Petersohn, Jürgen, Franken im Mittelalter. Identität und Profil im Spiegel von Bewusstsein und Vorstellung (= Vorträge und Forschungen Sonderband 51). Thorbecke, Ostfildern 2008. 368 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Obwohl das seit 258 n. Chr. genannte Volk der Franken den Untergang des weströmischen Reiches nicht verursacht, sondern nachträglich daraus Nutzen gezogen hat, sind die Franken die bestimmende Macht des europäischen Frühmittelalters, deren latinisierter Name mit dem Gebiet zwischen Rhein, Pyrenäen und Atlantik bis zur Gegenwart eindrucksvoll verbunden ist. Östlich des Rheins ist von ihnen nur eine bescheidene Spur erhalten geblieben. Im Gegensatz vor allem zu Bayern und Sachsen, aber auch zu Thüringern, Friesen und Schwaben sind die Verbindungslinien zwischen den Anfängen und der Gegenwart schwach und schief.

 

Umso verdienstvoller ist es, dass sich Jürgen Petersohn in Würzburg Frankens besonders angenommen hat. Ausgangspunkt hierfür war nach seinem Vorwort Andreas Kraus’ Angebot, Franz-Josef Schmales Beitrag Bildung und Wissenschaft, lateinische Literatur, geistige Strömungen im Band Franken/Schwaben von Max Spindlers Handbuch der bayerischen Geschichte aus dem Jahre 1971 für dessen Neuausgabe auf den aktuellen Stand zu bringen. Die dem folgende Beschäftigung mit der schriftlichen Überlieferung Frankens im frühen und hohen Mittelalter ließ ihn darauf aufmerksam werden, dass die jüngere Kilianspassio des 10. Jahrhunderts die Verfassungsverhältnisse der betroffenen Landschaft im 7. Jahrhundert anachronistisch bestimmte, weshalb er sich die Frage nach den Funktionen und den Erkenntnisaussagen von Bewusstsein und Vorstellung in der mittelalterlichen Geschichte Frankens stellte, die auch für ihn selbst zu den überraschenden Erkenntnissen führten, aus der Eigenart und Verdichtung kollektiver Bewusstseinsbelege für ein fränkisches Selbstverständnis um 900 die Ethnogenese Frankens in dieser Zeit zu folgern, die Babenbergerfehde als Kampf um die Konstituierung bzw. Verhinderung einer prinzipalen Stammesherrschaft in den Mainlanden anzusehen und den Dukat der Würzburger Bischöfe als Ergebnis einer beharrlichen Umsetzung von Vorstellungsbilden zu erklären.

 

Im Laufe der Beschäftigung mit diesem Vorhaben hat sich dessen ursprüngliche Zielsetzung erheblich erweitert und verändert. In dem Maße, in dem aus den Quellen seit dem 8. Jahrhundert ein fränkisches Eigenbewusstsein hervortrat, stellte sich die Frage nach dem Substrat als Träger der Äußerungen. Der Versuch der Beantwortung führte nach den Worten des Verfassers zur Aufdeckung ethnogenetischer, politischer, kultur- und verfassungsgeschichtlicher Zusammenhänge, die bisher entweder nicht gesehen oder völlig anders gedeutet worden waren.

 

Sein Bestreben, gewissermaßen einen aussagelosen Wirrwarr von Eisenfeilicht durch Anbringung eines Magneten geordneten Strukturen zuzuführen, setzt der Verfasser auf der Grundlage eines umfangreichen Quellen- und Literaturverzeichnisses in fünf Schritten um. Voranstellt er Prolegomena, die sich mit Bewusstsein und Vorstellung als Kategorien historischer Erkenntnis und mit Franken als Begriff und Zuordnung befassen. Dabei richtet er sein Interesse besonders auf die Bewusstseinsinhalte und Vorstellungen, welche die handelnden und reflektierenden Zeitgenossen mit Franken bezogen auf die Mainlande jenseits von Spessart, Rhön und Odenwald verbanden, um Sachverhalte zu deuten, deren Erklärung mit den klassischen Zugriffsweisen der Geschichtswissenschaft bislang nicht gelungen ist.

 

Der Verfasser beginnt mit Franken in Bewusstsein und Vorstellung des frühen und hohen Mittelalters. Dabei behandelt er zuerst die Aussagebereiche vom Frankennamen in den Mainlanden über die Würzburger Hagiographie bis zu Raum und Recht. Danach untersucht er Möglichkeiten und Grenzen, Formen und Inhalte fränkischen Eigenbewusstseins der erfassten Zeit, wobei er zu der Erkenntnis gelangt, dass sich die Bewohner der Landschaften östlich von Rhön, Spessart und Odenwald, abgesehen vom Rechtsbewusstsein, nie als Teil einer größeren Francia verstanden, aber seit der Wende des 9. zum 10. Jahrhundert beanspruchten, eine individuelle ethnische Einheit in einem ihnen seit alters zugeordneten Raum darzustellen.

 

Der zweite Teil befasst sich mit den geschichtlichen Hintergründen. Er schildert das Werden Frankens um 900 und Frankens Weg in die Eigenständigkeit. Er verläuft nach dem Verfasser in fünf Schritten vom merowingerzeitlichen Dukat der Hedenen über die karolingische, in etwa mit dem Bistum Würzburg übereinstimmenden Königsprovinz, den Durchbruch eines fränkischen Eigenbewusstseins vom späten 9. bis zum frühen 10. Jahrhundert und die Einbeziehung dieser Großlandschaft in die quasiherzogliche Francia-Herrschaft der Konradiner zwischen 906 und 939 bis zur erneuten und endgültigen Freisetzung Frankens in der Rechtsform einer Königsprovinz unter Otto dem Großen in den 40er Jahren des 10. Jahrhunderts.

 

Der etwas kürzere dritte Teil hat Vorstellungskonstanten fränkischen Selbstverständnisses und ihre geschichtlichen Wirkungen zum Gegenstand. Dies betrifft das Herzogtum Ostfranken der Bischöfe von Würzburg vom frühen Mittelalter bis zum Beginn der Neuzeit. Dabei erweist sich die Konzeption des fränkischen Dukats als ein ideeller Traditionskern fränkischen Selbstverständnisses, der wegen der einseitigen Instrumentalisierung durch die Bischöfe Würzburgs aber keine allgemeine Funktion im breiteren Frankenbewusstsein entfalten konnte, so dass die vorstellungsgeschichtliche Zukunft dem unpolitischen und allseits konsensfähigen Begriff Land der Franken gehörte.

 

Der vierte Teil widmet sich Franken in Bewusstsein und Vorstellung des späten Mittelalters. Dazu wird zunächst die Frage Landschaft oder Land in der Wahrnehmung der Zeitgenossen geprüft. Danach ist das fränkische Landesbewusstsein Gegenstand von Ermittlungen in lehrhafter Dichtung, im Alltagsleben, in den politischen Teileinheiten (Würzburg, Henneberg, Bamberg, Burggrafschaft Nürnberg und Reichsstädten), in Adel und Universitäten, wobei als Ergebnis zu Tage tritt, dass Denken und Handeln der Landesbewohner zutiefst geprägt waren von der Überzeugung, die Lebenswirklichkeit nach Regeln und Traditionen zu gestalten, die für Franken typisch waren, wobei sich das Land zu Franken letztlich als ein Gebilde erweist, das durch den Konsens seiner Landesgenossen konstituiert und durch dessen Umsetzung funktionsfähig erhalten wurde, das aber als selbständige Existenzform unterging, als dieser Zusammenhang seine Verbindlichkeit verlor.

 

Dementsprechend wendet sich der fünfte Teil Identitätsproblemen beim Aufbruch in die Neuzeit zu. Das betrifft vor allem die Reichskreiseinteilung als Herausforderung des fränkischen Selbstverständnisses, wobei für die Distanz zu Franken der Verfasser Nürnberg, Hall, Eichstätt und Fulda besonders herausgreift. Den Abschluss bildet ein Ausblick auf die anschließnede jüngere Zeit, in der zu Beginn des 19. Jahrhunderts Franken eine leichte und willkommene Beute Bayerns, Badens und Württembergs wurde und der Name Franekn von der Landkarte verschwand, bis ihn König Ludwig I. 1837 für Bayern und in wiederbelebte.

 

Am Ende steht die Überzeugung des Verfassers, dass die Geschichte Frankens und seines Eigenbewusstseins bei weitem noch nicht an ihr Ende gekommen ist. Die eindringliche, durch ein Register von Aachen bis Zweifel abgerundete Studie wird zweifelsohne dazu beitragen, dass die Zukunft Stoff für weitere Kapitel dieser Thematik bereitstellen wird. Dafür können alle Franken wo auch immer dem Verfasser aufrichtig danken.

 

Innsbruck                                                                                                       Gerhard Köbler