Müller, Jan Werner, Ein gefährlicher Geist. Carl Schmitts
Wirkung in Europa. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2007. 300 S.
Linder, Christian, Der Bahnhof von Finnentrop. Eine Reise ins Carl Schmitt Land.
Matthes & Seitz, Berlin 2008. 478 S.
Mehring, Reinhard, Carl Schmitt zur
Einführung, 3. Aufl. Junius Verlag, Hamburg 2006. 159 S. Besprochen von Bernd
Rüthers.
Die Flut von Büchern über den 1985 mit 97 Jahren
verstorbenen Carl Schmitt reißt nicht ab. Hier sei auf drei Publikationen
hingewiesen, die den immer noch wachsenden Berg der „Schmittiana“ ergänzen.
I.
Jan-Werner Müller, deutscher Herkunft, Professor in Princeton und am All Souls College der Universität Oxford, hat – auf den Spuren
der Dissertation von Dirk van Laak („Gespräche in der Sicherheit des
Schweigens“, Berlin 1993) – die Wirkungen Carl Schmitts während der zurückliegenden
Jahrzehnte in Westeuropa und darüber hinaus in den USA analysiert. Für die
deutschen Leser bringt er nicht viel Neues, denn hier ist zu Schmitt fast alles
gesagt und geschrieben, wenn auch noch nicht von allen, wie sich an der
lebendig sprudelnden Quelle der Schmitt-Literatur immer wieder zeigt. Immerhin
beschreibt er noch einmal ausführlich die verschlungenen Wege der deutschen
Geistesgeschichte (Jurisprudenz, Philosophie, Soziologie) in der Nachkriegszeit
unter dem Einfluss der Schmitt-Schule und der Jünger-Generation sowie ihre
Ausstrahlungen auf die romanischen Länder und die Vereinigten Staaten. Müller
schreibt aus der Sicht eines philosophischen und politischen Liberalen. Er
bemüht sich um eine nüchterne und sachliche Betrachtungsweise. Das ist nicht
ganz einfach bei der Wirkungsanalyse eines literarisch wie politisch ungemein
ehrgeizigen Mannes, dessen Grundpositionen in allen politischen Systemen
zwischen 1914 und 1980 einen konsequenten Antiliberalen und Antidemokraten
ausweisen.
Die Studie
betrachtet das Schrifttum Schmitts primär unter philosophischen Aspekten. Seine
Rolle als „Kronjurist des Dritten Reiches“ (so sein emigrierter Schüler
Waldemar Gurian) wird zwar erwähnt, tritt aber in den Hintergrund seiner
Wirkungsgeschichte während der NS-Zeit. Die Gespaltenheit der Person Schmitt
zwischen genialer Analysekompetenz und personaler Urteilsschwäche (so sein
Schüler Rüdiger Altmann), die zuerst bei der Wahl seiner ersten Ehefrau, einer
Hochstaplerin mit zweifelhafter Vergangenheit, später bei seiner Ergebenheit
gegenüber den Mordbefehlen Hitlers am 30. Juni 1934 und dessen mörderischen
Antisemitismus deutlich wird, ist von Müller allenfalls angedeutet, aber nicht
präzise erkannt und gewürdigt. Die juristischen Dimensionen des Werkes Schmitts,
die schillernde Vieldeutigkeit seiner oft verführerisch scheinklaren
Begriffsbildungen bleiben so schwer erkennbar.
Die
intensive Beschäftigung mit dem „gefährlichen Geist“ hat auch beim Autor, wie
bei vielen anderen biographisch angelegten Werkanalysen, zu einer
unverkennbaren Faszination und emotionalen Annäherung an den umstrittenen
‚Helden‘ geführt. Das wäre vielleicht gebremst worden, hätte Müller die
Wirkungsanalyse mit einer personalen Substanzanalyse des zweifellos
wirkungsmächtigen Schmitt verbunden. Dafür liegt mit den inzwischen
publizierten Tagebüchern, den autobiographischen Schriften („Ex captivitate
salus“, „Glossarium“) und den vielen Bänden von Briefwechseln Schmitts mit
Zeitgenossen (u. a. mit Ernst und Greta Jünger, Ernst Forsthoff, Hans
Blumenberg, Armin Mohler und Álvaro d’Ors) ein reichhaltiges Material vor. Es
blieb weitgehend ungenutzt, obwohl der Titel des Buches die Aufklärung über
einen gefährlichen Geist in Aussicht stellt. Gleichwohl handelt es sich um ein
lesenswertes Buch, weil es die bis in die Gegenwart dauernden, internationalen
Breitenwirkungen Schmitts deutlich und bewusst macht.
Das
Buch ist mit einem lesenswerten Vorwort von Michael Stolleis versehen, in dem
er schreibt: „Wenn ein Klassiker sich dadurch auszeichnet, dass seine Texte
immer neu debattiert und … gedeutet werden, dann ist Schmitt ein Klassiker
geworden.“ Stolleis hatte das von H. Quaritsch 1986 in Speyer veranstaltete
Seminar „Was bleibt von Carl Schmitt?“ etwas anders kommentiert. Unter dem Titel
„Die Jünger am Grabe“ qualifizierte er Schmitt als einen „hochgebildeten
Polit-Denker, Wortzauberer, Staats- und Rechtstheoretiker, dessen
Intellektualität, Gedankenschärfe und Formulierungsgabe man genießen kann“,
zugleich als einen „Lieferanten freiheitsfeindlicher Stichworte, Verräter
seiner jüdischen Freunde, Inhaber hoher NS-Ämter und -Titel“, einen „der
furchtbaren Juristen“ im spezifischen Sinn jenes Terror- und Mordsystems.[1]
Die Definition Schmitts als „Klassiker“ war bisher den Jüngern der Schmitt-Gemeinde
vorbehalten. Für einen Hymniker der ersten Massenmorde Hitlers und seines
Angriffskrieges wirkt die Kennzeichnung eher überraschend. Der Begriff des Klassikers
ist, wie so vieles in der Rechtswissenschaft, offenbar dem Wandel des
Zeitgeistes unterworfen. Wenn auf personale Substanz verzichtet wird, erweitert
sich sein Wortfeld erheblich.
II.
Das
Buch Christian Linders ist, wie schon sein Titel „Der Bahnhof von Finnentrop“
andeutet, aus ganz anderer Perspektive geschrieben. Linder ist Sauerländer, als
Feuilleton-Journalist besonders auf Reisereportagen spezialisiert und schreibt
mit der Entdeckung eines bisher unbekannten „Carl Schmitt Landes“ im Untertitel
eine spezielle Art Heimatbuch. Es geht ihm offensichtlich um eine Ehrenrettung
für seinen schillernden Helden. Das umfangreich von ihm vorgeführte
Quellenmaterial ist mit unbedeutenden Ausnahmen seit langem bekannt. Dem Autor
geht es, wie einer der Rezensenten schreibt, um „starke Deutungen“.[2]
An denen fehlt es in dem Buch nicht. Für den rechtswissenschaftlich oder staats-philosophisch
interessierten Leser bringt das 478 Seiten umfassende Buch nichts Neues. Er
erfährt, dass Schmitt in der Sicht des Autors „eines der größten Rätsel der
europäischen Geistesgeschichte“ und „der weltweit meistdiskutierte Denker der
Gegenwart“ geworden ist“. Linder geht den Lebensstationen seines Helden im Sine
einer erdachten Biographie nach und erweitert sie, wo es ihm geraten erscheint,
durch ein fiktives Zwiegespräch. Er bescheinigt ihm eine vermeintlich „zeitweise Nähe zum Nationalsozialismus“;
diese war allerdings über Jahre hin, um im Bild zu bleiben, hautnah und dauerte
ausweislich seiner Schriften vom März 1933 bis in die letzten Publikationen vor
dem Zusammenbruch des NS-Regimes.
Die
zahlreichen Quellen werden selektiv, nicht selten beliebig aufgelistet und verwendet.
Was nicht in das gewünschte Bild des „Meisterdenkers“ passt, hat keine Chance,
im Text oder in den 865 Anmerkungen erwähnt zu werden. Linder will in einer
umfassend recherchierten literarischen Großreportage dem, wie er meint,
geheimnisumwitterten Lebens- und Denkzentrum Schmitts näher kommen. Nach den zahlreich
vorliegenden autobiographischen Dokumenten sind allerdings in dem Buch keine
bisher unbekannten Geheimnisse zu entdecken. Da der Autor, wie in der
Schmitt-Gemeinde üblich, die finstersten Stationen diese Biographie allenfalls
vage andeutet, gewinnt er breiten Raum für seine Zielsetzung der Glorifizierung
eines vermeintlich Großen und Klassikers. Es geht, im Stil der Ehrenrettung
eines verkannten Sauerländers, darum, an die Stelle des „Ungeheuers“, des
„Dämonen“ und „Verbrechers“ Carl Schmitt ein Gegenbild geistesgeschichtlicher
Größe des Helden und des Katechons zu setzen.
Dabei
fehlt es durchaus nicht an kritischen Einlagen. Linder definiert Schmitt als
Geschichtsphilosophen, dessen Wahrheiten nur für wenige bestimmt sind. Er
feiert ihn auf den Spuren Hermann Lübbes als Romantiker und Dramatiker des
permanenten Ausnahmezustandes, hält ihn zugleich für tiefsinnig und weltfremd.
Er stilisiert den eifrigen juristischen Berater und Begleiter der
Hitlerdiktatur und ihrer Verbrechen zum vermeintlichen Querdenker im
Nationalsozialismus. In seinen Publikationen aus dieser Zeit ist davon nichts
zu entdecken; perfekte Tarnung?
Das
Buch enthält zahlreiche interessante Bilder aus der Lebensgeschichte Schmitts,
die aus dem Archiv von Ernst Hüsmert stammen, des Bewahrers und der ‚guten
Seele‘ des Carl-Schmitt-Gedächtnisses.
III.
Das
dritte anzuzeigende Buch über Carl Schmitt stammt von Reinhard Mehring, einem
ausgewiesenen Schmitt-Kenner. Es ist aus seiner Dissertation hervorgegangen und
zuerst 1992 erschienen. Nunmehr liegt es in 3. ergänzter Auflage von 2006 vor.
Mehrings kurzer Aufriss von Leben und Werk Schmitts zeichnet sich durch
vorsichtig-kritische Distanz aus. Er gibt der Schilderung des Werdeganges einen
breiten Raum. Durch die zwischenzeitlich erschienenen Dokumente zum Leben
Schmitts ist jetzt manches bereits besser und detailgenauer bekannt. Einen
besonderen Reiz erhält seine Darstellung durch den Umstand, dass der Verfasser
auf einer Tagung in Potsdam im März 2008 bereits Teilergebnisse einer
umfangreichen Biographie zu Schmitt vorgestellt hat, die demnächst erscheinen
soll.
Mehring
geht von dem Antiliberalismus Schmitts aus, der bereits den Anfang seines
publizistischen Wirkens bestimmt. Seine Darstellung ist nüchtern und
zurückhaltend, was ihm auch den Zugang zu den Archivmaterialien offenkundig
erleichtert hat. Die Zuspitzungen im Denken Schmitts erhalten dabei
gelegentlich etwas weiche Konturen, etwa die radikale „Freund-Feind“-Definition
des Politischen, die Ergebenheit und Anbiederung gegenüber den neuen
Machthabern nach 1933, der geifernde Antisemitismus auf der berüchtigten, von
Schmitt organisierten Tagung zum „Kampf der deutschen Rechtswissenschaft wider
den jüdischen Geist“ im Oktober 1936 und die rechtzeitig 1938 zum geplanten
Angriffskrieg Hitlers entwickelte Großraumtheorie für ein neues Völkerrecht. Er
schildert die sachlichen Argumentationsstränge und auch die biographischen
Verstrickungen Schmitts mit Kennerschaft, geht auch auf die Kontroversen ein,
die seine rechts- und verfassungs-theoretischen Positionen ausgelöst haben.
Alles wird korrekt dargestellt, aber in möglichst mildem Licht und auch die
Auswahl der literarischen Quellen lässt auf Vorsicht bei der Einnahme eigener
Standpunkte schließen.
Das
Taschenbuch ist für den eiligen Leser, der eine kurze, gut lesbare Einführung
in das Denken und Wirken Schmitts sucht, auch heute noch eine gute Hilfe. Die
Vielschichtigkeit und die Abgründe dieser schillernden Existenz werden aber nur
andeutungsweise sichtbar. Das Buch ist auf der Linie der „liberalen Rezeption“
Schmitts durch Hermann Lübbe und Reinhard Koselleck geschrieben, wird aber von
der Kritik bisweilen, man könnte vielleicht meinen nicht ganz zu Unrecht, als
„Bombenentschärfung“ eingestuft. Die Gefahr, dass daraus spät zündende
Blindgänger für beliebige gewaltbereite Gruppen werden könnten, ist allerdings
erheblich. Das wäre dann nicht die Entschärfung sondern die Lagerung von Sprengstoff.
Auch in der fortgesetzten internationalen Diskussion habe die fragwürdigen
Schmitt‘schen Positionen zur „Freund-Feind“-Verengung des Politikbegriffs, zur
Verherrlichung des „Ausnahme-Zustandes“ und zur Idealisierung eines
monokratischen Staatsverständnisses nichts von ihrer Verführungskraft, ja
Demagogie in radikalen Denkmustern verloren.
IV.
Die
neuen Bücher und Neuauflagen zu Schmitt führen zu der Frage: Gibt es besondere
Gründe für diese Renaissance von Schmitt-Literatur. Thomas Darnstädt hat im SPIEGEL
(39/2008) einen Carl-Schmitt-Essay dazu geschrieben mit dem Titel „Der Mann der
Stunde“. Er meint, die neuerliche Welle der Schmitt-Literatur gehe auf das mit
dem 11. September 2001 neu entstandene Feindbild und den „Krieg gegen den
Terror“ zurück, der seither in mehreren Ländern geführt werde. Das rufe die
Anhänger zentraler Denkfiguren Carl Schmitts auf den Plan. Sie hätten ohnehin
seit langem „sehnsüchtig auf den Ernstfall“ gewartet.
Schon 1985 war der Bonner Strafrechtslehrer Günther Jacobs
für eine Erweiterung des Strafrechts eingetreten.[3]
Unter dem Eindruck der wachsenden Terrorgefahr, der gesetzgeberischen Maßnahmen
nach den Attentaten 2001 und der innenpolitischen Diskussion in Deutschland schlug
er 2004 dafür vor, neben dem allgemeinen „Bürgerstrafrecht“ ein spezielles
„Feindstrafrecht“ zu schaffen.[4]
Dieses Feindstrafrecht ist gedacht als ein Instrument
der Gefahrenabwehr.
Es soll als die als Feinde definierten Menschen mit den Mitteln eines von rechtsstaatlichen
Bindungen befreiten Strafrechts an der Begehung von Straftaten bereits im
Vorfeld einer konkreten Rechtsgutsverletzung hindern.
Jacobs meint, der „prinzipielle Abweichende“ könne nicht als „Bürger“ behandelt, er müsse als „Feind“ bekriegt werden. Wer nicht eine Mindestgarantie rechtstreuen Verhaltens biete, um ihn als Person behandeln zu können, müsse notfalls – man erlaube den Ausdruck – kaltgestellt werden. Feinde seien aktuell „Unpersonen“. Er meint damit Terroristen, organisierte Kriminelle, Sexualstraftäter sowie alle, die sich dauerhaft vom Recht abgewandt haben.
Dabei ist zu beachten: Strafrecht sanktioniert konkret begangene Straftaten, nicht aber Gefahrenlagen. Das „Feindstrafecht“ ist also kein Strafrecht im herkömmlichen Sinn, sondern ein Sonderstrafrecht für als gefährlich eingestufte mögliche Täter schon vor der Begehung von Straftaten. [5]
Es soll als ein von rechtsstaatlichen
Garantien befreites Instrument nicht mehr zur Ahndung begangener Straftaten, sondern der Abwehr
drohender und befürchteter künftiger
Straftaten dienen. Das Strafrecht wird gegen seinen dogmatischen Zweck und
seine systematische Funktion in ein Instrument der Gefahrenabwehr verwandelt. Das ist aber nicht die Aufgab de
Strafrechts, sondern die klassische Aufgabe der Polizei. Es schafft die Gefahr,
dass unter dem Mantel des Strafrechts die Grundrechtsgarantien der Bürger
eingeschränkt oder beseitigt werden. Ergänzend wird in diesem Zusammenhang gern
der Verfassungsrechtler Gerd Roellecke - in der Wortwahl sehr nahe bei C.
Schmitt – zum „Feindstrafrecht“ zitiert: "Feinde
bestraft man nicht. Feinde ehrt und vernichtet man." Die Vernichtung der
Feinde hat allerdings in der Geschichte deutlich den Vorrang vor den Ehrungen.
Die
Publikationen von Jacobs haben eine lebhafte Diskussion ausgelöst.[6]
Der Vorschlag, die „Feinde“ zu „Unpersonen“ zu erklären, und unter ein
Sonderstrafrecht zu stellen, ruft bedrückende Erinnerungen an die fatale deutsche
Geschichte und Rechtsgeschichte in zwei totalitären Systemen wach. Genau das
ist nach 1933 mit den „Rassefremden“, vorher in der Sowjetunion und später in
der DDR mit den „Klassenfeinden“ geschehen. Die Neudefinition oder gar die die Aberkennung
der Rechtsfähigkeit wie der Staatsbürgerschaft für Fremdrassige und/oder politische
Feinde in beiden Diktaturen sowie ihr Ausschluss aus der „Volksgemeinschaft“
und der „sozialistischen Menschengemeinschaft“ geschah terminologisch mit
ähnlichen Mitteln.[7] Das
politische Strafrecht beider Systeme hatte deutliche strukturelle Analogien.
Vor diesem
Hintergrund bekommt der Satz von Günther Jakobs, mit dem er das Feindstrafrecht
legitimiert, eine neue Klangfarbe: „Der
prinzipiell Abweichende kann nicht als Bürger behandelt, sondern muss als Feind
bekriegt werden.“ Dieser Krieg soll abseits der grundrechtlichen
Rechtsgarantien geführt werden können. Die Weise der Kriegführung soll nach
Jacobs davon abhängen, was vom Feind befürchtet wird. Dafür gibt es allerdings
inzwischen nicht nur in Guantanamo anschauliche Beispiele.
Die
geistigen Wurzeln dieser Vorstellungen sind ebenfalls leicht nachweisbar. Der
Begriff „Feindstrafrecht“ verweist auf zwei zentrale Denkfiguren der Lehren Carl
Schmitts, nämlich sein „Freund-Feind“-Schema und seine Faszination durch den
„Ausnahmezustand“:
„Die spezifisch politische Unterscheidung, auf welche
sich die politischen Handlungen und Motive zurückführen lassen, ist die
Unterscheidung von Freund und Feind.” [8]
„Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand
entscheidet“ … „Das Normale beweist nichts, die Ausnahme beweist
alles; sie bestätigt nicht nur die Regel, die Regel lebt überhaupt nur von der
Ausnahme. Der Ausnahmezustand
offenbart das Wesen der staatlichen Macht“.[9]
Damit sind zwei zentrale Denkfiguren Carl Schmitts erneut in das öffentliche Bewusstsein getreten, ohne dass diese Verbindung zu dem Werk des umstrittenen Kronjuristen des Dritten Reichs immer deutlich wird. Es geht um das „Freund-Feind“-Schema und seine praktische Umsetzung in einem „Ausnahmezustand“:
„Die spezifisch politische Unterscheidung, auf welche
sich die politischen Handlungen und Motive zurückführen lassen, ist die
Unterscheidung von Freund und Feind.” [10]
Er definiert also seine Vorstellung des „Politischen“ nach der Einteilung der Menschen in „Freunde“ und „Feinde“. Der Kampf zwischen ihnen ist für ihn das Wesensmerkmal aller Politik. Dieser Kampf schließt ausdrücklich die „reale Möglichkeit des physischen Tötens“ ein, die Ausmerzung jedes denkbaren innen- und außenpolitischen Gegners.[11]
Folgerichtig führt der Begriff des „totalen Feindes“ zum „totalen Krieg“. Schmitt schreibt 1937, angesichts des kriegsbereiten Hitler-Regimes, einen Aufsatz mit dem programmatischen Titel „Totaler Feind, totaler Krieg, totaler Staat“[12]. Der Begriff totaler Feind führt Schmitt zu der zweiten von ihm zum Hauptmerkmal seines Staatsdenkens erhobenen Denkfigur, dem Ausnahmezustand.
Dazu schreibt er:
„Der Ausnahmezustand offenbart das Wesen der
staatlichen Macht am klarsten… die Autorität beweist, dass sie, um Recht zu
schaffen, nicht Recht zu haben braucht.“.[13]
Solche und ähnlich lapidare Formeln haben bei Intellektuellen aller radikal-ideologischen Richtungen seither immer wieder Anklang gefunden. Es gehört wenig Klarsicht dazu, ihre Schwächen und Risiken zu erkennen. „Not kennt kein Gebot“ lautet die von Schmitt ausgegebene Parole. Die Ausnahmelage wird von ihm zum Zustand der Rechtlosigkeit zugunsten des gerade Mächtigsten erklärt. Er legitimiert die Machtergreifung jedes erfolgreichen Putschisten und gibt ihm Rechtsetzungsgewalt. Schmitt verkennt oder verleugnet das Ziel jeder staatlichen Normsetzung, auch und gerade das einer Notstandsregelung. Die „Notstandsverfassung“ ist gerade die staatliche Absage an die Rechtlosigkeit in der Ausnahmelage. Das unterscheidet den demokratischen Verfassungsstaat von allen Formen der Monokratie[14], dem Leitbild des Schmitt‘schen Staatsverständnisses. Die gesetzlichen Regeln für die Ausnahmelage sind in der Demokratie ein Teil der in der Verfassung verankerten Grundrechtsbeschränkungen. Sie stehen innerhalb, nicht außerhalb der Rechtsordnung. Sie zeigen, dass ein erfolgreicher Putschist nicht eo ipso zum „Souverän“ wird, schon gar nicht in der von Schmitt gefeierten Aura eines aus der Theologie abgeleiteten Souveränitätsbegriffs, also von quasi göttlicher Allmacht.
So heißt es bei Schmitt: „Der Souverän schafft und garantiert die Situation als Ganzes in ihrer Totalität. Er hat das Monopol dieser letzten Entscheidung.“ [15] Der Staat kann also nach seinen Zwecken jederzeit einzelne oder Gruppen seiner Bürger zu Feinden erklären und damit ihrer verfassungsmäßigen Rechtsgarantien berauben.
Vor diesem Hintergrund ist die neu aufgekommene Diskussion in der deutschen Rechtswissenschaft über die Notwendigkeit eines vom allgemeinen „Bürgerstrafrecht“ zu unterscheidenden speziellen „Feindstrafrechts“ einerseits und eines neuen Notstandsrechtes andererseits zu sehen.
Schmitts
Freund-Feind-Schema wurde von den totalitären Machthabern in die Praxis
umgesetzt. Und er betrachtete das als eine persönliche Mission. Das betrifft
zuerst die Vertreibung der Juden als „Feinde“ aus dem öffentlichen Dienst nach
dem verlogen betitelten „Gesetz zur Wiederherstellung (lies: Beseitigung) des Berufsbeamtentums“ vom
7. April 1933, die Verfolgung regime-kritischer Emigranten. Danach folgten die
Mordbefehle Hitlers vom 30. Juni 1934. Carl Schmitt sah alle diese Maßnahmen
als Bestätigung seiner „Freund-Feind“-Parole des Politischen und begleitete sie
mit jubelnder literarischer Zustimmung.[16]
Seine Beiträge dazu sind, wie die seiner Schüler[17],
in Polemik kaum zu überbieten. Schmitt hatte schon 1932 geschrieben: „Diese Notwendigkeit … führt in kritischen
Situationen dazu, daß der Staat als politische Einheit von sich aus … auch den
inneren Feind bestimmt“.[18]
Seinen
zahlreichen vom Terror vertriebenen ehemaligen jüdischen Freunden und Kollegen
rief er nach: „Aus Deutschland sind
sie ausgespien für alle Zeiten.“ Und ferner: „Wir lernen vor allem Freund und Feind richtig zu unterscheiden.“[19]
Auch
ein spezielles „Feindstrafrecht“ war ihm nicht fremd, als er 1936 mit einer
Stellungnahme zu einer neuen Strafprozessordnung[20]
beauftragt wurde. Alle totalitären Systeme des vergangenen Jahrhunderts haben
das Instrument eines speziellen Feindstrafrechts eingesetzt, der
Nationalsozialismus, der Stalinismus in allen Varianten, speziell auch die DDR.
Die Ziele dieses Sonderstrafrechts (im Nationalsozialismus etwa gegen Polen,
Juden, Zigeuner und Volksschädlinge) sind rechtswidrig.
Die
Initiative von Jacobs hat auch in anderen Rechtsgebieten ein Echo gefunden. Im
Verfassungsrecht wird die Auffassung vertreten[21],
das Grundgesetz sei für den „Ernstfall“ des Angriffs von international
agierenden Terroristen nicht gerüstet. Der Terrorist sei „staatstheoretisch“
ein Feind des Rechtsstaates. Trotzdem
behandele dieser ihn als Person; obwohl die von ihm ausgehende Gefahr um des
Rechtsstaats willen effektiv abgewehrt werden müsse, stufe dieser ihn als
schlichten Straftäter ein. Der Staat fingiere
damit den terroristischen Feind als Rechtssubjekt, erkenne seine
Menschenwürde an und garantiere auch ihm den Schutz der Grundrechte.
Der moderne
islamische Terrorismus habe „die Permanenz der Ausnahmelage zur Folge."
Feinde seien „Unpersonen“.
Die Ausrufung
einer permanenten Ausnahmelage ist nicht neu. C. Schmitt hat mit seinem Sinn
für die jeweilige „Lage“ 1934 die Mordbefehle Hitlers zum 30. Juni 1934 als
höchste Gerichtsbarkeit gefeiert:[22] „Der Führer schützt das Recht vor dem schlimmsten Mißbrauch, wenn er im
Augenblick der Gefahr kraft seines Führertums als oberster Gerichtsherr
unmittelbar Recht schafft ... In Wahrheit war die Tat des Führers echte
Gerichtsbarkeit. Sie untersteht nicht der Justiz, sondern war selbst höchste
Justiz.“
Die genannten
Beiträge zum Feinstrafrecht und zu einem neuen Notstandsrecht sind, wie
zahlreiche Hinweise der Autoren zeigen maßgeblich vom Denken Carl Schmitts
geprägt, der besonders von Depenheuer immer wieder zustimmend zitiert wird. Es
komme in dieser durch den Terrorismus geschaffenen Ausnahmelage alles darauf
an, Feinde von Freunden zu scheiden. Dazu sei das bundesdeutsche Recht derzeit
nicht der Lage.
Michael
Stolleis, der in seinem Vorwort zum Buch Jan-Werner Müllers C. Schmitt zum
Klassiker erklärt hat, übt in einem Beitrag im MERKUR [23] scharfe Kritik am
Feindstrafrecht und an den Plänen für ein neues Notstandsrecht. Er weist
eingehend auf die Traditionen dieses Denkens bei Carl Schmitt und Ernst Jünger
hin. Hier sind auch für ihn die Grenzen der Klassizität erreicht.
Konstanz Bernd
Rüthers
[1] M. Stolleis, Die Jünger am Grabe, in: Rechtshistorisches
Journal, 6/1987, . 247, 250.
[2] Mehring, Reinhard: Rezension zu: Linder, Christian: Der Bahnhof von Finnentrop.
Eine Reise ins Carl Schmitt-Land. In: H-Soz-u-Kult, 14.05.2008,
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2008-2-107>.
[3] Günther Jakobs: Kriminalisierung im Vorfeld einer
Rechtsgutsverletzung. In: Zeitschrift für
die gesamte Strafrechtswissenschaft 97 (1985), S. 751–785.
[4] Günther Jacobs, Bürgerstrafrecht und Feindstrafrecht. In: HRRS 3/2004, S.
88–95.
[5] Günther
Jakobs: Kriminalisierung im Vorfeld einer Rechtsgutsverletzung. In: Zeitschrift für
die gesamte Strafrechtswissenschaft 97 (1985), S. 751–785¸ ders., Bürgerstrafrecht
und Feindstrafrecht. In: HRRS 3/2004, S. 88–95.
[6] Jochen Bung: Feindstrafrecht
als Theorie der Normgeltung und der Person. In: HRRS 2/2006, S. 63–71. Hauke
Brunkhorst: Folter vor Recht – Das Elend des repressiven Liberalismus. In:
Blätter für deutsche und internationale Politik 1/2005, S.75–82. Luis Greco:
Über das sogenannte Feindstrafrecht. In: Goltdammer's Archiv für Strafrecht
(GA), 153. Jg., 2006, S. 96-113. Rainer Hamm: Feindstrafrecht –
Bürgerstrafrecht – Freundstrafrecht. In: Neue Lust auf Strafen. Schriftenreihe
des Instituts für Konfliktforschung, Band 27, S. 105 ff. Münster 2005. Tatjana
Hörnle: Deskriptive und normative Dimensionen des Begriffs
"Feindstrafrecht". In: Goltdammer's Archiv für Strafrecht (GA), 153.
Jg., 2006, S 80-95. Dirk Sauer: Das Strafrecht und die Feinde der offenen
Gesellschaft. In: Neue Juristische Wochenschrift
24/2005, S. 1703–1705. Arndt Sinn: Moderne Verbrechensverfolgung – auf dem Weg
zu einem Feindstrafrecht? In: Zeitschrift für Internationale
Strafrechtsdogmatik 2006, S. 107–117. Einen Überblick über die Diskussion mit
Beiträgen von Günther Jakobs, Alejandro Aponte, Jörg Arnold, Klaus Malek, Jochen
Bung bieten die Referate der Arbeitsgruppe „Feindstrafrecht – Ein Gespenst geht
um im Rechtsstaat“ des 30. Strafverteidigertages 2006. In: HRRS 8/2006, S.
289-321.
[7] B. Rüthers, Entartetes Recht, dtv-wissenschaft
4630, München 1994, S. 88-95.
[8] C. Schmitt, Der Begriff des Politischen,
als Aufsatz in: Archiv für Sozialwiss. u. Sozialpolitik, 58/1927, S.1-33;; als
Buch München-Leipzig 1932.
[9] C. Schmitt, Politische Theologie, München-Leipzig 1922,
2. Aufl. 1934. Es wäre eine eigene Untersuchung wert, in welchem Maße diese
beiden Positionen ihre Wurzeln in der Persönlichkeitsstruktur des Autors haben.
Seine frühen Tagebücher deuten eine außerordentliche und permanente Neigung zu
Feindbildern und extremen Phobien an, die ihn häufig in Suizidphantasien
führten.
[10] C. Schmitt, Der Begriff des Politischen,
als Aufsatz in: Archiv für Sozialwiss. u. Sozialpolitik, 58/1927, S.1-33;; als
Buch München-Leipzig 1932.
[11] C. Schmitt, Der Begriff des Politischen,
1932, S. 20, 45.
[12] C. Schmitt, in: Völkerbund und
Völkerrecht 4. Jhg, (1937/38), S. 139.
[13] C. Schmitt, Politische Theologie, 2. Ausgabe,
München 1932, S. 20.
[14] Vgl. K. A. Bettermann, in: E. Fraenkel,
(Hrsg), Der Staatsnotstand, Vorträge gehalten im Sommer-Semester 1964, Berlin
1965, S. 190, 192.
[15] C. Schmitt, Politische Theologie, 2.
Ausl. 1934, S. 20.
[16] C. Schmitt, Das gute Recht der
Revolution, in: Westdeutscher Beobachter vom 12. Mai 1933; ders., „Die
deutschen Intellektuellen“, in: Westdeutscher Beobachter, vom 31. 5. 1933;
ders., „Der Führer schützt das Recht“, in: DJZ 1934, Sp. 945.
[17] C. Schmitt, Das gute Recht der deutschen
Revolution, in: Westdeutscher Beobachter v. 12. Mai 1933; E. Forsthoff, Der
totale Staat, Hamburg 1933, S. 40 ff.; vgl. auch H. Lange, Der Verfall des
Persönlichkeitsgedankens an der deutschen Hochschule, DJZ 1935, Sp. 406 ff.,
411.
[18] C. Schmitt, Der Begriff des Politischen,
1932, S. 34.
[19] C,. Schmitt, Westdeutscher Beobachter
vom 31. Mai 1933, S. 2.
[20] Vgl. die Stellungnahme
C. Schmitts zu dem Entwurf einer nationalsozialistischen Strafprozessordnung im
Archiv des Instituts für Zeitgeschichte, München, Sign. F 134/2; Nachweise bei
L. Gruchmann, Justiz im Dritten Reich 1933-1940, München 1988, S. 994ff.
Schmitt setzte dem bis dahin gültigen Grundsatz „Keine Strafe ohne Gesetz“
einen neuen „Gerechtigkeitssatz“ entgegen: „Kein Verbrechen ohne Strafe.“ Er forderte
entsprechend den Wünschen der Machthaber eine Einschränkung der richterlichen
Unabhängigkeit.Richter sollten künftig nicht mehr unabhängig von der
politischen Führung sein. Für jedes Strafverfahren sah Schmitt nur noch eine
gerichtliche Instanz vor. Alle Rechtsmittel sollten abgeschafft werden. Für den
Fall offensichtlicher Rechtsverletzungen sollte eine Stelle der politischen
Führung, nicht ein Gericht, angerufen werden können – Souveränität der
politischen Führung im Strafrecht.
[21] O. Depenheuer, Selbstbehauptung des
Rechtsstaats, 2. Aufl., Paderborn (u.a.) 2008; ders., Das Bürgeropfer im
Rechtsstaat. In: O. Depenheuer, u.a. (Hrsg): Festschrift für Josef Isensee:
43-60; vgl. ferner Josef
Isensee (Hrsg.): Der Terror, der Staat und das Recht. Duncker und Humblot,
Berlin 2004;
[22] C. Schmitt, Der Führer schützt das
Recht, DJZ 1934, Sp. 945 f.
[23] „Angst essen Seele auf“ vom 5. Dezember
2007