Landau, Peter, Die Kölner Kanonistik des 12. Jahrhunderts. Ein Höhepunkt der europäischen Rechtswissenschaft (= Kölner rechtsgeschichtliche Vorträge 1). Wissenschaftlicher Verlag Bachmann, Badenweiler 2008. IX, 38 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Bereits vor nahezu hundert Jahren erhob Ulrich Stutz die Kanonistik zur literarisch gleichberechtigten Schwester von Romanistik und Germanistik. Deswegen muss sich der Germanist vor Übergriffen auf dieses eigenständige Fachgebiet hüten. Gleichwohl verdienen Köln auf dem Weg zu einem zweiten Bologna und die Kölner Schule als Höhepunkt mittelalterlicher Rechtswissenschaft das Interesse auch der Germanisten.
Peter Landau hat am 27. Mai 2008 vor dem rheinischen Verein für Rechtsgeschichte einen diesbezüglichen Vortrag gehalten. Wer ihn kennt, weiß, dass er durch seine tiefschürfende Sachkenntnis und seine geistreichen Kombinationen jedes Publikum ungewöhnlich fesseln und bereichern kann. Deswegen ist es sehr erfreulich, dass seine neuen Überlegungen so rasch über die unmittelbaren Zuhörer hinaus veröffentlicht werden konnten.
In seiner Einleitung beginnt der Verfasser mit den Anfängen der Rechtswissenschaft in Bologna. Danach wendet er sich der seit 1960 in Arles und Saint-Gilles entdeckten Schule des Rechtes zu, die um 1130 ein Lehrbuch zu den Institutionen Justinians und nach 1132 wohl durch Géraud eine Summe (Summa Trecensis) zum Codex sowie im weiteren Umfeld um 1149 das erste juristische Werk in provenzalischer Sprache (Lo Codi) hervorbrachte. Schließlich weist er auch auf Paris, Reims und Lincoln hin.
Im Mittelpunkt seines Interesses steht freilich die Kölner Schule, deren Anfänge er mit dem um 1120 geborenen Rainald von Dassel verbindet. Für ihn zeichnet er den Bildungsgang nach, der von der Domschule in Hildesheim nach Paris zum Studium der artes liberales führt (1140-1145), von wo aus Rainald wieder nach Hildesheim zurückkehrt. 1156 wird er Kanzler des Reiches, 1159 Erzbischof von Köln.
Vielleicht wenig später wird in Hildesheim um 1161 die in elf Handschriften überlieferte, das Verfahren vor kirchlichen Gerichten betreffende sog. Rhetorica ecclesiastica als ältestes juristisches Lehrbuch im deutschen Reich abgeschlossen, die als Quelle ausschließlich das Decretum Gratiani verwendete. Nach Landau brachte Rainald bei seinem Wechsel nach Köln auch Vertraute aus dem Hildesheimer Klerus mit nach Köln.
1165 holt Rainald von Dassel den in England um 1120/1125 geborenen, in Paris studierenden doctor legis, in utroque iure peritus Gérard Pucelle (für drei Jahre) nach Köln. Um 1170 werden in bzw. um Köln drei große kommentierende Summen zum Dekret verfasst (Quoniam omissis 1167?, Elegantius in iure divino 1169 [Bertholds von Sankt Geron?, Gottfrieds von Sankt Andreas?], Antiquitate et tempore um 1170). Nimmt man mit Peter Landau noch die Summe Reverentia sacrorum canonum hinzu, so lässt sich von etwa 1165 bis mindestens 1190 von einer Kölner Kanonistik sprechen, die neben umfangreichen Lehrbüchern zu Gratian auch kurze einführende Texte zum Dekretbuch verfasste, freilich im Gegensatz zu Bologna noch kein dauerhaftes Studium hervorzurufen vermochte.
Als bleibende Erkenntnisse dieser Schule ermittelt Peter Landau das Verständnis der Regulae iuris als Universalien, die Einbeziehung der Solidarität mit den Schwachen in die Gerechtigkeit, die Bildung des Begriffes ius positivum, die Unterscheidung zwischen göttlicher Gerechtigkeit und irdischem Recht und die erste Formulierung der Maxime Quod omnes tangit, ab omnibus approbari debet. Daraus zieht Peter Landau den Schluss, dass in Deutschland die Rechtswissenschaft dreimal führend war und internationale Maßstäbe setzen konnte, nämlich in Köln im 12. Jahrhundert, in Halle im 18. Jahrhundert und in Berlin im 19. Jahrhundert. Ganz am Rande dieser eindrucksvollen Verknüpfungen bleibt auch Eike von Repgow nicht ganz unberücksichtigt.
Innsbruck Gerhard Köbler