Rondinone, Nicola, Storia inedita della codificazione civile (= Università degli studi di Milano – Bicocca, Facoltà di Giurisprudenza, Bd. 16). Università degli studi di Milano, Mailand 2003. 813 S.

 

Bereits zu Beginn der vorliegenden Untersuchung teilt der Autor die Gründe und Zielsetzungen seiner Arbeit mit. Es geht darum, die jüngste Geschichte der italienischen Zivilrechtskodifikation von 1942 zu rekonstruieren. Der Ausgangspunkt der Untersuchung beschreibt zutreffend einen richtigen Befund: eine moderne Geschichte der italienischen Kodifikation des Zivil- und Handelsrechts von 1942 ist - abgesehen von der umfangreichen Literatur, die während des faschistischen Regimes entstand - bis heute nicht vorhanden. Man siehe dazu Kapitel 1, „Le ragioni della storia“, (S. 1-16), wo der Autor die oben erwähnte Lücke beschreibt. In Kapitel 2, „Le leggi-delega e i lavori della commissione reale“ (S. 17- 68) und Kapitel 3, „L’ordinamento corporativo e i giusprivatisti“, (S. 69-114) bezieht sich der Autor auf die Vorläufer der Arbeiten von 1939-1942. Hier beschränkt er sich jedoch darauf, bekannte Fakten und Studien zusammenzufassen. Man sollte ferner hinzufügen, dass zu dem italo-französischen Obligationenrechtsentwurf von 1920-1927 und zu den Arbeiten der Königlichen Kommission zu dem späteren Projekt eines Handelsgesetzbuches von 1936 eine immense zeitgenössische Literatur vorhanden ist, mit vielen Beiträgen auch bedeutender ausländischer Autoren. Der Rezensent glaubt nicht, dass der Autor dem ausreichend Rechnung getragen hat. Der Verweis auf das angebliche Nichtvorhandensein von historischen Quellen rechtfertigt eine derartige Lücke jedenfalls nicht. Das Hauptgewicht der Untersuchung liegt auf Kapitel 4, „La commissione parlamentare e il „risveglio“ dei politici (novembre 1936-giugno 1939)“, (S. 115-179) und auf den darauffolgenden Kapiteln: Kapitel 5, „La nomina di Grandi e le fasi preliminari del nuovo corso dei lavori (luglio-ottobre 1939)“, (S. 181-212); Kapitel 6, „L’attività dei comitati ministeriali fino all’ideazione del libro della tutela (novembre 1939-aprile 1940)“, (S. 213-260); Kapitel 7, „I primi progetti completi (maggio-giugno 1940)“, (S. 261-293); Kapitel 8, „Le spinte alla „corporativizzazione“ (luglio-agosto 1940)“, (S. 295-334); Kapitel 9 „Morte“ del codice di commercio e „iniezioni corporative“ nei libri dei beni e delle obbligazioni (settembre 1940)“, (S. 335-370). Die Arbeit stützt sich hier im Wesentlichen auf Dokumente privater Provenienz, die der Autor aufgespürt und untersucht hat. Zwei wichtige Beobachtungen drängen sich hier auf. Es ist sicherlich sehr lobenswert, dass der Autor Nachforschungen über die Existenz von Dokumenten privater Provenienz über die Arbeiten des besagten Zeitraums unternommen hat. Nachdem die offizielle Dokumentation für die Nachwelt verloren gegangen ist, verbleiben für die Forschung nur Quellen privater Provenienz. Diese waren in Wirklichkeit aber nicht völlig unbekannt (siehe z. B.: G. B. Ferri, „Le annotazioni di Filippo Vassalli in margine a taluni progetti del libro delle obbligazioni“, Padua 1990 und andere Werke dieses Autors. Zu berücksichtigen wären auch die verschiedenen Publikationen von R. Bonini und R. Teti. Letzterer hatte Gelegenheit umfangreiches Archivmaterial zu verwerten (vgl. R. Teti, in: Riv. dir. civ. 1998, I, S. 355ff.).

 

Der Verfasser hat hier systematische Nachforschungen bei sämtlichen Nachfahren der Kommissionsmitglieder unternommen und hat dabei viel bislang unbekanntes Material aufgefunden. Besondere Aufmerksamkeit verdienen die Unterlagen aus dem persönlichen Archiv des Nestors des damaligen italienischen Handelsrechts Alberto Asquini. Mit Ausnahme einer Liste der verwendeten Abkürzungen (S. XVII-XVIII) und einigen sporadischen Angaben in den Fußnoten (siehe z. B. S. 9ff.). erhält der Leser jedoch keine genauen Angaben hinsichtlich des Aufbewahrungsortes, des Zustands und des Umfangs der verschiedenen Dokumente, die herangezogen werden. Für eine Arbeit, die sich als historiografisch mit wissenschaftlichem Anspruch versteht, ist das ein unverzeihlicher Mangel. Es fehlt an einer präzisen, detaillierten und dokumentierten Beschreibung der Quellen, die während der Untersuchung herangezogen wurden, seien diese privater oder öffentlich zugänglicher Provenienz. Dies gilt besonders für die Dokumente privater Provenienz. Eine Liste mit Abkürzungen (wie z. B. PIGA = Carte in Archivio dott. Emanuele Piga) genügt eindeutig nicht. Der Leser wird auf Informationen verwiesen, die eigentlich der Autor mitteilen muss. Offenbar will er Ort, Bestand und Inhalt der Karten nicht mitteilen, um sich so - wenn man so sagen darf - in absehbarer Zukunft ein persönliches Wissensmonopol zu wahren. Es ist klar, dass dies nichts mit den Standards zu tun hat, die heute in der rechtshistorischen Forschung gelten. Ein zweites, meiner Meinung nach noch gravierenderes  Problem liegt darin, dass in weiten Teilen des Textes der bereits erwähnten Kapitel (siehe z. B. S. 348-349) der Autor durchweg und in großen Stücken den Text des vorgefundenen Schriftwechsels, des Protokolle und anderer Briefe übernimmt. Der Text besteht somit im Wesentlichen, zu mindestens zwei Dritteln, wenn nicht sogar darüber hinaus, aus der Wiedergabe dieser Dokumente. Man erfährt nicht genau, was aus diesen historischen Dokumenten stammt, und was zu den Beobachtungen und Beurteilungen des Autors gehört. Die zeitliche Darstellung der Ereignisse, die Wiedergabe der Dokumente wie auch des Schriftwechsels und schließlich die eigentlichen Bewertungen des Autors, fallen unterschiedslos in einer Einheit zusammen.

 

Mit historischer Forschung, die diesen Namen auch verdient, hat dies nichts mehr zu tun. Dies ist ein Indiz dafür, dass es dem Autor an der Professionalität fehlt, die für diese Art von Studie unbedingt erforderlich gewesen wäre. Es wäre offensichtlich erforderlich gewesen, die reproduzierten Dokumente in einer Edition mit einer genauen Angabe über die Herkunft und den Aufbewahrungsort der veröffentlichten Texte zu reproduzieren. An anderer Stelle hätte der Verfasser das veröffentlichte Material dann kommentieren und analysieren können. Darüber hinaus waren die Briefe Filippo Vassallis teilweise schon bekannt und auch veröffentlicht. Es wird nicht ganz klar, in welchem Umfang der Autor bisher unbekanntes Material verwendet oder sogar auf bereits bekannte und veröffentlichte Dokumente zurückgreift. Auch hier wäre es notwendig gewesen, von Anfang an eine präzise und detaillierte Beschreibung der Quellen - seien diese gedruckt oder in Archiven vorhanden, veröffentlicht oder bisher unveröffentlicht oder sogar völlig unbekannt - zu liefern. Es folgen Kapitel, welche die Endphase der Kodifikationsarbeit beschreiben. Siehe Kapitel 10, „La rimeditazione del piano della codificazione e il primo libro della tutela (ottobre-novembre 1940)“, (S. 371-419); Kapitel 11, „L’unificazione dei codici e il primo libro del lavoro (dicembre 1940)“, (S. 421-444); Kapitel 12, „L’ultima stesura dei libri della proprietà e della tutela dei diritti (gennaio-marzo 1941)“, (S. 445-487); Kapitel 13 „L’ultima redazione dei libri delle obbligazioni e del lavoro (aprile-luglio 1941)“, (S. 489-524); Kapitel 14 „Relazione, disposizioni di attuazione e coordinamento dei libri del codice (agosto 1941-aprile 1942)“, (S. 525-574). Auch hier gelten die oben gemachten Ausführungen. Einen wesentlichen Teil des Textes macht die bloße Wiedergabe der untersuchten Unterlagen aus. Breite Passagen werden im Original in die Darstellung übernommen. Der Autor bietet, mit anderen Worten, eine Chronik der Ereignisse hinsichtlich der Zivilrechtskodifikation und lässt dabei weitgehend die gefundenen und verwendeten Quellen „für sich sprechen“. Dies bedeutet, dass es auch hier nicht möglich ist zu bestimmen, in welchem Umfang der Text die Auffassung des Autors oder ein Dokument wiedergibt und in welchem Umfang neue oder bereits bekannte Informationen und Unterlagen vorgelegt werden, die u. U. schon in früheren Literatur behandelt wurden.

 

In einem letzten Teil konzentriert sich der Verfasser auf Aspekte der Zivilrechtskodifikation während der letzten Kriegsmonate und der frühen Nachkriegszeit. Es handelt sich hierbei in erster Linie um drei Kapitel: Kapitel 15 „L’accoglienza al codice fino alla caduta del regime“, (S. 575-607); Kapitel 16, „L’Italia „dimezzata“ e il primo dopoguerra. La „difesa“ del codice civile“, (S. 609-649); Kapitel 17, „La memorialistica dei conditores“, (S. 651-699). Die oben gemachten Bemerkungen gelten auch für diesen letzten Teil der Arbeit. Der Autor verweist hier hauptsächlich auf gedruckte Quellen, die, wie er selbst schreibt (z. B. auf S. 639 über bestimmte Beiträge von Luigi Mossa) „schwer zu finden“ seien. Dies ist genau der Grund, warum der Leser genauere Angaben darüber erwarten darf, wo und wie diese Druckwerke nun verfügbar sind. Erst in den letzten beiden Kapiteln am Ende des Bandes - Kapitel 18 „Il „nostro“ codice, ovvero scienza giuridica contemporanea e fascismo“, (S. 701-749); Kapitel 19 „Sul metodo legislativo“, (S. 751-776) - liefert der Autor einen persönlichen Beitrag, indem er hauptsächlich zusammenfassend die Arbeiten an der Zivilrechtskodifikation von 1942 insgesamt bewertet. Der Rezensent glaubt nicht, dass es sich hierbei um wirklich neue und originelle Beobachtungen handelt. In Wahrheit verweist der Verfasser wieder weitgehend auf einige jüngere rechtshistorische Beiträgen (etwa P. Cappellini, in: Quaderni fiorentini per la storia del pensiero giuridico moderno 28.1999, S. 174ff.).

 

Der Rezensent hat bereits zu Beginn darauf hingewiesen, dass das Buch schwer lesbar ist und für einen Fachmann weitestgehend unbrauchbar ist, wenn er bestimmte Fragen oder Fakten überprüfen möchte. Am Ende findet sich zwar eine Bibliographie, S. 77-814, sonst aber nichts. Es fehlen ein Inhaltsverzeichnis und ein Register sowohl der Personen als auch der Themen. Diese wären zu einer sinnvollen Nutzung, aber auch zu einer Überprüfung der angeführten Daten des Autors unbedingt erforderlich. Dies ist ein gravierender Mangel, denn eine rechtshistorische Studie dieser Art erwirbt ihre wissenschaftliche und historiografische Qualität erst, wenn sie nutzbar und auch überprüfbar ist. Der Autor hat offenbar keine Vorstellung darüber, wie Quellen privater Provenienz richtig zitiert werden und eine historiografische Monographie heute wissenschaftlichen Ansprüchen genügt. Der Leser, der wie etwa der Rezensent, daran interessiert ist zu erfahren, wie es etwa zu der Ausarbeitung der derzeitigen Vorschriften des italienischen Codice civile über die Nichterfüllung oder die Unmöglichkeit der Leistung kam, muss fast achthundert Seiten durchblättern und sich zudem ein persönliches Verzeichnis anlegen. Um etwa herauszuarbeiten, welche Rolle Giuseppe Osti hierbei gespielt hat, gilt dasselbe. Die Geschichte des italienischen Zivilgesetzbuchs von 1942 ist nach alldem leider erst noch zu schreiben.

 

Saarbrücken                                                                           Filippo Ranieri