Krise, Reformen - und Finanzen. Preußen vor und nach der Katastrophe von 1806, hg. v. Kloosterhuis, Jürgen/Neugebauer, Wolfgang (= Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte, Neue Folge Beiheft 9). Duncker & Humblot, Berlin 2008. 346 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Der vorliegende Band enthält die Vorträge, die auf einer Tagung der Preußischen Historischen Kommission und des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz im Oktober 2006 gehalten worden sind. Nach der Niederlage Preußens war der Problemdruck der Staatsfinanzen ein wichtiger Impuls für die unter Stein und Hardenberg ergangenen Reformgesetze. Nach zwei Einleitungsbeiträgen von Neugebauer und Kloosterhuis behandelt Krauss im Abschnitt „Ausgangsposition“ die Staatsfinanzen im kameralistischen und staatswissenschaftlichen Diskurs in Preußen um 1800 (S. 25ff.) mit den Themen: 1. das Geldproblem und die Frage der staatlichen Geldschöpfung, 2. das Staatsschuldenproblem, 3. das Thema der Steuern und Steuerreformen, 4. das Problem der Binnen- und Außenzölle. Während für die Zeit kurz nach 1800 noch nicht von einer Dominanz der Lehre von Adam Smith gesprochen werden kann, hatte sich dessen damals modernste Wirtschaftslehre in der Reformzeit um 1810 unter dem Einfluss von Krauss, Garve und Jacobi durchgesetzt. Kaufhold untersucht die preußische Statistik, ein „Geschöpf“ des modernen Staates (S. 83), zunächst bis 1806 und anschließend dessen Reorganisation seit 1808 mit Gründung des Statistischen Büros. Die Statistik ist auch für den Rechtshistoriker von Interesse, da sie insbesondere bei der Abfassung von Zoll-, Steuer- und Münzgesetzen herangezogen wurde. Baumgart beschreibt schließlich die preußische Außenpolitik vor 1806 und ihre finanziellen Dimensionen (S. 91ff.). –

 

Der nächste Abschnitt „Preußen um 1800“ wird eröffnet mit dem Beitrag Neugebauers: „Finanzprobleme und landständische Politik nach dem preußischen Zusammenbruch von 1806/07“ (S. 121ff.). Neugebauer behandelt die Regeneration der Stände insbesondere in den östlichen Provinzen als frühes Stadium des preußischen Verfassungskampfes, der 1823/24 zur Einrichtung von Provinziallandtagen führte. Winter weist anhand konkreter Vorfälle in Berlin (S. 169ff.) auf die „fiskalisch höchst unzureichend vorbereitete Städteordnung“ hin (S. 185). Im Abschnitt „Parallelen und Kontrapunkte“ wird die preußische Entwicklung konfrontiert mit dem Finanzwesen in Westfalen um 1800 (Beitrag von Behr, S. 193ff.) und mit der Finanzpolitik in den napoleonischen Satellitenstaaten Westphalen, Berg und Frankfurt (S. 245ff.) sowie in Österreich (S. 267ff.; Brandt) und in den süddeutschen Staaten (S. 315ff.; Ullmann). Westphalen und Berg verfügten über ein klar strukturiertes und für alle geltendes Steuersystem (Schnelling-Reinicke, S. 265). Für Westphalen waren kennzeichnend als wichtigste Voraussetzung einer geordneten Schuldenwirtschaft die Schaffung einer eigenen, vom Landeshaushalt separierten Verwaltung mit zugewiesenen festen Einnahmen. Der in finanzpolitischer Hinsicht „permanente Ausnahmezustand“ insbesondere wegen der Abgabenfreiheit der napoleonischen Dotationen ließ jedoch insbesondere die westfälische Finanzpolitik scheitern. Buchholz arbeitet in seinem Beitrag über „Strukturkrise und Gesellschaftsreformen in Vorpommern 1806 und ihre Behandlung in Preußen nach 1815“ (S. 213ff.) heraus, dass der von der preußischen Regierung unterstützte Adel bis 1875/81 eine Agrarreform verhindern konnte, die noch von Schweden 1806 gesetzlich angeordnet worden war.

 

Die Beiträge enthalten wertvolle, für den Rechtshistoriker wichtige Hinweise vor allem zur Rezeption der finanzwissenschaftlichen Theorien von Adam Smith und des französischen Steuer- und Haushaltsrechts. Es fehlt ein Überblick über die Finanzkrise Preußens von 1806/07 und dessen Maßnahmen zur Überwindung dieser Krise. Dies hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass, wie Neugebauer mit Recht feststellt, die preußischen Forschungen „auf finanzgeschichtlichem Felde im nationalen und im internationalen Vergleich gerade für die Jahrzehnte um 1800 noch durch erhebliche Defizite“ gekennzeichnet seien. Es ist zu wünschen, dass der Sammelband zu umfassenderen Arbeiten über die preußische Finanzgeschichte – auch unter steuer- und verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten – anregt.

 

Kiel

Werner Schubert