Moeller, Katrin,
Dass Willkür über Recht ginge. Hexenverfolgung in Mecklenburg im 16. und 17.
Jahrhundert (= Hexenforschung 10). Verlag für Regionalgeschichte, Gütersloh
2007. 544 S., 11 Abb. Besprochen von Ulrich Falk.
Es handelt sich um eine quellengesättigte
Regionalstudie zur frühneuzeitlichen Hexenverfolgung im Alten Reich. Die
Untersuchung konzentriert sich auf das „politisch zersplitterte, randlagige,
nördliche protestantische und bevölkerungsarme Mecklenburg (…) mit seiner
enormen Anzahl von fast 4.000 Prozessen namentlich bekannter Angeklagter“. Katrin
Moeller, eine Doktorandin an der Universität Rostock, betreut von Kersten
Krüger, hat eine „hervorragende Quellensituation“ (S. 469) in eine vielschichtige,
methodisch sattelfeste Darstellung umgemünzt, die sich durch besondere Tiefenschärfe
auszeichnet.
Die Darstellung ist untergliedert in
acht Abschnitte. Am Anfang steht eine komprimierte Überschau über „moderne
Hexenforschung“ (1), gefolgt von „Mecklenburg in der frühen Neuzeit“ (2),
„Struktur der Hexenverfolgung“ (3), „Mecklenburgische Rechtsprechung in
Hexenprozessen“ (4), „Populäre Hexenjagd – Verdachtsgenese“ (5), „Verhaltens-
und Verteidigungsstrategien“ (6) und „Gesellschaft – Herrschaft – Prozess“ (7).
Den Abschluss bildet der kürzeste, zugleich aber wichtigste Abschnitt des
Buchs, überschrieben mit „Zusammenfassung“ (8; S. 469-482). Hier macht sich
Moeller daran, ihr „Puzzle von tausenden von Einzelquellen“, die sie vor dem
Leser aufgehäuft hat, „zu einem Gesamtbild zusammenzufügen“ (S. 469). Die
Leserinnen und Leser, die ihre Quellenarbeit geduldig – manchmal vielleicht
auch etwas ermattet – mitverfolgen, können das Gesamtbild mit erheblichem Gewinn
betrachten.
Die „große Zeit der intensiven
Erforschung“ einzelner Territorien des Alten Reichs ist, wie Moeller in ihrer
Einleitung bilanziert, vorüber. In den zurückliegenden Jahrzehnten ist eine kaum
noch überschaubare Fülle vergleichbarer Studien entstanden. Starke Impulse
setzten zum Beispiel die Pionierarbeit von Erik Midelfort im Jahr 1972 über
Witch Hunting in Southwestern Germany 1562-1684 und Wolfgang Behringers
Hexenverfolgung in Bayern (1987). Moellers Literaturverzeichnis erstreckt sich
über 40 eng bedruckte Buchseiten (S. 494-534), obwohl sie sich weitgehend auf
deutschsprachige Bücher und Aufsätze beschränkt. Gleichwohl fällt die Summe
geschlossener Untersuchungen zu den mittleren und größeren Territorien des
Alten Reichs nach ihrer Einschätzung immer noch „relativ spärlich“ aus. Um „das
große Forschungsprojekt“ abzuschließen, von dem Moeller einleitend spricht (S.
21), bedarf es aber weniger der Tilgung weiterer weißer Flecken von der
zerklüfteten Landkarte des Alten Reichs, als einer umfassenden monographischen
Durchdringung, die all jene abundanten Einzelerträge historischer und
interdisziplinärer Forschung zusammenführt. Ob ein solches Werk noch
geschrieben werden wird, ist ungewiss und wohl eher unwahrscheinlich. Tagungs-
und Sammelbände bieten allenfalls notdürftigen Ersatz.
Ein großer Teil der vorhandenen
Studien konzentriert sich auf den Süden und Südwesten. Dies erzeugt eine etwas
„einseitige Sicht“, die manchen Sonderbedingungen der nördlichen und östlichen
Territorien zu wenig Rechnung trägt, etwa den „Auswirkungen adliger
Rechtsansprüche unter den Bedingungen der Gutsherrschaften“ (S. 21). In jedem
Fall erweist sich die dichte Überlieferungslage in Mecklenburg als Glücksfall.
In den meisten größeren und mittleren Territorien des Alten Reichs ist die
Quellenbasis weit ungünstiger, in manchen – zum Beispiel in der Kurpfalz[1] –
sogar ausgesprochen schlecht. Dort verfügt die Forschung nur über wenige
einzelne Mosaiksteine, die sich zwar plausibel zusammenfügen lassen. Vieles
bleibt dabei aber notgedrungen spekulativ oder verharrt gar völlig im Dunkeln.
Nicht gelungen ist es Moeller, ihre
mecklenburgischen Befunde mit einfachen, handlichen Formeln zu erklären. Dies
ist ihr jedoch keineswegs als Defizit anzukreiden, sondern der Komplexität der
Deutungsproblematik geschuldet. Sie zeichnet ein komplexes „Bild vom
Hexenprozess als Ausdruck einer sich immer wieder neu austarierenden
Machtbalance vielschichtiger individueller Wünsche sowie lokaler und landesherrlicher
Herrschaftsinteressen, die selbst innerhalb eines Prozesses divergierende Ziele
verfolgten und ungewünschte Auswirkungen entfalteten“ (S. 466).
In Mecklenburg hingen die Entstehung,
der Verlauf und der Ausgang von Hexenprozessen nicht zuletzt von Faktoren ab,
die man auf den ersten Blick vielleicht als zweit- bis drittrangig einschätzen sollte:
Wurzelte eine Hexereibeschuldigung in einem großstädtischen, kleinstädtischen
oder dörflichen Sozialmilieu? Wurde die Beschuldigung erstinstanzlich vor einem
Adelsgericht oder einem landesherrlichen Amtsgericht verhandelt? War die
landesherrliche Justizkanzlei zu Güstrow oder zu Schwerin am Verfahren beteiligt?
Erstaunlicherweise kamen viele der
kleinen mecklenburgischen Dörfer „nie oder nur sehr kurzzeitig mit
Hexenprozessen in Berührung“ (S. 469). Der Schwerpunkt der Verfolgungen lag vielmehr
in den Kleinstädten. Hier entwickelte sich „eine weitgehend von ‚unten’
getragene und durchgesetzte Bewegung, in deren Mittelpunkt sich der Schadenszaubervorwurf
etablierte und [die] eine Fortführung von vielseitigen sozialen Konflikten und
Streitigkeiten beinhaltete“ (S. 463). In diesen Kleinstädten brodelte offenbar ein
„enormes Konfliktpotential“, das die führenden Personengruppen zu einer
„rasanten Übernahme des spirituellen Hexereibegriffs“ (S. 471) antrieb, was den
Kreis der potentiellen Opfer von Hexereibezichtigungen vervielfachte.
Rechtshistorisch von besonderem
Interesse sind Moellers Ergebnisse zur Strafverteidigung im Hexenprozess, zumal
in inquisitorisch geführten Verfahren. Ihre Quellen widersprechen drastisch der
tradierten rechtshistorischen Lehrmeinung,[2]
„Angeklagte hätten keine Möglichkeiten zur Verteidigung besessen“ (S. 330; vgl.
S. 287-294, 330-344, 473). Kaum erklärlich wäre anderenfalls schon ein rein
quantitativer Befund. Wenn man alle Verfahren zusammenstellt, die bis zum Endurteil
durchgeführt wurden, so ergibt sich in Mecklenburg eine Quote der Todesurteile von
etwa 54% und eine Freilassungsquote von 32% (S. 62). Hinzu kommen sogenannte willkürliche
(arbiträre) Strafen milderer Art, an erster Stelle die Landesverweisung. Der erstaunlich
hohe Anteil der Freilassungen hing nicht zuletzt mit den Verfahrensbeiträgen
tatkräftiger Verteidiger zusammen. Im Ganzen forderte die Verfolgung, die sich
in den Zeiträumen von 1599-1625 und 1661-1675 verdichtet, „wohl etwa 2.000
Todesopfer“ (S. 469).
Sehr verdienstlich ist, dass Moeller
den gesamten Quellenbestand systematisch auf den „Einfluss individueller
Abwehrmechanismen“ (S. 22) gegen Hexereibeschuldigungen durchforstet hat. Eine
Vielzahl von Rückschlüssen ermöglichen die Akten der beteiligten Gerichte,
namentlich in Defensions-, Hofgerichts- und Reichskammergerichtsverfahren.
Besonders ergiebig sind selbstverständlich die Schriftsätze professioneller Verteidiger
und die Supplikationen, mit denen Angehörige der Angeklagten – oft ihrerseits diskret
unterstützt von Verteidigern – auf die Gerichte einwirkten. Das gleiche gilt
für die zahlreichen Injurienprozesse, in denen sich die Beschuldigten im Klageweg
gegen Bezichtigungen zur Wehr setzten. Freilich hat auch Moeller an einer
unüberwindlichen Barriere haltmachen müssen: „Gerade die erfolgreichsten
Strategien zur Abwehr eines Hexereigerüchts bleiben aufgrund der Quellenlage allerdings
im Dunkeln. Sie wurden eben nicht ‚aktenkundig und gerichtsnotorisch’ und
verschließen sich dem Zugriff der Geschichtswissenschaft“ (S. 22).
Bemerkenswert sind auch die Einblicke
in die Tätigkeit der Rostocker und der Greifswalder Juristenfakultät (S. 69-85;
159-165). Zur dortigen Gutachten- und Urteilspraxis im Rahmen der
Aktenversendung ist freilich schon vieles aus den Schriften von Jörgen Haalck,
vor allem aber von Sönke Lorenz bekannt. Überschneidungen ergeben sich nunmehr auch
mit der lesenswerten Tübinger Dissertation von Robert Zagolla: „Folter und
Hexenprozess. Die strafrechtliche Spruchpraxis der Juristenfakultät Rostock im
17. Jahrhundert“ (2007).[3] Einen
unerschöpflichen Quellenfundus bietet der fast vollständig erhaltene
Spruchbestand der Rostocker Fakultät in Gestalt von Urteilsbüchern, Protokollbüchern
und losen Spruchakten. Für den Zeitraum zwischen 1570 und 1720 sind dort
nachweislich fast 2000 Gerichts- und Parteigutachten zu Anklagen wegen Hexerei
ergangen (S. 33).
Moellers Analysen der Urteils- und Gutachtenpraxis
vermitteln „ein äußerst differenziertes, auch innerhalb der Instanzen brüchiges
Bild“. Außer Frage steht einerseits, dass die Konsilienpraxis der
Spruchkollegien tendenziell einen mäßigenden
Einfluss entfaltete. Andererseits ist immer wieder ein willfähriges „Entgegenkommen
der Juristen“ gegenüber aburteilungswilligen Gerichten zu beobachten. Nach
allem Anschein hing die Bereitschaft, sogar über gröbste Rechtsfehler dieser
Gerichte hinwegzusehen, mit der „Konkurrenzsituation“ zwischen den einzelnen
Spruchkollegien zusammen (S. 169 f.). Sehr anfällig waren offenbar die Gutachten-
und Urteilsverfasser an der Universität Greifswald und den Schöffenstühlen zu
Brandenburg und Magdeburg. Aber auch an der Rostocker Universität trat man „nur
den schlimmsten Auswüchsen der Verfahrenswillkür“ (S. 83) einigermaßen
energisch entgegen.[4] Dieser Befund ist alles
andere als erfreulich, aber auch keineswegs verwunderlich, wenn man die
frühneuzeitliche Praxis der Rechtsgutachten als einen florierenden Markt deutet,
auf dem zahlreiche Anbieter professioneller juristischer Dienstleistungen in
scharfer Konkurrenz standen.[5]
Mannheim Ulrich
Falk
[1] Dazu Jürgen Michael Schmidt, Glaube und
Skepsis. Die Kurpfalz und die abendländische Hexenverfolgung, Bielefeld 2000;
dazu die Rez. von Ulrich Falk in: ZRG Germ. Abt. 118 (2001), 665-669; s. auch
Gerhard Schormann, Hexenprozesse in Deutschland, 2. Aufl. 1986, 69.
[2] Gegen diese Falk, Ulrich, Zur Geschichte der Strafverteidigung. Aktuelle Beobachtungen und rechtshistorische Grundlagen, in: ZRG Germ. Abt. 117 (2000), S. 395-449; ders., Ein Hexenprozess im späten 16. Jahrhundert, in: Fälle zur Rechtsgeschichte, hg. v. Falk, Ulrich/Luminati, Michele/Schmoeckel, Mathias, 2008, Fall 14, S. 206-222.
[3] Vgl. u.a. Haalck, Jörgen,
Die Gutachter- und Urteilstätigkeit der Rostocker Juristenfakultät in ihrem äußeren
Verlauf, 1957; Haalck, Jörgen/Trotz, Norbert, Die Hexenverfolgung in der
Spruchpraxis der Rostocker Juristenfakultät, in: Wissenschaftliche Zeitschrift
der Universität Rostock. Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe 13
(1964), 127-237; Lorenz, Sönke, Aktenversendung und Hexenprozeß. Dargestellt am
Beispiel der Juristenfakultäten Rostock und Greifswald (1570/82-1630), 1982;
weitere Nachweise zu Lorenz bei Moeller, 515.
[4] Zu diesem Problemkreis Falk,
Ulrich, Consilia. Studien zur Praxis der Rechtsgutachten in der frühen Neuzeit,
2006, z. B. S. 273-277 zum Brandenburger Schöffenstuhl.
[5] Falk, Ulrich, Die Gutachtenpraxis deutscher Juristenfakultäten in der frühen Neuzeit. Zur Deutung eines Phänomens, in: Akten des 36. Deutschen Rechtshistorikertags 2006, hrsg. von Heiner Lück und Rolf Lieberwirth, im Druck.