Messen, Jahrmärkte und Stadtentwicklung in Europa – Foires, marchés annuels et développement urbain en Europe, hg. v. Irsigler, Franz/Pauly, Michel (= Beiträge zur Landes- und Kulturgeschichte 5 = Publications du Centre Luxembourgoise de Documentation et d’Études Médiévales 17). Porta Alba, Trier 2007. X, 314 S., 38 Abb. u. Kart. im Text, 9 Kart. im Angang. Besprochen von Alois Gerlich.

 

Der Band, über dessen vieljährige Entstehung die beiden Herausgeber in ihren Vorworten Auskunft geben, vereinigt 20 Abhandlungen unterschiedlichen Umfanges. Den Rahmen der vielfältigen Studien geben drei umfängliche und thematisch umfassende Beiträge: Am Beginn steht die Abhandlung von Franz Irsigler, Messen, Jahrmärkte und Stadtentwicklung in Europa. Mittelalter und frühe Neuzeit (S. 1-24), gefolgt von Michel Pauly, Jahrmärkte in Europa vom 14. bis zum 16. Jahrhundert. Regionale Untersuchungen und der Versuch einer Typologie (S. 25-40), sowie dessen Zusammenschau: Der Beitrag der Messen und Märkte zur mittelalterlichen Integration Europas (S. 285-304). Irsigler geht auf das System der sechs Messen in der Champagne und das es bis zum 14. Jahrhundert ablösende der vier Messen im Maingebiet und in der Wetterau mit Frankfurt und Friedberg als den Hauptorten ein. Hier sind die Forschungen Hektor Ammanns und Fred Schwinds wegweisend. Im Aufbau vergleichbar sind die beiden von der Göttinger Akademie 1973 herausgegebenen Bände über die Vor und Frühformen der europäischen Stadt im Mittelalter. Dort stehen rechtshistorische Aspekte im Vordergrund mit Abhandlungen Gerhard Dilchers und Gerhard Köblers und Studien über Fragen der Kontinuität seit der Spätantike von Hans Schönberger, Otto Doppelfeld, Reinhard Schneider und Walter Schlesinger. Der zweite Band ist überwiegend siedlungsgeschichtlicher Archäologie gewidmet. Den Stadt-Bänden der Akademie folgten 1977 Dorf-Untersuchungen, vor allem von Harald v. Petrikovits, Gerhard Köbler und Herbert Jankuhn im Blick auf den Übergang von der Antike zum Mittelalter. In der Forschung grundlegend waren die auf Südwestdeutschland und die Schweiz gerichteten Veröffentlichungen Karl Siegfried Baders über das Dorf.

 

Das Trier-Luxemburger Unternehmen kann mithin einer reich besetzten Forschung folgen. Im Vordergrund dieser Abhandlungen stehen hochmittelalterliche Terminabstimmungen im Marktgeschehen, das Geld-, Kredit- und Bankwesens seit dem 13. Jahrhundert, die Beziehung einer Markt- oder Messestadt zur wirtschaftsgeschichtlich bedeutenden Landschaft, die Messen und Jahrmärkte als Förderer der Stadtentwicklungen. Pauly weist daneben auf die im Rahme von Grundherrschaften entstandenen Märkte hin und stellt deren Übergänge zu höher einzustufenden städtischen Messen mit meist mehrtägiger Dauer heraus. Der Bau einer Markthalle bietet den oft noch heute sichtbaren Beleg für diese Entwicklung. Er formuliert knapp eine Typologie des Marktwesens in den Stufen der ländlichen Jahrmärkte, in zweiter Position solche mit jeweils kurzer Dauer in größeren Siedlungen, dann der städtischen mit einer Dauer von einer Woche oder mehr mit regionalem Einzugsbereich, weiter von Märkten mit stärkerer Zubringerfunktion für den Fernhandel, schließlich der höchsten Stufe mit Dominanz von Fernhändlern und deren Wirken sowohl im Warenhandel als auch in Geldgeschäften. Er weist auf die ineinander fließenden Übergänge zwischen den landschaftlichen Netzen hin, die sich in der Pikardie, dem Berry, der Schweiz, in Schwaben und am Mittelrhein, in Flandern und Oberitalien bildeten. Die Wahl der Handelszeiten richtete sich oft nach dem Heiligenkalender, was zu Kollisionen führen konnte, wenn in verschiedenen Regionen die gleichen Heiligenfeste gefeiert wurden. Er weist auf den Handel mit Sklaven aus Osteuropa nach dem islamischen Spanien hin, der im 9. und 10. Jahrhundert das Frankenreich zum Transitgebiet in dieser Branche gemacht hatte. Permanente Märkte ließen Kontore an den betreffenden Orten entstehen oder führten schon früh zu regelrechten Kolonien ethnischer Besonderheit wie den Friesenansiedlungen in Duisburg, Köln, Mainz und Worms. Regensburger Kaufleute verbanden Märkte von Maastricht bis Enns und Petronell bei Wien. Haupthandelsgüter waren flandrische Tuche, englische Wolle, Pelze aus dem Baltikum, orientalische Gewürze, Farbstoffe und feine Lederwaren. Individuellen Wert hatte das aus Italien kommende Angebot an Seidenstoffen, vergleichbar mit den Erzeugnissen des Leinenwebergewerbes im Bodenseeraum, das sich umstellen musste auf Barchent nach der Einfuhr der Baumwolle aus dem Orient seit dem 14. Jahrhundert. Das Geldgeschäft bestimmte seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts immer stärker das Wirtschaftsleben. Italienische Bankhäuser nahmen Spitzenstellen ein als Zwischenstationen im riesigen Geldgeschäft zwischen der päpstlichen Kurie und abgabepflichtigen Institutionen in ganz Europa. Im Beitrag Paulys ist der Vergleich der in Forschungen der letzten Jahrzehnte enthaltenen Kartendarstellungen von Wirtschaftsregionen hervorzuheben. Dem Warenverkehr und Geldhandel misst er grenzüberschreitende Werte über ganz Europa zu. Das beflügelt ihn zur Aussage, Messen schufen zwar nicht Europa, „sie trugen aber zur Einheit in Europa bei, indem sie Gelegenheiten zur Begegnung und zum Austausch darstellten und dieselben oder ähnliche Waren in allen Gegenden des Kontinents zu Verfügung stellten, eine Verbreitung und Vereinheitlichung von Handelspraktiken in ganz Europa bewirkten“ (S. 300). Daran änderte nichts etwa der Abfall der Bedeutung eines Handelsplatzes und der Aufstieg eines anderen, auch nichts die Qualitätsänderungen bei Handelsgütern. Nicht zuletzt kam Bedeutung Festlichkeiten und Spielen zu, die bei Gelegenheit eines Jahrmarktes veranstaltet wurden. Man kann solchen Befunden, die fernab von einer auf Politik eingeengten Geschichtsschreibung liegen, nur zustimmen.

 

Die Rezension des inhaltlich vielgestaltigen Werkes würde gesprengt, wenn in gleicher Breite auf alle die anderen Beiträge eingegangen würde, wie sie den rahmengebenden Abhandlungen zugebilligt wurde. Die Inhalte dieser Beiträge beziehen sich auf Regionen vom östlichen Mittelmeer bis zum Atlantik. Jahrmärkte in Byzanz behandelt Basilike Papoulia mit Betonung des dort entwickelten Frühkapitalismus und dessen Vorbildfunktion für italienische Kommunen (S.41ff.).Auf die Stadtgesetzgebung und Marktregulierungen dort konzentriert Francesca Bocchi ihre Ausführungen (S. 51-63), denen Enrico Guidoni mit einer Überschau über Jahrmärkte in Rom und Umgebung mit Ausblicken bis ins 19. Jahrhundert folgt (S. 63-69). Das Marktwesen in Aragon und Kastilien würdigen Carmen Batlle und Miguel-Angel Ladero Quesada (S. 69-82 und 83-88). Nach Frankreich führen nochmals Franz Irsigler und Winfried Reichert, Les foires de Champagne (S. 89-106) sowie André Chédeville, Foires et marchés en Bretagne, des origines à la Révolution (S. 107-126). Die Straßburger Messen im 16. Jahrhundert behandelt Jean-Pierre Kintz (S. 127-134). Zu den Schweizer Jahrmärkten zwischen 1500 und 1800 leitet Martin Körner (S. 135-160). Ihm folgen Frans Blockmans und der Sohn Wim Blockmans mit der Studie Aux origines des foires d’Anvers (S. 161-166). Dem Marktwesen in Irland bis 1600 dienen die Forschungen von Anngret Simms (S. 167-176). Die außerordentlich dichte Entwicklung der Märkte und mit ihnen verbundenen Städte in Finnland und Schweden bis 1800 zeigen Marjatta Hietala und Sven Lilja auf (S. 177-206), ihnen folgt mit gleichem Forschungsanliegen im Blick auf Dänemark bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts Thomas Ris (S. 207-234). Den Jahrmärkten und Messen im mittelalterlichen Polen wendet sich Antoni Czacharowski (S. 235-242) zu, dem Marktwesen im frühneuzeitlichen Polen Maria Bogucka (S.243-252). Gleichen Anliegen im Blick auf Ungarn und Rumänien im Mittelalter dienen die Ausführungen András Kubinyis und Paul Niedermaiers (S. 253-262 und 263-284) als Abschluss dieser Überschau über wirtschaftliche, rechtliche und sozialgeschichtliche Entwicklungen in den Großräumen des Kontinents mit ihren vielfältigen und einander ergänzenden Abläufen in rund neun Jahrhunderten.

 

Wiesbaden                                                                                         Alois Gerlich