Lochner, Daniel, Das uneheliche Kind im rheinischen Recht (= Rheinische Schriften zur Rechtsgeschichte 3). Nomos, Baden-Baden 2006. 233 S. Besprochen von Arno Buschmann.
Die Rechtstellung der unehelichen Kinder ist ein Thema, das nicht nur die Juristen des geltenden Rechts, sondern auch die Rechtshistoriker immer wieder beschäftigt hat. Eine der letzten großen Studien stammt von keiner geringeren als Gertrud Schubart-Fikentscher, der bedeutenden Hallenser Rechtshistorikerin des vergangenen Jahrhunderts, in der die Entwicklung des Unehelichenrechts im deutschen Privatrecht zur Zeit der Aufklärung eingehend untersucht wurde[1]. Nicht untersucht wurde bisher die Entwicklung dieser Rechtsmaterie am Ende des 18. und im Verlauf des 19.Jahrhunderts und hier namentlich im Gebiet des sog. rheinischen Rechts, obschon gerade sie von besonderem Interesse ist, zum einen, weil sich an ihr gut zeigen lässt, in welcher Weise die Vorschriften des Code civil im Einzelnen rezipiert wurden, und zum andern, inwieweit diese Materie in der rheinischen Rechtspraxis, vor allem in der Praxis der Gerichte, selbstständig fortgebildet wurde. Diesem Mangel in der privatrechtsgeschichtlichen Forschung abgeholfen zu haben, ist das Verdienst der vorliegenden, von Wilhelm Rütten betreuten Bonner rechtswissenschaftlichen Dissertation.
Der Verfasser beginnt seine Darstellung zunächst mit einigen allgemeinen Bemerkungen über die Rezeption des französischen Rechts im Rheinland sowie über die Gerichtsverfassung im Rheinland während der sog. Übergangszeit, namentlich gegen Ende der französischen Herrschaft und am Beginn der rheinpreußischen Gerichtsverfassung, deren verschlungene Entwicklung von ihm klar und übersichtlich geschildert wird. Im Anschluss daran behandelt er die Rechtsstellung des unehelichen Kindes nach dem Recht des Code civil, die im Gegensatz zu anderen zeitgenössischen Rechten auf dem sog. Anerkennungsprinzip beruht, d. h. bei dem die Rechtsstellung der unehelichen Kinder nicht von der Abstammung, sondern allein von der förmlichen Anerkennung durch die Eltern, Kindesvater oder Kindesmutter, hergeleitet wird. Eingehend werden die Details der Regelungen des Code civil und deren Fortbildung durch die Praxis der verschiedenen rheinischen Gerichte und Gerichtshöfe erörtert, der wegen der Lückenhaftigkeit der gesetzlichen Regelungen im Code eine besondere praktische Bedeutung zukam. Zu Recht verweist Lochner in diesem Zusammenhang darauf, dass die von der rheinischen Rechtsprechung herausgearbeitete rechtliche Beurteilung der Anerkennung als eines gemischten Rechtsaktes von vielen Ländern, deren Gesetzgebung sich im Unehelichenrecht dem Anerkennungssystem anschloss, übernommen wurde. Die Rigorosität, um nicht zu sagen: Brutalität dieses Systems, führt der Verfasser in Übereinstimmung mit der herrschenden Lehre auf das Bestreben des französischen Gesetzgebers, insbesondere Napoleons, zurück , die Institution der Ehe als Keimzelle der Gesellschaft zu schützen – eine Ansicht, die man angesichts der turbulenten persönlichen Verhältnisse der beteiligten Personen, vor allem Napoleons, wohl doch nicht allzu ernst nehmen sollte, auch wenn dies in den Quellen immer wieder hervorgehoben wird. Was in den offiziellen Verlautbarungen zu lesen steht, ist eines, die wirklichen Motivation nicht selten ein anderes. Zutreffend wird vom Verfasser die Bedeutung der legislativen Bewertung des Rechtsverhältnisses der anerkannten unehelichen Kinder zu ihren Eltern für die spätere Rechtsentwicklung betont. Ausführlich beschäftigt er sich mit dem berühmt-berüchtigten Art. 340 des Code civil, durch den die Nachforschung nach der Vaterschaft des Kindesvaters untersagt, die nach der Mutterschaft hingegen ausdrücklich zugelassen wurde. Ob auch hier das deklarierte gesetzgeberische Ziel des Schutzes von Ehe und Familie und der Hebung des Niveaus der Sittlichkeit das wirkliche Motiv für diese Regelung war, wie es in der zeitgenössischen Diskussion und dieser folgend auch in der rechtshistorischen Literatur immer wieder behauptet wurde, muss m. E. mit einem Fragezeichen versehen werden. Eher war es wohl der Schutz vor rechtlicher Inanspruchnahme mutmaßlicher, womöglich prominenter Kindesväter, der hier im Vordergrund stand, auch wenn das Argument mangelnder Nachweisbarkeit, das in den gesetzgeberischen Überlegungen eine Rolle gespielt hat, angesichts des medizinischen Wissensstandes der Zeit nicht von der Hand zu weisen ist. Auch das schon früher vermutete Bestreben nach Rekrutierung familienlos gestellter Söhne für Napoleons Militär als Motiv des Gesetzgebers, auf das Lochner in seiner Darstellung der zeitgenössischen wie der späteren Diskussion hinweist, sollte man bei der Beurteilung nicht außer acht lassen. Die wirklichen Ziele und Motive einer Gesetzgebung sind vielfältig und oftmals nur schwer zu ermitteln. Detailreich setzt sich Lochner mit der Praxis der rheinischen Gerichte nach dem Ende der französischen Herrschaft bis zum Ende des 19. Jahrhunderts auseinander, bei deren Schilderung er zu Recht die rechtschöpferische Eigenständigkeit der rheinischen Rechtssprechung, deren Einwirkung auf die Rechtsprechung des preußischen Obertribunals wie auch auf die des Reichsgerichts hervorhebt. Namentlich in Bezug auf die rechtliche Besserstellung der unehelichen Kinder war die rheinische Gerichtspraxis, wie der Verfasser zutreffend feststellt, ihrer Zeit tatsächlich weit voraus.
Lochner hat mit seiner Untersuchung nicht nur eine Lücke in der Erforschung der privatrechtsgeschichtlichen Entwicklung des 19. Jahrhunderts geschlossen, sondern eine vorzüglich dokumentierte Studie über einen Gegenstand der Gesetzgebung vorgelegt, der erst in der jüngsten Vergangenheit von den letzten Resten einer rigiden und einseitig dogmatischen Moralität zu Lasten des Lebens und des Wohlergehens Dritter, nämlich der Kinder, befreit worden ist.
Salzburg Arno Buschmann
[1] Schubart-Fikentscher, Gertrud, Die Unehelichen-Frage in der Frühzeit der Aufklärung, Berlin 1967 (Sitzungsberichte der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Philologisch-historisch Klasse, Band 112, Heft 3).