Lang, Bernd, Die Idealkonkurrenz als Missverständnis. Zur Entwicklung der Konkurrenzen im 19. Jahrhundert (= Strafrechtliche Abhandlungen Neue Folge 195). Duncker & Humblot, Berlin 2008. 502 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Die Arbeit ist die von Günther Jakobs betreute, von der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bonn 2005 angenommene Dissertation des Verfassers. In ihrem Mittelpunkt steht die Entwicklung der Unterscheidung zwischen Tateinheit (Idealkonkurrenz) und Tatmehrheit (Realkonkurrenz). Ziel ist die Untersuchung, aus welchem Grund es zu dieser Zweiteilung der Konkurrenzarten und der damit verbundenen, stark unterschiedlichen Rechtsfolgen kam.

 

Der Verfasser geht davon aus, dass seit der letzten großen Reform des deutschen Strafrechts das Hauptprinzip des strafrechtlichen Konkurrenzrechts nur selten untersucht wurde. Dies lässt sich nicht damit erklären, dass die Unterscheidung zwischen Tateinheit und Tatmehrheit bereits geklärt und unstreitig ist. Es lässt sich auch nicht damit begründen, dass die Entstehung der Unterscheidung unklar ist, das Ergebnis aber überwiegend begrüßt oder als logisch zwingend hingenommen wird.

 

Im Gegensatz hierzu entnimmt der Verfasser der Literatur des 19. Jahrhunderts und der Gegenwart, dass die Aufspaltung in Idealkonkurrenz  und Realkonkurrenz nicht geklärt ist. Ganz überwiegend werde sie als gegeben hingenommen und nicht weiter hinterfragt. Da sowohl die Begründung für die Unterscheidung unklar sei, als auch deren unterschiedliche Rechtsfolgenregelung überwiegend nicht anerkannt werde, komme der Frage nach dem Zustandekommen dieser Konstruktion große Bedeutung zu, weshalb die historische Entwicklung bis zur ersten gesetzlichen Regelung zu verfolgen sei.

 

Zu diesem Zweck stellt der Verfasser nach einer kurzen Einführung den Stand der Literatur im Vorfeld des 19. Jahrhunderts dar. Danach zeigt er die Entwicklung der Idealkonkurrenz und der Realkonkurrenz in der Literatur zwischen 1790 und 1830 auf. Im dritten Teil seiner klar gegliederten Arbeit wendet er sich den im 19. Jahrhundert erlassenen Strafgesetzbüchern zu, von denen dem bayerischen Strafgesetzbuch von 1813 wegen der erstmaligen gesetzlichen Regelung und dem preußischen Strafgesetzbuch von 1851 wegen seines Vorlagecharakters für das Reichsstrafgesetzbuch von 1871 besonderes Gewicht zukommt.

 

In seiner Einführung in den historischen Hintergrund behandelt der Verfasser das römische Recht, das germanische Recht (500-800), die Zeit der Rechtsbücher, die italienische Jurisprudenz und das gemeine Recht Deutschlands bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts (Constitutio Criminalis Carolina, Carpzov, Becker). Den Stand der Konkurrenzlehre bis 1794 legt er an Hand der Werke von Quistorp, Claproth, Globig/Huster, Westphal, Koch, Stübel, Engelhard, Stelzer, Becker und Dorn dar. Besonders Johann Christian Kochs 1758 in erster Auflage, 1779 in fünfter Auflage und 1788 in achter Auflage erschienenes Lehrbuch dient ihm als Spiegelbild der damaligen Entwicklung, in deren Rahmen wegen der Vielzahl schwerer Strafen bei einer Mehrzahl von Gesetzesverletzungen fast immer der Grundsatz poena maior zur Anwendung kam.

 

Davon abgesehen nimmt der Verfasser an, dass mit den Ausführungen Kochs der Grundstein der modernen Konkurrenzlehre gelegt war. In der Folge unterscheidet er eine die Vermeidung von Doppelbestrafungen anstrebende Gruppe von Schriftstellern, eine Gesetzeskonkurrenz und Idealkonkurrenz vermischende Gruppe, eine Gesetzeskonkurrenz und Idealkonkurrenz trennende Gruppe und eine unsystematisch vorgehende Gruppe. Bei den 14 danach betrachteten Strafgesetzbüchern trennt er zwischen stark unterschiedlicher Behandlung von Idealkonkurrenz und Realkonkurrenz, angenäherter Behandlung und stark angenäherter Behandlung.

 

Im Ergebnis stuft er die Konkurrenzlehre als ein Ergebnis zufälliger Verwechslungen und dauernder Geringschätzung ein. Die von Koch vorgenommene Aufteilung in eintätige und mehrtätige Begehung mehrerer Verbrechen habe sich binnen zweier Jahrzehnte allgemein durchgesetzt und trotz Vermischung von Fällen der Gesetzeskonkurrenz mit heutiger Idealkonkurrenz auf dem Weg über eine einflussreiche Meinungsgruppe Eingang in das bayerische Strafgesetzbuch gefunden. Die fehlende innere Berechtigung der sehr unterschiedlichen Behandlung mehrerer Rechtsgutsverletzungen sei durch tatsächliche Annäherung in der Bestrafung gemildert worden.

 

Als Folge lehnt er die bestehende Gesetzeslage der sehr unterschiedlichen Rechtsfolgen bei Idealkonkurrenz und Realkonkurrenz ab, weil sie keine Entsprechung im Unwertgehalt des zugrundeliegenden Verhaltens hat. Der historische Gesetzgeber habe den Konkurrenzregeln keine ausreichende Beachtung beigemessen und seiner Entscheidung keine sachbezogenen Erwägungen zu Grunde gelegt. Deswegen kann die sorgfältig verfolgte Entwicklungsgeschichte der Konkurrenzen zu Recht nicht als Begründung für ein Festhalten an der geltenden Regelung verwendet werden.

 

Innsbruck                                                                                                       Gerhard Köbler