war zugleich auch die Frage der Rechtsberatung durch jüdische Rechtskonsulenten gelöst. Im Kapitel über die Praxis des Rechtsberatungsmissbrauchsgesetzes von 1936 bis 1945 (S. 401-461) weist Rücker nach, dass das Reichsjustizministerium die Zulassung zur Rechtsberatung über den Bestandschutz hinaus äußerst restriktiv handhabte. Das Ministerium war an einer weiteren Förderung des Berufsstandes der Rechtsberater nicht interessiert und machte den „Rechtsbeistandsberuf“ zu einem Auslaufmodell auf Raten (S. 413ff., 457). Bestehen blieb die Rechtsberatung insbesondere durch die NS-Verbände, durch wirtschaftliche Berufsgruppen und sog. Spezialisten (Inkasso-Unternehmungen). Die fünfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 27. 9. 1938 brachte für alle noch verbliebenen jüdischen Rechtsanwälte ein endgültiges Berufsverbot. Nur 172 von ihnen wurden als Rechtskonsulenten für die jüdische Bevölkerung zugelassen (S. 446ff.). Im Abschnitt „Fazit“ stellt Rücker fest, dass ausschlaggebend für den Erlass des Rechtsberatungsmissbrauchsgesetzes nicht in erster Linie der Schutz der rechtsuchenden Bevölkerung vor unqualifizierter Rechtsberatung, sondern die Absicht maßgebend gewesen sei, „die durch die Folgen der nationalsozialistischen Rechts- und Rechtsberatungspolitik in ernsthafte wirtschaftliche Schwierigkeiten geratene Anwaltschaft politisch zu befrieden“. Ein weiteres tragendes Motiv sei das „Bedürfnis zur Absicherung der nationalsozialistischen Judenpolitik im Bereich der Rechtspflege und das Ziel der Gleichschaltung der gewerblichen Rechtsberater“ gewesen (S. 470). Diese Ziele des Rechtsberatungsmissbrauchsgesetzes, dessen antisemitische Bestimmungen nach 1945 nicht mehr angewandt wurden, wurden bis Mitte der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts unter Verzicht auf historische und teleologische Auslegungsansätze weitgehend ausgeblendet.

 

Rücker hat für die Zeit zwischen 1933 und 1935 in ihre Untersuchungen auch die Entstehung der Änderungsgesetze zur Rechtsanwaltsordnung mit einbezogen, so dass ihr Werk auch ein wichtiger Beitrag zu der bisher immer noch vernachlässigten Geschichte des Rechts der Anwaltschaft in den Jahren 1934 und 1935 darstellt. Erstmals in voller Breite werden die Gründe für die Beseitigung des bis dahin grundsätzlich freien Zugangs zur gewerblichen Rechtsberatung außerhalb der Rechtsanwaltschaft durch das Rechtsberatungsmissbrauchsgesetz von 1935 dargestellt. Insgesamt kommt die Studie von Rücker unter detaillierter Auswertung des umfangreichen Quellenbestandes des Reichsjustizministeriums im Bundesarchiv Berlin zu wohlabgewogenen Ergebnissen. Dem vorzüglich geschriebenen und übersichtlich strukturierten Werk, das einen wichtigen Teilbereich der antisemitischen und freiheitsfeindlichen Rechtspolitik der NS-Zeit erschließt, sind viele Leser zu wünschen.

 

Kiel

Werner Schubert