Miethke, Jürgen, Politiktheorie im Mittelalter. (=
Uni-Taschenbücher 3059). Mohr (Siebeck), Tübingen 2008. XIV, 351 S. Besprochen
von Christof Paulus.
„Wenn dies begriffen, fest eingeprägt,
sorgfältig gehegt und gepflegt wurde, so wird ein Reich und jede andere maßvoll
geordnete staatliche Gemeinschaft friedfertig und ruhig existieren.“ Diese
Worte des Marsilius von Padua gegen Ende seiner Schrift Defensor Pacis greifen
nochmals auf den Anfang zurück: es geht dem Gelehrten der Universität Paris um
den Frieden, den Ausgangspunkt für seinen 1324 vollendeten Defensor. So
irenisch dies klingen mag, so radikal ist der Weg dorthin. Marsilius
verabschiedet sich von allen gängigen dualistischen Modellen. Die Kirche
verliert ihren Sonderstatus, sie fügt sich ein in eine umfassende
Friedensordnung. Kühl überlässt es Marsilius der katholischen Kirche oder einem
Konzil, ihn zu widerlegen.
In der korrigierten, um Literatur
erweiterten Neuauflage seines 2000 erschienenen Werks „De potestate papae. Die
päpstliche Amtskompetenz im Widerstreit der politischen Theorie von Thomas von
Aquin bis Wilhelm von Ockham“ untersucht Miethke die Gelehrtendiskussionen zur
päpstlichen Amtskompetenz vom späten 13. bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts.
Ausgehend von Thomas von Aquins Schrift De regno ad regem Cypri, die
Miethke als Erfindung einer neuen Textsorte interpretiert, bis zur politischen
Theorie Wilhelm von Ockhams werden die Texte – darunter Tolomeo von Luccas Determinacio
compendiosa, die Schriften Jakob von Viterbos, Johannes Quidorts,
Guillelmus Durantis, Jean de Pouillys, Petrus de Paludes, Wilhelm von Sarzanos,
die Monarchia Dantes oder De statu et planctu ecclesiae aus der
Feder von Alvarus Pelagius – in ihren Wirkzusammenhang und ihre
Entwicklungsgeschichte verortet.
Die Vielfalt der Texte – von
der Kompilationstätigkeit eines Heinrich von Cremona bis zu den
zukunftsweisenden Neuentwürfen der Franziskaner aus der ersten Hälfte des 14.
Jahrhunderts – stellt Miethke hierbei als mitgeprägt von den historischen
„Rahmenbedingungen“, vom Papat eines Bonifaz VIII. oder Johannes XXII., oder
von der geistesgeschichtlichen Tradition der scholastischen Universität dar. So
sind etwa Ockhams „Quellen“ die Bibel, das ius
canonicum, das Decretum Gratiani oder die Dekretalen, die er umfassend in seine
theoretischen Entwürfe einfügt. Bemerkenswerterweise ist insgesamt die Rolle
der Juristen in der Debatte um die potestas
papae weitgehend auf ihre methodischen, editorischen und begrifflichen
„Vorarbeiten“ beschränkt. Die Diskussion selbst wurde hauptsächlich von
Theologen und Artisten geführt.
Das gedankenreiche,
mittlerweile zum Standardwerk gewordene Buch wird durch ein nützliches Verzeichnis
der überlieferten Texthandschriften beendet. Zu erschließen ist das Werk durch
ein zuverlässiges Namen-, Orts- und Sachregister. Marsilius von Padua erhoffte
sich von seinem Defensor Pacis, jeder Bürger möge aus dessen Lektüre
erkennen, wem die Leitung eines Gemeinwesens anzuvertrauen sei. Dies ist zwar
aus Miethkes Darstellung nicht zu lernen, doch ist sie ein in seiner Detail-
und Gedankenfülle unverzichtbares Nachschlagewerk für die spätmittelalterliche
Suche nach einer guten Ordnung, die oftmals angesiedelt war zwischen
theoretischem Anspruch (potestas verbalis)
und politischer Wirklichkeit (potestas
realis).
Seehausen am Staffelsee Christof
Paulus