Rechts- und
Sprachtransfer in Mittel- und Osteuropa. Internationale und interdisziplinäre
Konferenz in Leipzig vom 31. Oktober bis 2. November 2003, hg. v. Eichler,
Ernst/Lück, Heiner, red. v. Carls, Wieland (= Ius
Saxonico-Maideburgense in oriente - Das sächsisch-magdeburgische Recht als
kulturelles Bindeglied zwischen den Rechtsordnungen Ost- und Mitteleuropas 1).
De Gruyter, Berlin 2008. VIII, 332 S. Besprochen von Herbert Küpper.
2003/2004 richtete die Sächsische
Akademie der Wissenschaften die Arbeitsstelle „Das sächsisch-magdeburgische
Recht als kulturelles Bindeglied zwischen den Rechtsordnungen Ost- und
Mitteleuropas“ ein. Ziel des interdisziplinären Forschungsprojekts, an dem sowohl
deutsche als auch osteuropäische Wissenschaftler mitarbeiten, ist die
Aufdeckung der sprachlichen ebenso wie der rechtlichen Zusammenhänge der
Rezeption sowohl des Sachsenspiegels als auch des Magdeburger Rechts in
Osteuropa. Betrachtet wird ein Raum, der von Estland über das westliche
Russland bis hin zu Bulgarien und dem ehemaligen Jugoslawien reicht. Zur
Publikation der Ergebnisse des Projekts wurde eine Schriftenreihe „Ius
Saxonico-Maideburgense in Oriente“ eingerichtet, dessen erster Band nunmehr
vorliegt.
In diesem von Ernst Eichler
und Heiner Lück herausgegebenen Band sind die Ergebnisse der
Auftakttagung vom 31. Oktober bis 2. November 2003 in Leipzig vereinigt. Einführend
stellt Heiner Lück das Projekt vor. Ausgangspunkt der Forschung ist dabei
nicht das Magdeburger Recht als Gegenstand von Rechtsexport und Rechtsimport,
sondern die vor Ort als Ergebnis der Aufnahme entstandenen Rechtstexte. Diese
werden daraufhin untersucht werden, wie sie die Institutionen und die
Terminologie des deutschen Rechts in die Sprachen der rezipierenden Länder
umsetzen. Erkenntnisse erhofft man sich nicht nur für die Erstellung von
Wörterverzeichnissen und für Quelleneditionen, sondern darüber hinaus auch über
Strukturen von Rezeption und die Vergleichbarkeit der Rezeption des
sächsisch-magdeburgischen Rechts mit der Rezeption des römischen oder des
französischen Rechts in Westeuropa. Außerdem sollen am Ende des Projekts
Aussagen über das Fortleben tradierter sächsich-magdeburgischer
Rechtsinstitutionen und Rechtsbegriffe in den heutigen Rechtsordnungen der
untersuchten Länder stehen.
Neben dieser Projektbeschreibung als
„Zukunftsmusik“ gibt Lück zudem einen nach Ländern geordneten Überblick
über den momentanen Stand der Forschung zur Wirkung des sächsisch-magdeburgischen
Rechts in Osteuropa. Insbesondere für Polen, die Ukraine und die Slowakei weist
er umfangreiche Forschungen nach. Weniger weit, aber dennoch nennenswert ist
der Forschungsbestand in Bezug auf Litauen, Lettland, Estland, Weißrussland,
Tschechien, Ungarn und Rumänien, während für Russland, Bulgarien und das
ehemalige Jugoslawien ein Bedarf auch an grundlegender Forschung konstatiert
wird.
Die weiteren Beiträge in dem Band
dienen der Präzisierung des von Lück einleitend skizzierten vorhandenen
Forschungsstands und somit als Ausgangspunkt für die weiteren Arbeiten an dem
Projekt. László Blazovich geht auf den „Sachsenspiegel und das Recht der
Zips“ (S. 29-36) ein und schildert, wie die über Schlesien in die Zips
eingewanderte niederdeutsche Bevölkerung ihr heimisches sächsisches Recht
beibehielt und es unter dem Einfluss des Sachsenspiegels in der Zipser Willkür
kodifizierte. Artikelweise weist er nach, welche Vorschriften des
Sachsenspiegels welche Bestimmungen der Willkür beeinflussten; auch Abweichungen
werden dargestellt. Der Einfluss des umgebenden ungarischen Rechts wird nur an
einer Stelle kurz thematisiert, und hier hätte der Leser gerne mehr darüber
erfahren, warum die Liberalisierung der Rechtsstellung der Frau „nicht … dem
ungarischen Adelsrecht entnommen war“ (S. 33), obwohl sich die Willkür selbst
auf ungarische Rechtsansichten beruft, als sie die Rechtsstellung der Frau
großzügiger regelte als nach sächsisch-magdeburgischem Recht üblich war.
Es folgt ein Beitrag Friedrich
Ebels zum Einfluss des sächsischen Rechts in Livland (S. 37-43). Anschaulich
vermittelt er einen Eindruck, wie sowohl hanseatisch-lübisches Recht als auch
sächsisches Recht – zum Teil vermittelt durch das Hamburger Ordeelbok – die
Rechtsentwicklung im mittleren Baltikum prägten. Hierbei zeigt er auch auf, wie
die besondere Kolonialsituation der deutschen Herrenschichten im Land zu
lokalen Abänderungen von sächsischen Rechtsvorstellungen führte, z. B. im
Verzicht auf die sozialen Schutzbestimmungen zugunsten des Gesindes, denn dieses
bestand in Livland aus Einheimischen und daher Personen minderen Rechts.
Der Folgebeitrag Christian Hannicks
zu byzantinischen Einflüssen auf die osteuropäische Rechtsentwicklung (S.
45-60) fällt thematisch aus dem Rahmen der Länderberichte und sonstigen
Einzelberichte und hätte daher besser unmittelbar hinter die Einleitung oder
auch an den Schluss gepasst. Zunächst gibt der Autor einen Überblick über die
slawistische Literatur zu den ostslawischen Rechtsdenkmälern des Mittelalters
in westlichen und östlichen Sprachen. Es folgt eine Darstellung einiger
Eigenheiten bei der Rezeption byzantinisch-orthodoxer Rechtstexte durch die
Ostslawen und Südslawen. Verwirrend für den juristischen Leser ist, dass der
Autor hierbei „Zivilrecht“ offenbar als Gegenbegriff zum „Kirchenrecht“
verwendet, ohne seinen Sprachgebrauch zu definieren.
Aus der Feder Danuta Janickas
schließt sich eine Fallstudie zum Kulmer Recht des Hoch- und Spätmittelalters
an (S. 61-74). Sie schildert, wie sich auf der Grundlage des Magdeburger Rechts
durch Übernahme schlesischer und flämischer Elemente eine eigene, den
Bedürfnissen vor Ort besser angepasste Rechtsordnung mit eigenen „Kodifikationen“
entwickelte, für die Kulm am Ende selbst Rechtsvorort wurde. Interessant sind
die Einblicke in den Kulmer Rechtsalltag. Die Enge des Themas – im Vergleich zu
den anderen, eher als „Länderstudien“ angelegten Beiträgen – erlaubt der
Autorin eine Tiefe, auf welche die anderen Verfasser meist verzichten müssen.
Jolanta Karpavičienė widmet sich dem Forschungsstand zum
Magdeburger Stadtrecht in Litauen (S. 75-101). Sie gibt eine Übersicht über das
vorliegende rechts- und sonstige wissenschaftliche Schrifttum in Litauisch,
wobei deutlich wird, dass es vor allem an Studien zum Inhalt des Magdeburger
Rechts in Litauen und seine Evolution vor Ort fehlt. Stellenweise schimmern die
Unterschiede zwischen den ethnisch litauischen und den ostslawischen Teilen des
früheren Großfürstentums durch.
Diese Unterschiede und die Tatsache,
dass das vorliegende Werk seinen Stoff geographisch nach den heutigen Staaten
gliedert, rechtfertigt die von Litauen gesonderte Darstellung des
Forschungsstands zu Weißrussland. Diesen legt Olga Keller umfassend dar (S.
103-140). Die Beleihung der königlichen Städte mit Magdeburger Recht schildert
sie im Einzelfall mit den jeweils geltenden Abweichungen und Besonderheiten,
während die Geltung des Magdeburger Rechts in den landesherrlichen Städten nur
überblicksartig vorgestellt wird. Eine umfangreiche Liste der einschlägigen
weißrussischen und russischen Literatur schließt den Beitrag ab. Warum die
Autorin unter der Rubrik „Wörterbücher“ als einziges russisch-deutsches
juristisches Wörterbuch das 1967 in Leipzig erschienene Werk von Engelbert
nennt und die zahlreichen einschlägigen Neuerscheinungen der letzten zwei
Jahrzehnte trotz deren teils beachtlicher Qualität unterschlägt, geht aus der
Bearbeitung nicht hervor.
Der kleinrussische Kodex von 1743,
mit dem sich Mykola Kobylec’kyj (S. 141-155) beschäftigt, gehört unter
Zugrundelegung der heutigen Grenzen zur Rechtsgeschichte der Ukraine. Der
Beitrag zeigt den Diskussionsstand um das sächsisch-magdeburgische Recht als
eine der Hauptquellen des Kodex – neben dem Litauischen Statut und dem
örtlichen ukrainischen Gewohnheitsrecht – auf. Berücksichtigt wird vor allem
der Forschungsstand in der Ukraine und in Russland.
Der Wechselwirkung zwischen deutschem
– und damit auch deutschsprachigem – Recht und der Entwicklung der slowakischen
Rechtssprache ist der Beitrag Rudolf Kuchars (S. 157-166) gewidmet. Er
legt dar, dass das Deutsche neben altslawischen Beständen, tschechischen und
lateinischen Einflüssen einen starken Einfluss auf das spätmittelalterliche
Rechtsslowakisch gehabt hat.
Rolf Lieberwirth (S. 167-179) untersucht das
sächsisch-magdeburgische Recht in Polen. In begrifflicher Hinsicht plädiert er
dafür, die missverständlichen Ausdrücke „deutsches Recht in Polen“ oder
„deutsches Recht in Schlesien“ aufzugeben und stattdessen das zeitgenössische „ius
theutonicum“ als Fachterminus zu gebrauchen. Auch mit der Anwendbarkeit des
Begriffs „Rezeption“ setzt sich der Beitrag auseinander.
Es folgt wieder eine
sprachwissenschaftliche Arbeit. Eingangs untersucht Ilpo Tapani Piirainen
das Silleiner Stadtrecht von 1378 (S. 181-205). Dieses Stadtrecht ist schon
deshalb ein lohnender Forschungsgegenstand für Germanistik, Slawistik und
Rechtsgeschichte, weil die spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Texturkunden
teils in Deutsch, teils in Latein und später auch in Slowakisch abgefasst sind
und sich durch Übersetzungsfehler inhaltlich an manchen Stellen unterscheiden.
Hinzu kommt, dass Sillein 1370 sein Recht wechselte und das Teschener Recht
zugunsten des Karpfener Rechts aufgab. Der Autor formuliert die Eckpunkte der
wünschenswerten weiteren germanistischen Forschung zu diesem Dokument. Es folgt
eine v. a. sprachwissenschaftliche Bestandsaufnahme für das Zipser Recht und
weitere frühneuzeitliche Rechtstexte aus dem Gebiet der heutigen Slowakei.
Alexander Rogatschewski widmet sich dem vielschichtigen
Thema des Magdeburger Rechts auf dem heutigen Territorium Russlands (S.
207-287). Er geht von dem Befund aus, dass Stadtrechte im heutigen Russland
praktisch keine autochthonen Wurzeln haben, sondern stets von außen nach
Russland gebracht wurden: durch die italienischen Kolonien an der
Schwarzmeerküste, deren stadtrechtliche Tradition allerdings mit der türkischen
Eroberung abriss, durch die schwedischen Stadtrechtsverleihungen an der Ostsee
und in Karelien und schließlich durch die Deutschen, deren Einfluss er in drei
Kategorien gliedert: das deutsche Recht in Novgorod mit seiner
Hanseniederlassung, das deutsche – v. a. Kulmer – Recht im nördlichen
Ostpreußen sowie magdeburgisch beeinflusste Stadtrechte im westlichen Russland,
v. a. in der Region Smolensk. Für die letzten beiden Fälle legt der Beitrag den
Forschungsstand dar und stellt eine ‚„historiographische Wüste“ oder zumindest
… „Halbwüste“’ (S. 253) fest. Abschließend listet er für jeden Ort in seinem
Untersuchungsgebiet die Beleihung mit deutschem Stadtrecht und die hierzu
überlieferten Urkunden auf.
Der letzte Beitrag Aleksander
Zajdas (S. 289-304) untersucht die Einflüsse des Deutschen auf die
altpolnische Rechtssprache. Die zeitliche Grenze zieht der Autor bei etwa 1600.
Erste Einflüsse erkennt er bereits in der Mitte des 13. Jahrhunderts, während
eine intensivere Beeinflussung für das 14./15. Jahrhundert festzustellen ist.
Entlehnungen aus dem Deutschen betreffen fast nur deutschrechtliche
Institutionen, während die übrige Rechtsterminologie slawisch bleibt, aber Lehnübersetzungen
aus dem Deutschen aufweist. Seine Thesen belegt der Autor mit zahlreichen
konkreten Beispielen, die er nach Rechtsinstituten ordnet. Diese Beispiele
zeigen, dass vieles den dauerhaften Sprung aus dem begrenzten Milieu des
Stadtrechts in die allgemeine polnische Rechtsterminologie nicht geschafft hat,
sondern bestenfalls vorübergehend von polnischen Juristen und/oder Urkunden
verwendet wurde.
Der Inhalt der Beiträge ist
heterogen, was die Interdisziplinarität des Projekts reflektiert. Vergleichbar
sind die Beiträge untereinander daher aber nicht. Dies ist bei einer Einleitung
eines solchen Projekts nicht so schlimm, da so auch Forschungsdefizite
aufgedeckt werden. Und die Vergewisserung über den Forschungsstand und die
Desiderate für weitere Arbeit war einer der Hauptzwecke der Tagung, deren
Materialien der vorliegende Band vereint.
Nicht alle Beiträge sind von gleich
hohem Niveau. In diesen Schwankungen spiegeln sich zum einen die Schwerpunktsetzungen
und Fähigkeiten der einzelnen Autorinnen und Autoren, zum anderen aber auch die
Heterogenität der beschriebenen Forschungsstände wider. Manche der
sprachwissenschaftlichen Beiträge sind für einen Juristen ohne Vorkenntnisse
der Linguistik nur schwer verständlich, da viele Zusammenhänge als bekannt
vorausgesetzt und daher nicht näher dargelegt werden. Vermutlich gilt dasselbe
für manche rechtswissenschaftlichen Arbeiten aus Sicht anderer
Fachwissenschaftler. Wenn das Ziel eines interdisziplinären Projekts nicht
darin besteht, Beiträge unterschiedlicher Disziplinen nebeneinander zu stellen,
sondern zueinander in Beziehung zu setzen und miteinander in eine Kommunikation
zu bringen, dann wäre es Aufgabe der Projektleiter und Herausgeber, bei den
noch kommenden Publikationen darauf zu achten, dass die Beiträge auch aus der
„Laienperspektive“ der Vertreter anderer Disziplinen verständlich sind. Das mag
für den Autor im ersten Moment als eine „Absenkung“ seines wissenschaftlichen
Niveaus erscheinen, aber echtes interdisziplinäres Niveau besteht eben darin,
Fachfremden das eigene Fach auf der Höhe seines Niveaus verständlich vermitteln
zu können. In einigen wenigen Beiträgen schimmert durch das Deutsch die
Ausgangssprache des Autors durch, was diese sprachlich schwerfällig macht und das
Lesevergnügen beeinträchtigt. Mehr Sorgfalt bei der Übersetzung und/oder beim
Lektorat hätte für eine bessere sprachliche Qualität der Beiträge sorgen
können. Insgesamt weist der Band auf ein viel versprechendes Forschungsprojekt
hin, und der rechtshistorisch Interessierte kann mit Spannung auf die
Folgebände warten.
München Herbert
Küpper