Regnum et Imperium. Die französisch-deutschen Beziehungen im 14. und 15. Jahrhundert. Les relations franco-allemandes au XIVe et XVe siècle, hg. v. Weiß, Stefan (= Pariser historische Studien 83). Oldenbourg, München 2008. 277 S.

 

Aus einem Atelier, das am 21. Juni 2004 am Deutschen Historischen Institut in Paris stattgefunden hat, ist eine hochinteressante Kompilation von „Werkstattberichten“ zu den Beziehungen zwischen dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation und dem Königreich Frankreich im ausgehenden Mittelalter erwachsen. Anhand von insgesamt neun, teils in französischer, teils in deutscher Sprache verfassten Beiträgen, wird dem Leser ein profunder Einblick in ausgesuchte Aspekte der Beziehungen zwischen regnum und imperium im 14. und 15. Jahrhundert vermittelt. Bereits im Vorwort stellt Stefan Weiß klar, dass die Träger dieser Beziehungen vor allem die jeweiligen Herrscherdynastien – die Valois in Frankreich, Wittelsbacher, Luxemburger und Habsburger im Heiligen Römischen Reich – waren. Schon deshalb, und weil die mittelalterlichen Reiche nur eingeschränkt als souveräne Staaten angesehen werden können, kann von außenpolitischen Beziehungen im neuzeitlichen Sinne nicht die Rede sein. Dementsprechend widmen sich die überwiegend jüngeren Autoren vor allem den Beziehungen zwischen den Herrscherpersönlichkeiten und ihrer Politik gegenüber dem jeweiligen Nachbarland.

 

Im ersten, in französischer Sprache verfassten Beitrag („Nouvelles d’Allemagne en France aux XIVe-XVe siècles“, S. 9-40) befasst sich Jean-Marie Moeglin mit der Darstellung Kaiser Ludwigs des Bayern (um 1282-1347) in den historiographischen Werken des Pariser Hofes. Von Interesse ist hier insbesondere die 1297 von Guillaume de Nangis begründete „Chronique Universelle“, die im Jahre 1113 beginnt und nach dem Tod dieses „historiographe en titre de Saint-Denis“ (1300) von verschiedenen Autoren bis zum Jahre 1368 fortgeschrieben wurde. Vor allem dieser Chronik, die für jedes Jahr die wichtigsten historischen Ereignisse in Frankreich, im Heiligen Römischen Reich, im griechischen Kaiserreich sowie in den Königreichen England, Jerusalem und Sizilien darstellt, entnimmt Jean-Marie Moeglin wertvolle Informationen über das politische Verhältnis zwischen regnum und imperium (S. 10). Zunächst befasst er sich kurz mit der Resonanz, die der wechselvolle Zeitraum von der Kaiserkrönung Rudolfs von Habsburg (1273) bis zur Doppelwahl Friedrichs von Österreich und Ludwigs des Bayern im Jahre 1314 in den französischen Quellen gefunden hat (S. 10f.). Sodann zeigt er anhand zahlreicher Quellentexte auf, wie begrenzt das Interesse der französischen Historiographen an dieser herausragenden Herrschergestalt des 14. Jahrhunderts letztlich war (S. 12ff.). Moeglin führt dies darauf zurück, dass ein generelles Interesse der französischen Geschichtsschreiber an den Vorgängen im Heiligen Römischen Reich nicht bestanden habe (S. 33). Er betont mehrfach, dass sich nur dort, wo die Interessen Frankreichs betroffen waren, ausführliche Aufzeichnungen finden. So wird z. B. die Doppelwahl von 1314 nur beiläufige erwähnt: Der knappe Eintrag in der „Chronique Universelle“ lässt erkennen, dass der Chronist hierin ein Ereignis von allenfalls nachrangiger Bedeutung für das Königreich Frankreich erblickte (S. 12). Zur Flucht des Marsilius von Padua – als „fils de diable“ wird er in der „Chronique Universelle“ bezeichnet (S. 17) – von Paris an den Hof Ludwigs des Bayern im Jahre 1326 finden sich dagegen ausführliche Berichte (S. 17ff.). Erst mit dem Aufsehen erregenden Konflikt Ludwigs des Bayern mit Papst Johannes XXII., der Kaiserkrönung in Rom und der Ernennung eines Gegenpapstes (1328) rückte die Person Ludwigs des Bayern verstärkt in den Fokus der französischen Historiographen (S. 18ff.). Aber selbst als sich Ludwig 1336 zwischenzeitlich mit dem englischen König Eduard III. gegen Frankreich verbündete, blieb die Berichterstattung auf das gerade erforderliche Minimum beschränkt (S. 33). Die Solidarisierung der Kurfürsten mit dem gebannten Kaiser im Kurverein von Rhense (1338) schien den zeitgenössischen französischen Historiographen offensichtlich nicht erwähnenswert (S. 21). Ausführliche Betrachtung sollte die Person Ludwigs des Bayern in der französischen Geschichtsschreibung erst seit dem frühen 16. Jahrhundert erfahren (S. 35ff.). Die zahlreichen von Jean-Marie Moeglin ausgewählten, im lateinischen Original bzw. in der französischen Übersetzung von Hercule Géraud aus dem Jahre 1843 abgedruckten Auszüge aus den verschiedenen, zur Verfügung stehenden Chroniken vermitteln einen guten Eindruck von dem erstaunlichen Desinteresse (S. 33) der französischen Geschichtsschreibung an den ausschließlich das Heilige Römische Reich selbst betreffenden historischen Ereignissen.

 

Der darauf folgende Beitrag Karsten Plögers („Das Reich und Westeuropa“, S. 41-54) befasst sich mit der Wende in der Politik Ludwigs des Bayern in den Jahren 1336-1337. Anschaulich zeichnet Plöger die Gründe nach, die den gebannten Kaiser dazu bewogen haben dürften, seine Politik gegenüber dem Heiligen Stuhl und dem französischen König Philipp VI. seit dem Frühjahr 1336 zu überdenken. Dass Ludwig der Bayer die weiterhin angestrebte Absolution nunmehr aus einer Position der Stärke (S. 41) heraus zu erreichen suchte, verwundert angesichts des aus der Sicht des Kaisers unbefriedigend schleppenden Verlaufs der Aussöhnungsverhandlungen mit Papst Benedikt XII. nicht (S. 41). Zu Recht betont Karsten Plöger die herausragende Rolle, die Markgraf Wilhelm I. von Jülich bei den diplomatischen Verhandlungen zwischen Kaiser, Papst und französischer Krone gespielt hat (S. 42ff.). Dass der Markgraf, der das besondere Vertrauen nicht nur des Kaisers, sondern auch des englischen Königs Eduard III. genoss (S. 53), durch seine Verhandlungsführung wesentlich dazu beitrug, die Allianz zwischen Ludwig dem Bayern und England voranzutreiben und damit letztlich den Weg für einen Ausgleich mit dem Heiligen Stuhl versperrte, wird anschaulich beschrieben (S. 44ff.). Nicht „gallische Perfidie und päpstliche Intransigenz“ (S. 41), sondern die aggressive englische Bündnispolitik (S. 52ff.), so das durchaus überzeugende Fazit, führte demnach zur Wende in der Politik Ludwigs des Bayern. Damit folgt Plöger der von Otto Schwöbel, Der diplomatische Kampf zwischen Ludwig dem Bayern und der römischen Kurie im Rahmen des kanonischen Absolutionsprozesses, 1330-1346, Weimar 1968, 219ff., angeregten Neuinterpretation der Ereignisse der Jahre 1336/37. Seine kompakte Darstellung, versehen mit zahlreichen Literatur- und Quellenhinweisen, vermittelt einen guten Eindruck von den Beweggründen für den diplomatischen Richtungswechsel gegenüber der Kurie, der schließlich auch zu einer dramatischen Verschlechterung in den deutsch-französischen Beziehungen führen sollte.

 

Sodann informiert Gerald Schwedler über „Deutsch-französische Herrschertreffen im 14. Jahrhundert“ (S. 55-100). Eingehend untersucht er die dynastischen und staatlichen Beziehungen zwischen regnum und imperium anhand der drei Herrschertreffen von 1363, 1377/78 und 1398. Die Darstellung der in den „Grandes Chroniques de France“ ausführlich dokumentierten Frankreichreise Kaiser Karls IV. an der Jahreswende 1377/1378 bzw. des Herrschertreffens zwischen dem Kaiser und seinem Neffen, dem französischen König Karl V., in Paris im Januar 1378 (S. 63ff.) ist ausgesprochen ansprechend. Der Leser erhält einen guten Eindruck vom deutsch-französischen Verhältnis in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, wobei sich Schwedler stets bewusst ist, dass Ritual und Zeremoniell der Herrschertreffen nur zusätzliche Informationen über die Beziehungen der beiden Staatswesen liefern können (S. 55ff.). Wie sehr der französische König darauf bedacht war, seine Ebenbürtigkeit zu unterstreichen, wird anhand einzelner, wohl gewählter Aspekte der Frankreichreise von 1377/78 veranschaulicht: Neben dem Verbot, den kaiserlichen Weihnachtsdienst auf französischem Boden zu versehen (S. 71ff.), der akribischen Komposition des Einzugs in Paris (S. 74ff.) und des großen Staatsdiners, das am 6. Januar 1378 im Louvre stattfand (S. 81ff.), befasst sich Schwedler ausführlich mit der von Karl V. durchgesetzten Ernennung des französischen Kronprinzen und seiner Erben zum Reichsvikar für die Dauphiné bzw. der Ernennung zum Reichsvikar für das Arelat mit Ausnahme Savoyens auf Lebenszeit (S. 86ff.). Die Darstellung des Herrschertreffens von 1363 zwischen Kaiser Karl IV. und dem Dauphin und späteren französischen König Karl V. (S. 88f.) bzw. des Treffens von 1398, als der römisch-deutsche König Wenzel mit Karl VI. von Frankreich zusammenkam (S. 90ff.), fällt dagegen recht knapp aus. Kritikwürdig erscheint die Bedeutung, die Gerald Schwedler den Vorstellungen des antiken römischen Rechts zur Rolle des princeps als dominus mundi beimisst (S. 61f.): Im ausgehenden 14. Jahrhundert war der kaiserliche Universalanspruch – noch Kaiser Heinrich VII. (1308-1313) folgte der Maxime Imperator est dominus totius orbi – nicht nur de facto sondern auch de iure längst durch die bereits in der päpstlichen Dekretale „Per Venerabilem“ (1202) angelegte, von Durantis in seinem Speculum iudiciale (1271-1276) entwickelte Formel Rex superiorem non recognoscens in regno suo est Imperator hinfällig geworden; vgl. dazu Serge Dauchy, Introduction historique aux appels flamands au Parlement de Paris (1320-1521), Brüssel 2002 (Commission royale pour la publication des Anciennes Lois et Ordonnances de Belgique, Recueil de l’ancienne Jurisprudence de la Belgique, 1. Serie, Band III), 137f. m. N.

 

Mit den Beziehungen zwischen Kaiser Karl IV. und dem französischen König Karl V. beschäftigt sich auch Stefan Weiß in seinem umfangreichen Beitrag „Onkel und Neffe. Die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich unter Kaiser Karl IV. und König Karl V. und der Ausbruch des Großen Abendländischen Schismas. Eine Studie über mittelalterliche Außenpolitik“ (S. 101-164). Anders als der Titel vermuten lässt, befasst sich Weiß über weite Strecken seines Beitrags vor allem mit dem europäischen Kontext, in dessen Rahmen Onkel (Kaiser Karl IV.) und Neffe, der französische König Karl V., selten gegeneinander, größtenteils aber miteinander – so jedenfalls der Eindruck, der bei der Lektüre des Beitrages entsteht – agierten. Nachdem er eingangs (S. 106) feststellt, dass mittelalterliche „Außenpolitik“ im Wesentlichen in dynastischer Politik bestanden habe, widmet sich Weiß zunächst den verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen den Häusern Luxemburg und Valois und ihrer Bedeutung für das Verhältnis zwischen den beiden Herrschern (S. 107ff.). Die Position Karls IV. hinsichtlich des Arelats, des burgundischen Königreichs, das seit 1033 zum Heiligen Römischen Reich gehörte, wird sodann ausführlich erläutert (S. 111ff.). Indem der Kaiser auf dem Hoftag zu Metz (1356) den französischen Thronfolger, Regenten und späteren König Karl V. zum Reichsvikar für die Dauphiné ernannte und ihm – ein für den Prozess der Herrschaftskonsolidierung kaum zu unterschätzender, vom Autor aber nur am Rande erwähnter Faktor! – die Appellationsgerichtsbarkeit über dieses Territorium übertrug, erweiterte er die 1349 käuflich erworbenen französischen Herrschaftsrechte noch. Weiß erklärt dies mit dem geringen Interesse des Kaisers am Arelat (S. 116). Den Widerspruch zu der Tatsache, dass sich Karl IV. am 4. Juni 1365 in Arles – erst als zweiter Kaiser überhaupt nach Friedrich I. Barbarossa – zum König von Burgund krönen ließ, was die deutsche wie die französische Forschung gemeinhin als antifranzösische Demonstration wertet, löst er auf, indem er zunächst auf die „herzliche Übereinstimmung“ beider Herrscherhäuser, die einem Bericht des Johannes Neplach, Abt des Benediktinerklosters Opatowitz bei Prag, zu entnehmen sei, verweist (S. 121). Der französische König habe sogar die Kosten der Reise des Kaisers durch die Dauphiné getragen, Karl IV. sei vom Gouverneur Karls V. mit allen Ehren empfangen worden (S. 122f.). Wenn Weiß weiter ausführt, die Tolerierung, Unterstützung und Finanzierung einer antifranzösischen Demonstration wäre „der Gipfel des Absurden“ (S. 124), so übersieht er möglicherweise, dass sich der Kaiser während seiner Reise auf Reichsgebiet bewegte. Der französische König hatte den Kaiser somit als Vasall mit allen dem Reichsoberhaupt gebührenden Ehren zu empfangen; alles andere wäre ein offener Affront gewesen. Wenn nun aber Stefan Weiß stattdessen in der Krönung eine gegen Königin Johanna von Neapel als Stadtherrin von Arles und Landesherrin der Provence gerichtete Demonstration des deutsch-französisch-päpstlichen Einvernehmens erblicken will (S. 125) und als Anlass dafür eine weit verbreitete Unzufriedenheit mit der Königin ausmacht (S. 126ff.), so entbehrt dies nicht eines gewissen Charmes, ist aber doch weitgehend spekulativ. Das gleiche gilt für den Gedanken, Kaiser Karl IV. habe eine Hochzeit zwischen Elisabeth von Ungarn und Philipp dem Kühnen tatkräftig unterstützt, um eine Ehe zwischen Herzog Albrecht III. von Österreich und der Tochter des ungarischen Königs Ludwig I. zu verhindern, weil ihm dynastische Interessen wichtiger als staatliche oder gar nationale gewesen seien (S. 134ff.). Die programmatische Ankündigung, die bekannten Quellen und Ereignisse neu zu deuten (S. 102), mündet im Wesentlichen in zwei wenig orthodoxe Ergebnisse: Zum einen sei die französische „Außenpolitik“ hinsichtlich der stetigen Ausdehnung der französischen Einflusssphäre nach Osten nicht planvoll gewesen (S. 156ff.), zum anderen sei die Rückkehr des Papsttums nach Rom nicht gegen den Willen des französischen Königs, sondern mit seiner Billigung erfolgt, ja durch dessen finanzielle Unterstützung erst ermöglicht worden (S. 128ff., 159ff.). Für beides mag es gewisse Anhaltspunkte in den Quellen geben, zwingend sind die Schlussfolgerungen, die Weiß daraus zieht, indes nicht.

 

Im Anschluss daran befasst sich Philippe Genequand unter dem Titel „Entre regnum et imperium. Les attitudes des pays d’Empire de langue française au début du grand schisme d’Occident (1378-1380)“ mit der Haltung der französischsprachigen Reichslande in den ersten Jahren des von 1378-1417 währenden Großen Abendländischen Schismas (S. 165-195). Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist der Umstand, dass die Unterstützung der Valois dem in Avignon zum Papst gewählten Clemens VII. galt, während Kaiser Karl IV. und sein Nachfolger Wenzel in Urban VI., dem Nachfolger des nach Rom zurückgekehrten Papstes Gregor XI., den rechtmäßigen Papst erblickten. Darauf aufbauend befasst sich Genequand mit der Frage, wie sich die Parteinahme in den westlichen Grenzmarken des Reichs gestaltete, genauer gesagt, ob es innerhalb des Heiligen Römischen Reichs eine „nationale“ Opposition (S. 165) der ob ihrer Sprache vermeintlich oder tatsächlich zum Königreich Frankreich tendierenden westlichen Reichsteile – vom heutigen Belgien bis zur angevinischen Provence (S. 167) – gab. Vor allem anhand der zum Teil noch nicht edierten Korrespondenz der Kurie in Avignon untersucht er das politische Wirken Clemens’ VII. in den französischsprachigen Regionen des Reichs (S. 169ff.) und gelangt zu einem durchaus differenzierten Ergebnis: Einerseits hielten z. B. die Grafschaften Genf und Savoyen schon aufgrund familiärer Bande zu Clemens VII. (S. 171ff.); auch fiel die Dauphiné seit 1379, als Frankreich das Gebiet zur domain royal erhob und sich damit faktisch einverleibte, offiziell in die Obödienz der Avignoneser Päpste (S. 173). Was jedoch Burgund (S. 177ff.), Lothringen, das Elsass und Luxemburg (S. 182ff.) oder die Niederlande (S. 185ff.) betrifft, so macht Philippe Genequand anschaulich, dass es weniger „nationale“ Überlegungen, als vielmehr machtpolitische und dynastische Interessen waren, die einzelne – wenn auch nicht alle – Fürsten bewogen, dem teilweise massiven Werben Clemens’ VII. zu widerstehen bzw. sich im weiteren Verlauf des Schismas dem römischen Papsttum zuzuwenden (S. 184ff., S. 187ff.). Gewünscht hätte man sich in diesem Zusammenhang einige kurze Anmerkungen zu den Reaktionen des Prager Hofes auf die diplomatischen Bemühungen des Avignoneser Papstes bzw. die Auswirkungen, die das Schisma – vor allem angesichts der Problematik der geteilten Souveränität – auf die (immerhin Titel gebenden) deutsch-französischen Beziehungen im 14. und 15. Jahrhundert hatte.

 

Nur am Rande beschäftigt sich auch Robert W. Müller in seinem Beitrag über „François de Conzié (1356-1431) und die Politik der Kurie in Avignon bis zum Konzil von Pisa“ (S. 197-217) mit den deutsch-französischen Beziehungen. Der Hinweis, dass die Beziehungen zwischen regnum und imperium durch das Große Abendländische Schisma schwer belastet waren, und sowohl der französische König wie auch der römisch-deutsche Kaiser an der Überwindung des Schismas interessiert waren (S. 197), wird nicht weiter vertieft. Die wichtige Rolle, die der römisch-deutsche König (seit 1433: Kaiser) Sigismund bei der Überwindung der Kirchenspaltung spielte, wird nicht einmal am Rande erwähnt. Dafür erhält der Leser einen guten Eindruck von der Bedeutung, die dem Kämmerer der Avignoneser Päpste Clemens VII. und Benedikt XIII. hinsichtlich der Beendigung des Schismas zukommt.

 

Spannend sind die Ausführungen Martin Kintzingers („Entre exercise du pouvoir et droit des gens“) zur Diplomatie Kaiser Sigismunds gegenüber Frankreich (S. 219-233). Der von Kintzinger gewählte Ansatz, das Verhältnis von regnum und imperium aus dem Blickwinkel eines mittelalterlichen Völkerrechts zu erklären (S. 220), gefällt, wenngleich in terminologischer Hinsicht Zurückhaltung geboten ist: Von einem Völkerrecht im modernen Sinne kann hier nicht die Rede sein. Nach einem kurzen Überblick über die zur Stellung des Kaisers in der lateinischen Welt vertretenen Rechtsansichten (S. 220ff.) betont Kintzinger zutreffend, dass sich die Legisten am Ausgang des Mittelalters anschickten, die Beziehungen zwischen dem Heiligen Römischen Reich und den westlichen Königreichen unter Berücksichtigung des ius gentium neu zu definieren (S. 222f.). Für eine übergeordnete Autorität habe es um 1400 zwar durchaus Bedarf gegeben (S. 222); eine wie auch immer geartete Rolle des römisch-deutschen Kaisers, die über die eines reinen Vermittlers hinausgegangen wäre, musste jedoch in praxi am Widerstand vor allem der französischen Könige scheitern (S. 224). Dies veranschaulicht Martin Kintzinger anhand der Politik des 1410 zum römisch-deutschen König gewählten Luxemburgers, in der er das Beispiel einer modernen internationalen Politik sieht (S. 220). Ausgehend von der Frage, ob der seit 1337 tobende französisch-englische Krieg durch die Vermittlung des römisch-deutschen Königs hätte beendet werden können (S. 224), gelangt Kintzinger zu dem überzeugenden Ergebnis, dass man den zukünftigen (ab 1433) Kaiser wohl als mediator, niemals aber als arbiter akzeptiert hätte (S. 231ff.).

 

Von den ersten Ansätzen eines Patriotismus’ deutscher Färbung unter den Fürsten des Heiligen Römischen Reichs („un patriotisme impérial de nuance allemande“, S. 235) berichtet Petra Ehm-Schnocks („L’Empereur ne doit pas être un non-Allemand“, S. 235-248). Diese waren am Ende des 15. Jahrhunderts gegen Karl den Kühnen gerichtet, der als Herzog von Burgund zugleich Reichsfürst war, diesen Umstand aber in Opposition zu Kaiser Friedrich III. beflissentlich außer Acht ließ: Die Politik Burgunds gegenüber dem Reich war vor allem dadurch gekennzeichnet, dass man den eigenen Vasallenstatus gegenüber dem Reich weitgehend ignorierte (S. 237). Der Kaiser war aus Sicht Karls des Kühnen spätestens seit er sich unwillig gezeigt hatte, einen Kreuzzug gegen die Türken zu führen, als Führer der Christenheit diskreditiert (S. 238). Dennoch scheiterten die Bestrebungen des burgundischen Herzogs, zum römisch-deutschen König – und damit zum Nachfolger Kaiser Friedrichs III. – gewählt zu werden, bekanntlich, wie Petra Ehm-Schnocks anschaulich darstellt (S. 241ff.). Ob dies indes Ausdruck eines frühen Patriotismus’ deutscher Färbung war, oder ob es den Protagonisten unter den Kurfürsten letztlich nur um den Erhalt der eigenen Macht ging, bleibt letztlich offen.

 

Den Abschluss der Sammlung bildet der Beitrag Ilse Freudenthalers, die sich der Frage „René von Anjou (1409-1480) – ein Reichsfürst?“ widmet (S. 249-276). Unter Hinweis auf die komplexe und vielschichtige Wirklichkeit des 15. Jahrhunderts (S. 249) nähert sich Freudenthaler behutsam der bislang kaum erforschten Rolle des „guten Königs“ als Vasall des Kaisers: Der von der Geschichtsschreibung vor allem als französischer Fürst wahrgenommene René war nicht nur König von Jerusalem und Sizilien und Herzog von Anjou, sondern seit 1434 auch Herzog von Lothringen und Bar – und damit Reichsfürst. Nach einem kurzen Überblick über das Beziehungsnetz Renés von Anjou (S. 253ff.) widmet sich Freudenthaler zunächst den Beziehungen zu den Kaisern Sigismund, Albrecht II. und Friedrich III. (S. 255ff.); wiederum sind es nicht zuletzt die verwandtschaftlichen Verbindungen, die das Verhältnis zwischen den Fürsten prägen (S. 259). Dass der Angeviner seine eigenen Interessen konsequent über diejenigen des Reichs bzw. des Reichsoberhaupts stellte und zur Erreichung seiner Ziele vor allem auf die Zusammenarbeit mit dem französischen König Karl VII. setzte, macht die Autorin deutlich (S. 260ff.). Dennoch kommt Freudenthaler (ein wenig überraschend) zu dem Schluss, dass sich René von Anjou durchaus als Vasall des Reiches sah (S. 264) – und von den Fürsten des Reichs und den Reichsständen auch als solcher wahrgenommen wurde (S. 265ff.), wobei sie selbst einräumt, dass nach dem derzeitigen Forschungsstand viele Fragen zunächst weiter offen bleiben müssen (S. 266).

 

Alles in allem ist die Lektüre des Bandes äußerst anregend, ja kurzweilig. Dem Leser eröffnen sich neue Horizonte, die für die Zukunft weitere interessante Forschungsergebnisse über die „Außenpolitik“ im Spätmittelalter erhoffen lassen. Lediglich um eine Zeittafel sowie die ein oder andere Landkarte hätte der Band im Anhang bereichert werden können.

 

Passau                                                                        Stephan Schuster