Rohrer, Frank,
Strafjustiz im Dritten Reich und in der SBZ/DDR. Die personelle und
organisatorische Neuordnung des Justizapparates in den totalitären Diktaturen
(1933-1955) mit ihren Auswirkungen auf die Rechtsprechung zum politischen
Strafrecht (= Rechtshistorische Reihe 360). Lang, Frankfurt am Main 2007. 388
S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Die Arbeit ist die von Joachim Vogel angeregte und
betreute, im Sommersemester 2007 von der juristischen Fakultät der Universität
Tübingen angenommene Dissertation des Verfassers. Sie vergleicht die
Strafrechtspflege im Deutschen Reich zwischen 1933 und 1945 mit der
Strafrechtspflege zwischen 1945 und 1955 auf dem Gebiet der 1949 gegründeten
ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik. Damit will sie aufzeigen, wie
sich die allgemeinen Merkmale totalitärer Machtausübung widerspiegeln und außerdem
aus juristischer Sicht einen neuen Beitrag zur Totalitarismusdiskussion
leisten.
In der Einführung weist der Verfasser selbst auf die
Einwände gegen einen derartigen Vergleich hin. Er bietet aber zugleich Gründe
für sein Vorhaben. Da bisher eine umfangreiche, vergleichende Betrachtung
aussteht, versucht er zu Recht, diese Lücke mit seiner Untersuchung zu
schließen, wobei er den Totalitarimusbegriff an Hand unterschiedlicher Thesen
Hanna Arendts, Carl Joachim Friedrichs (und Brzezinskis), Raymond Arons,
Karl-Dietrich Brachers, Mario A. Cattaneos und Peter Graf Kielmanseggs vorweg
erörtert.
Danach gliedert er seine sachliche Untersuchung in drei
Teile, wobei er (B) mit den Justizjuristen beginnt und dementsprechend die
Justizjuristen im Dritten Reich den Justizjuristen in der sowjetischen
Besatzungszone/Deutschen Demokratischen Republik gegenüberstellt. Der zweite
Teil (C) betrifft die Organe der Strafjustiz im weiteren Sinne und wird
untergliedert in die Justizverwaltung und die Justizministerien, die
Strafgerichte, die Stellung der Staatsanwaltschaft im Justizapparat, die
Stellung von Polizei und Geheimpolizei im Strafverfahren und die
Rechtsanwaltschaft, für die jeweils Drittes Reich und sowjetische
Besatzungszone/Drittes Reich dargestellt und vergleichend bewertet werden. Im
dritten Teil (D) widmet er sich dem politischen Strafrecht und der zugehörigen
Rechtsprechung.
Dabei zeigte sich ihm für die Justizjuristen, dass in
beiden Systemen die gleichen Ansatzpunkte zur Kontrolle und Umerziehung des
Personals bestanden haben (Säuberungen, Erhöhung des Anteils von
Parteimitgliedern, Ideologisierung der Ausbildung, fortlaufende politische
Schulung, Abschaffung der unabhängigen Standesorganisationen, strenges
Disziplinarrecht und Einsatz linientreuer Laienrichter), die entsprechenden
Maßnahmen in der Deutschen Demokratischen Republik aber deutlich effektiver
angewendet wurden als im Dritten Reich. Bei den Organen der Strafjustiz verfuhr
die Deutsche Demokratische Republik entschiedener hinsichtlich des Ziels, die
Befehle des Politbüros umzusetzen, wobei als Besonderheit die wechselseitige
Überwachung verschiedener Organe hervorgehoben wird, und für das Dritte Reich
Kompetenzstreitigkeiten betont werden. Die Analyse der Rechtsprechung ergab,
dass in beiden Herrschaftssystemen die Höhe der verhängten Strafen von der
jeweiligen politischen Gesamtsituation abhing, die große Zahl der Todesurteile
die Anwendung politischer Strafbestimmungen zur Vernichtung von Systemgegnern
im Dritten Reich aber einzigartig machte.
Abschließend hebt die erfolgreiche Untersuchung die
Erkenntnis hervor, dass selbst Diktaturen mit totalem Machtanspruch ihrem
Straf- und Unterdrückungssystem einen Anschein von Ordnung und Gerechtigkeit zu
geben versuchten. Um einen Missbrauch der Judikative durch die Staatsführung zu
verhindern, seien wesentliche Errungenschaften des Rechtsstaats unverzichtbar.
Ein fünfteiliges Quellen- und Literaturverzeichnis rundet die ansprechende
Leistung ab.
Innsbruck Gerhard Köbler