Ludewig, Johann Peter von, Vollständige Erläuterung der Güldenen Bulle, in welcher viele Dinge aus dem alten Teutschen Staat entdecket, verschiedene wichtige Meynungen mit andern Gründen besetzet, und eine ziemliche Anzahl von bishero unbekannten Wahrheiten an das Licht gegeben werden, mit einer Vorrede begleitet v. Estor, Johann George, Frankfurt am Main 1752, Neudruck hg. und eingeleitet v. Hattenhauer, Hans, 2 Bände in drei Teilbänden (= Historia scientiarum). Olms-Weidemann, Hildesheim 2005. XXVI, 921, 1540 S., zuzüglich Registern. Besprochen von Arno Buschmann.

 

Johann Peter Ludewigs „Vollständige Erläuterung der Güldenen Bulle“ ist der mit Abstand umfangreichste Kommentar zur Goldenen Bulle von 1356, den die Reichspublizstik bis zum Ende des Alten Reiches hervorgebracht hat. Erstmals in den Jahren 1716 und 1719 erschienen, wurde er nach dem Tode des Autors 1752 von dessen Schüler, Famulus und zeitweiligen Hausgenossen Johann Georg Estor (1699-1773) erneut herausgegeben und seither bis zum Ende des Alten Reiches trotz aller Kritik an Autor und Werk als das Standardwerk über die Goldene Bulle in der Reichspublizistik angesehen.

 

Ludewig gilt in der deutschen verfassungsgeschichtlichen Forschung als der Begründer der sog. „Reichshistorie“, deren Ziel es war, die Verfassung des Heiligen Römischen Reiches und deren Rechtsquellen aus der politischen Geschichte des Reiches zu erläutern. Diesem Ziel diente auch Ludewigs Erläuterung der Goldenen Bulle als des wichtigsten Reichsgesetzes der Reichsverfassung des Heiligen Römischen Reiches. Was bis dahin mit Hilfe des kanonischen und des rezipierten römischen Rechts, später des einheimischen „Ius publicum Romano-Germanicum“ erklärt worden war, wurde nunmehr ausschließlich auf der Grundlage der „Reichshistorie“ erläutert. Ludewig hat dies mit großem Aufwand an Gelehrsamkeit betrieben, der zwar von den Zeitgenossen, unter ihnen kein geringerer als Johann Jacob Moser, wegen seiner Weitschweifigkeit vielfach kritisiert wurde, in Wahrheit jedoch ein Fülle von historischen und juristischen Kenntnissen enthält und nicht selten auch für den heutigen Leser noch treffend erscheinende Beobachtungen zeigt. Als Beispiel seien nur Ludewigs Ausführungen zu den Regelungen der Goldenen Bulle über die feierlichen Reichshandlungen und deren detaillierte Beschreibungen angeführt, die heute im Zusammenhang etwa mit den neueren Forschungen über die Herrschaftsinszenierungen besondere Beachtung für sich beanspruchen können und interessante Feststellungen sowohl über den Charakter wie über die Funktion der repräsentativen Handlungen enthalten. Für den Verfassungshistoriker von nicht zu unterschätzender Bedeutung sind auch Ludewigs Erläuterungen des Art. 29 der Goldenen Bulle, in der ein vollständiges Lehnsregister des Reiches mit dem Stand von 1590 geboten wird und sämtliche dem Reich zustehenden Lehnsgebühren minutiös aufgelistet sind und behandelt werden.

 

Ludewigs Lebenslauf und die Bedeutung seines Kommentars zur Goldenen Bulle werden von Hans Hattenhauer in seiner Einleitung differenziert und kenntnisreich geschildert. Ludewig war ursprünglich Historiker, hatte einen Lehrstuhl für Geschichte an der Universität Halle/Saale inne und war erst später zur Jurisprudenz gekommen und in die juristische Fakultät berufen worden, ohne allerdings seinen Lehrstuhl für Geschichte aufzugeben. Das bedeutete für ihn zwar doppelte Einnahmen, aber auch doppelte Arbeit. Wegen seiner Nähe zum preußischen Königshaus, dem er zeit seines Lebens als Berater zu Diensten war, und wegen seiner reichhaltigen Publikationstätigkeit fehlte es Ludewig nicht an Feinden und Neidern in seiner Fakultät wie in der Universität. Auch beim kaiserlichen Hofe in Wien beobachtete man sein Eintreten für die Rechte der Reichsstände mit Argwohn. Anschaulich werden von Hattenhauer die Konflikte beschrieben, die sich für Ludewig aus dieser Haltung gerade auch bei der Publikation von Ludewigs Erläuterungswerk zur Goldenen Bulle ergaben, die diesen fast die Erhebung in den Adelsstand gekostet hätte und nur durch Intervention des preußischen Landesherrn in Wien beruhigt werden konnten.

 

Ludewigs „Vollständige Erläuterung der Güldenen Bulle“ zählt seit langem zu den Rara in den wissenschaftlichen Bibliotheken, deren Benutzung durch die zunehmenden Restriktionen in der Handhabung der Bibliotheksvorschriften für die Forschung immer weiter erschwert wird. Umso mehr ist es daher zu begrüßen, daß sich die Herausgeber der Reihe „Historia scientiarum“, Bernhard Fabian als Gesamtherausgeber und Johannes Burckhardt als verantwortlicher Herausgeber für Geschichte und Politik, entschlossen haben, Ludewigs Werk in ihr Programm aufzunehmen und der Verlag das Wagnis auf sich genommen hat, den Neudruck zu unternehmen, um einen leichteren Zugang zu seiner Benutzung zu ermöglichen und den reichen Schatz an Kenntnissen der Verfassung des Heiligen Römischen Reiches, der in diesem Werk enthalten ist, für die verfassungsgeschichtliche Forschung zu erschließen. Es steht zu hoffen, daß auf diese Weise die Erforschung der Verfassungsgeschichte des Alten Reiches und nicht zuletzt auch der Reichspublizistik nicht nur erleichtert, sondern auch beflügelt wird. Wer sich nur ein wenig mit den Werken der Reichspublizistik beschäftigt hat und sich in ihnen auskennt, weiß, daß diese eine beinahe unerschöpfliche Fundgrube des Wissens über das Alte Reich, wie das Heilige römische Reich heutzutage vielfach genannt wird, dessen Verfassung und dessen Geschichte bilden.

 

Salzburg                                                                     Arno Buschmann