Riedel, Tanja-Carina, Gleiches Recht für Frau und Mann. Die bürgerliche Frauenbewegung und die Entstehung des BGB (= Rechtsgeschichte und Geschlechterforschung 9). Böhlau, Köln 2008. XVIII, 547 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Die Arbeit Tanja-Carina Riedels befasst sich zunächst mit der Entstehung und Entwicklung der bürgerlichen Frauenbewegung als einer Interessengemeinschaft insbesondere für Bildung und Erwerbsfragen und in ihrem Hauptteil mit ihrer Entwicklung zu einer Rechtsbewegung seit Mitte der 70er Jahre des 19. Jahrhunderts, die für die rechtliche Gleichberechtigung der Geschlechter eintrat. Die Generalversammlung des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins (ADF) in Gotha beschäftigte sich 1875 erstmals breiter mit der rechtlichen Stellung der Frau. Vorausgegangen waren die Schrift des schlesischen Kreisrichters Ludwig Wachler: „Zur rechtlichen Stellung der Frauen“ (1869) und Aufsätze von Julius Weil: „Die Frauen im Recht. Juristische Unterhaltungen am Damentisch“ (1872). Auf der Versammlung von 1875 hielt Charlotte Pape einen Vortrag über die „Rechte der Mutter und ihre Kinder“. Auf diesen Vorarbeiten baute die Denkschrift der ADF von 1876: „Zur gesetzlichen Stellung der Frau“ auf, die sich nach einer rechtshistorischen Einleitung mit den persönlichen Wirkungen der Ehe, den Rechtsgeschäften der Ehegatten, dem ehelichen Güterrecht, der Ehescheidung, den Rechten und Pflichten der Eltern und dem Vormundschaftsrecht auseinandersetzte. Eine auf der Grundlage dieser Denkschrift erarbeitete, heute nicht mehr auffindbare Petition sandte der ADF 1877 an den Reichstag und an das Reichskanzleramt, das sie an die 1. BGB-Kommission weiterleitete. Ob insbesondere Gottlieb Planck, der Verfasser des Teilentwurfs zum Familienrecht, von der Petition Kenntnis genommen hat, ließ sich bisher nicht klären. In den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts spaltete sich von der im Wesentlichen konservativ ausgerichteten bürgerlichen Frauenbewegung eine radikale Richtung ab. In einem ihrer Organe wandte sich 1890 die aus Mecklenburg stammende, in Zürich lebende Julie Engell-Günter gegen einen Aufsatz des Berliner Rechtsanwalts William Löwenfeld, der die rechtliche Stellung der verheirateten Frau nach dem 1. BGB-Entwurf positiv beurteilt hatte (S. 145ff.). Sodann behandelt Riedel die Kritik am 1. BGB-Entwurf von Otto Bähr, Friedrich Mommsen, Otto Gierke, Gottlieb Planck und Anton Menger hinsichtlich der Rechtsstellung der Frau und die Reaktionen der bürgerlichen Frauenbewegung auf diese Kritik. Es folgt die Besprechung der Schrift der Schweizer Juristin Emilie Kempin von 1894: „Die Stellung der Frau nach den zur Zeit in Deutschland gültigen Gesetzes-Bestimmungen sowie nach dem Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich“ (S. 254ff.). Nach Gründung des Bundes Deutscher Frauenvereine im März 1894 und dem Erscheinen des vollständigen 2. BGB-Entwurfs brachten Sera Proelß und Marie Raschke für die Rechtskommission des Vereins „Frauenwohl“ eine Broschüre unter dem Titel heraus: „Die Frau im neuen bürgerlichen Gesetzbuch“ (S. 265ff.), deren detaillierte familienrechtliche Änderungsvorschläge Riedel mitteilt (S. 272ff.). 1895 veröffentlichte der Oldenburger Jurist Karl Bulling, der als juristischer Beistand der Agitation gegen den EII die Rechtskommission des Vereins „Frauenwohl“ beraten hatte, ein Buch über die „deutsche Frau und das bürgerliche Gesetzbuch“. Ebenfalls 1895 brachte der Dresdner Rechtsschutzverein die wohl primär von Marie Stritt redigierte Broschüre heraus: „Das deutsche Recht und die deutschen Frauen“, der die Petition des Bundes Deutscher Frauenvereine zum „Entwurf des neuen Bürgerlichen Gesetzbuchs“ folgte, deren Inhalt Riedel ebenfalls detailliert mitteilt. In den drei Denkschriften von 1895/96 geht es um die Ehemündigkeit, das Namensrecht der Frau, die Schlüsselgewalt, das Kündigungsrecht des Mannes, das eheliche Güterrecht, die elterliche Gewalt und das Unehelichenrecht. Die letzten umfangreicheren Kapitel des Werks befassen sich mit der Diskussion des Reichstags über die rechtliche Stellung der Frau in der 1. und 2. Lesung des BGB-Entwurfs und – weniger ausführlich – mit den Arbeiten der XII. Reichstagskommission anhand der Berichte von Emilie Kempin, die als einzige Frau Zugang zu einem Kommissionsmitglied, nämlich dem Reichstagsabgeordneten Stumm, hatte, dessen Anträge sie mitformulierte (vgl. hierzu H. H. Jakobs/W. Schubert, Beratung des BGB, Familienrecht I, Berlin 1987, S. 353). Das Familienrecht des BGB wurde von der Frauenbewegung nach Verabschiedung der Kodifikation allgemein abgelehnt (vgl. S. 513ff.). Lediglich Kempin stellte auch die Fortschritte heraus, die das BGB hinsichtlich der rechtlichen Stellung der Frau aufzuweisen hatte (S. 522ff.). Aufschlussreich wäre es in diesem Zusammenhang vielleicht noch gewesen, einen rechtsvergleichenden Blick auf die parallelen rechtspolitischen Diskussionen in den westeuropäischen Ländern zu werfen.

 

Der Vorzug des Werkes von Riedel, die durchgehend primär auf die Sicht der Frauenbewegung abstellt, ist darin zu sehen, dass die Darstellung der chronologischen Entwicklung folgt und die oft schwer zugänglichen Quellen umfangreich zitiert werden, so dass ein „authentischer Blick auf die juristische Argumentationsweise und –form der Diskussion zur rechtlichen Stellung der Frau bei der Entstehung des BGB (S. 1) möglich ist. Wichtig erscheint auch, dass die Änderungsvorschläge von 1894-1896 in vollem Wortlaut gebracht werden. Mit Recht stellt Riedel fest, dass die bürgerliche Frauenbewegung eine „laienhafte Herangehensweise“ praktiziert habe, bei der sie sich an den natürlichen Fraueninteressen orientiert habe (S. 531). Die meist juristisch vollkommen ungeschulten Vertreterinnen der Frauenbewegung waren erst Mitte der 90er Jahre mit Hilfe von Juristen wie Bulling in der Lage, juristisch präzise Abänderungsvorschläge zu unterbreiten, die allerdings bei den nahezu abgeschlossenen Kodifikationsarbeiten nur noch geringe Chancen auf Berücksichtigung hatten. Zum besseren Verständnis der Kritik der Frauenbewegung an den BGB-Entwürfen wäre es nützlich gewesen, wenn Riedel zusätzlich zu der von ihr behandelten Zusammensetzung und Arbeitsweise der beiden BGB-Kommissionen (S. 132ff., 233ff.) auch noch die familienrechtlichen Beratungsergebnisse der BGB-Kommissionen ausführlicher dargestellt hätte. Dies gilt auch für das Ergebnis der Beratungen der XII. Reichstagskommission (hierzu bereits Arne Duncker in: Frauenrecht und Rechtsgeschichte. Die Rechtskämpfe der deutschen Frauenbewegung, hg. v. Stephan Meder/Arne Duncker/Andrea Czelk, 2006). Im Hinblick darauf, dass Riedel die Stellungnahmen der bürgerlichen Frauenbewegung in den BGB-Entwürfen zusammengetragen und das Werk deshalb so etwas wie ein Handbuch über diese Materie darstellt, ist es sehr zu bedauern, dass das Werk weder über ein Sach- noch über ein Personenregister verfügt. Die Darstellung von Riedel zeigt, dass die Diskussion über die Verbesserung der familienrechtlichen Stellung der Frau – eine Thematik, die das gesamte 20. Jahrhundert beschäftigen sollte – bereits während der Endphase der Entstehung des BGB eine wichtige rechtspolitische Thematik darstellte. Mit dem Werk Riedels ist dieser bisher wenig bekannte Aspekt der Entstehungsgeschichte des BGB erstmals zusammenhängend erschlossen worden.

 

Kiel

Werner Schubert