Keller,
Hagen/Althoff, Gerd,
Die Zeit der späten Karolinger und der Ottonen. Krisen und Konsolidierungen
888-1024 (= Gebhardt, Bruno, Handbuch der deutschen Geschichte, 10. Aufl. 3).
Klett-Cotta, Stuttgart 2008. LIV, 475 S. Besprochen von Alois Gerlich.
Die neue Auflage des „alten“ Gebhardt hat man in 24
Bände aufgegliedert, von denen die ersten acht betreut werden von Alfred
Haverkamp, der bereits den der Salierzeit gewidmeten Teil herausgegeben hat
(ZRG GA 122 [2005], 499-503). Dann folgt der von Hagen Keller und Gerd
Althoff gestaltete dritte Band des neu konzipierten Werkes, der als
Abschnitt IV in der Reihe gezählt wird. Die Neufassung wird im Unterschied zu
Gebhardts Darstellung auf eine Vielzahl von Bearbeitern aufgegliedert. In einer
Gesamtübersicht und eigenem Vorwort zu diesem Band werden Hinweise auf die
Gesichtspunkte gegeben, die zur Gliederung dieser 10. Auflage führten. Quellen
und Literatur zu den Bänden 1-8 werden genannt.
Die innere Ordnung dieses umfänglichen Bandes
bestimmt den großen Anteil der Darstellung von der späten Karolingerzeit bis
etwa zur Jahrtausendwende aus der Feder von Hagen Keller, dann der
Regierungszeiten der Kaiser Otto III. und Heinrich II. durch Gerd Althoff, schließlich
teilen sich die beiden Verfasser in den Abschnitt über Lebensordnungen und
Lebensformen. Dem Ostfrankenreich nach dem Sturz Karls III. im Jahre 888, dem
insofern eine erhöhte Wertigkeit einer Datierung zukommt, wird ein eigenes
Kapitel gewidmet, das hinführt zur Wertung des ostfränkischen Reiches unter dem
Franken Heinrich I. als erstem Nichtkarolinger. Die Feldzüge des Königs in
Alemannien und Bayern, die Rolle des Episkopates und die Ansätze zum so
genannten ‚Stammesherzogtum‘ finden markante Wertungen. Die Gefährdung von
außen durch die Ungarneinfälle und die Stabilisierung des Königtums durch
Heinrich I., die Unterstützung durch Konrads I. Bruder Eberhard, die
Integration der in den Stämmen Großen in das Herrschaftsgefüge, der Gewinn des
im Westen des Reiches gefährdeten Lothringen, die Freundschaftsbündnisse mit
den westfränkischen und burgundischen Herrschern und Fürsten, die Abwehr der
Ungarn und Kriege im Osten gegen die Slawen werden in grenzüberschreitender
Schau dargestellt.
Dies alles ist gleichsam Vorgeschichte der Darstellung
Ottos des Großen, der größerer Raum zugebilligt wird nicht zuletzt auf Grund
der Zuwendung in jüngerer Zeit, für die stellvertretend für viele hier genannt
werden Gerd Tellenbach, Josef Fleckenstein, Rudolf Schieffer
und Bernhard Schneidmüller. Mag auch die Herrschafts- oder gar Staatsbezeichnung
‚Deutsches Reich‘ erst aus sehr viel späterer Zeit stammen, prägt Hagen Keller
doch den Satz: Für die „Entstehung des
Deutschen Reiches“ kam der Zeit Ottos I. eine ausschlaggebende Bedeutung zu. Als
normgebend für die Stufen der Entwicklung hebt er die Erhebung zum Königtum im
Jahre 936 hervor. Jahrhundertelang bot sie den Bezugspunkt für die zeremonielle
Einsetzung des Königs im römisch-deutschen Reich. Er übt mit Recht Kritik an
Widukind von Corvey, der in der älteren Literatur zur Verfassungs- und
Liturgiegeschichte oft als ‚Kronzeuge‘ genommen wurde. Ottos I.
Regierungsanfänge waren durch Auseinandersetzungen im Blick auf Machtstrukturen
und Rangstreitigkeiten, bei denen dem Konradiner Eberhard besondere Bedeutung
zukommt, belastet. Der Aufstand 939 und die Entmachtung des Königsbruders
Heinrich werden eingehend behandelt. Die Konsolidierung der Herrschaft wird
gesehen vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung mit Ludwig IV. von
Westfranken wegen der Konfliktlage in Lothringen. Die Synode in Ingelheim am 7.
Juni 948, eine der wohl glänzendsten Versammlungen dieser Art, wurde durch die
Präsenz des Herrschers zum Schauplatz der Demonstration der Vorrangstellung des
Königs. Sie war ein Ereignis, von dem Einwirkungen in die westfränkischen
Streitigkeiten ausgingen. Ottos I. Initiativen zielten darauf, die Dominanz der
ottonischen Familie zu festigen. Dem diente die Designation des Sohnes Liudolf
als künftigem König, des Königs Heiratspolitik, die Übertragung des Herzogtums Bayern
an den Bruder Heinrich. Hagen Keller sieht hier den Höhepunkt von Macht
und Ansehen Ottos I.
Eine völlig neue Entwicklung ergab sich durch den
plötzlichen Tod des Königs Lothar von Italien. Hagen Keller geht den
Folgewirkungen sorgfältig nach. Italien, insbesondere seine nördliche Hälfte
und Rom als Sitz des Papstes, gehörten seit Karl dem Großen zur
Interessensphäre der Mächte nördlich und westlich der Alpen. Franken, Alemannen,
Bayern, Burgunder und Böhmen waren in wechselnden Zeiten und schwankenden
Verbindungen des Handels, teilweise auch im Konnubium mit bedeutenden Sippen in
der Poebene, der Toskana und an der Adria verbunden. Wenn man nun Berengar II.
von Friaul, der sich bereits 945 Otto I. unterstellt hatte, jetzt ohne diesen
zu konsultieren zum König machte, berührte das den Herrscher in Deutschland
nicht nur als Lehnsherr, sondern ließ die Entstehung einer neuen Eigenmacht
befürchten. Zudem führte im Haus des Herrschers der Eigensinn Liudolfs zu empfindlicher
Unsicherheit. Hier war Ottos II. Helfer Herzog Heinrich von Bayern. Otto I.,
seit dem Ableben seiner Gemahlin Edith verwitwet, erstrebte als neue Gemahlin die
Witwe Adelheid des Königs Lothar von Italien, die damals in Berengars II.
Gefangenschaft gehalten wurde, aus der sie jedoch entfliehen konnte und durch
Herzog Heinrich von Bayern Otto 951 in Pavia zugeführt wurde. Um den 10.Oktober
fand die Hochzeit als zentrales Ereignis des Regierungsbeginns in Italien statt,
Otto nannte sich rex Francorum et
Langopardorum, wenig später rex
Francorum et Italicorum. Seine Verhandlungen mit Berengar II. führten zu einem
Ausgleich als er ihn zum Lehnsmann als König des im Nordosten zu Gunsten
Bayerns amputierten Italien duldete. Dort regierte er bis 961, ehe er zusammen
mit seinem Sohn ins Exil nach Bamberg verbracht wurde. Den Prozess gegen
Liudolf unterlief der Angeklagte durch dessen rechtzeitige deditio. Otto I. musste ihm in dieser Zwangslage Verzeihung
gewähren.
Ein wichtiges Ereignis war die Vergabe des seit
dem 25.Oktober 954 vakanten Erzbistums Mainz an Wilhelm, Sohn einer vorehelichen
Verbindung mit einer hevellischen Fürstentochter. Von da an stand die Abwehr
der Ungarn als Anliegen in Ottos I. Reichspolitik im Vordergrund. Die Schlacht
bei Augsburg am Laurentiustag (10. August) 955, die weite Resonanz des Sieges,
der Zuspruch aus der Umgebung an Otto als Imperator werden mit kühler
Engagement von Hagen Keller geschildert, der sich so von der Emphase in
älteren Darstellungen absetzt. Seit dem Sieg über die Ungarn erstrebte Otto I.
die Kaiserkrönung in Rom. Zu deren Vorbereitung gehörten die Zustimmung der
Lothringer, dann die Krönung des Sohnes Otto II. in Aachen durch die
Erzbischöfe von Mainz und Köln, sie wahrscheinlich auf Rat Adelheids, gefeiert.
Die diplomatischen, meist kriegerischen Abläufe während des Zuges werden vom
Verfasser kurz erwähnt. Mehr Raum widmet er dem großen Ereignis, der
Kaiserkrönung Ottos I. und seiner Gemahlin Adelheid im Petersdom am 2.Februar
(Mariä Lichtmesstag) 962. Die
Weihehandlungen dürften dem Ordo gefolgt sein, der in das um 960 in Mainz
redigierte Pontifikale aufgenommen wurde: Damit war ein Modell für die künftigen
Kaiserkrönungen des Mittelalters geschaffen (S. 210). Des Verfassers kühl-eindrucksstarke
Ausführungen stützen sich auf eigene Forschungen. Pate standen Reinhard Elze,
Gerd Althoff, Dietrich Claude, Helmut Beumann, Horst
Fuhrmann und Stefan Weinfurter, um mit diesen Gelehrten die auch
weite Resonanz der Kaiserkrönung noch in der Gegenwart anzudeuten. Dass ein
solches Ereignis in Rom und Umgebung zu erheblichen Gegenbewegungen führte,
bekam man auf deutscher Seite rasch zu spüren. Zwar bestätigte Otto I. das „Pactum“
mit dem Papst sogar mit Zuweisung weiteren Gebietes an diesen, doch noch nicht
ausgetragen war der Gegensatz mit Berengar II., alarmierend waren Unruhen in
der Toskana, sehr viel mehr eine Bitte des Papstes an den Kaiser in Byzanz um
Hilfe gegen Ottos angebliche Bedrückungen. Obschon man die Gesandten abfangen
konnte, war deren Entsendung untrügliches Indiz für des Papste Hinterhältigkeit
und die insgesamt instabile Lage auf der Apenninenhalbinsel. Die Lage
entspannte sich durch Johanns II. Tod im Mai 964. Das Kaiserpaar kehrte im
Winter 964/965 nach Deutschland zurück.
Im Reich nördlich der Alpen wartete eine ganze
Reihe von Aufgaben ihrer Lösung. Das Itinerar verrät schon zunächst die
Schwerpunkte Ingelheim und Köln. Das waren die Schauplätze nicht nur der
Repräsentation der neuen Würde als Herrscher, sondern der Erledigung
politischer Anliegen, die etwa der Besuch der Herzogin Judith von Bayern mit
ihrem Sohn, der Aufenthalt der Königin Gerberga von Westfranken mit deren
Söhnen belegen. Die lothringischen Adligen bekamen Gelegenheit zum Kontakt mit
dem Herrscher, eine Heirat König Lothars von Westfranken mit der Tochter aus
erster Ehe Adelheids wurde vereinbart oder sogar schon gefeiert. Aachen,
Utrecht und Nimwegen sind die nächsten Stationen. Geregelt werden mussten die
Nachfolgen des Trierer Erzbischofs, des Metzer Bischofs, des Herzogs Gottfried, vor allem des Kölner Erzbischofs,
Ottos Bruder. Aus den Rhein- und Niederlanden begab sich das Kaiserpaar dann
nach Sachsen. Hauptstationen wurden dort Magdeburg und Merseburg. Ottos I. Hauptsorge
galt unvermindert der Errichtung des neuen Erzbistums in Magdeburg. Dem
Vorhaben standen vor allem zwei Mitglieder der Hierarchie ablehnend gegenüber:
Der Bischof von Halberstadt musste große Abgaben seines Sprengels befürchten. Noch mehr wog die Weigerung des
Erzbischofs von Mainz, auf einen wesentlichen Teil seiner Metropolitanrechte in
den Elblanden zu verzichten. Der Kaiser musste vor allen Dingen die
Unterstützung des Papstes erlangen. Das gab dem Unternehmen weitere
Dimensionen. Man kann unterstellen, dass hierfür ein neuer Italienzug
unternommen wurde. Jetzt ging es nicht allein um Magdeburg, sondern auch um die
Errichtung von Bistümern im Slawenland gemäß dem Auftrag eines Kaisers zur
Mission im Heidenland. Schon 955 erhielt Otto I. die päpstliche Ermächtigung,
zunächst in Halberstadt ein Erzbistum zu errichten, dieses aber dann nach
Magdeburg zu verlegen. Erzbischof Wilhelm von Mainz, also der eigene Sohn,
widersetzte sich jahrelang energisch solchen Projekten. Neuen Streit brachte
die Errichtung des Bistums Merseburg. Zum Erfolg brachten Otto I. schließlich
die beiden Todesfälle im Frühjahr 968, als kurz nacheinander der Erzbischof von
Mainz und der Bischof von Halberstadt starben. An deren Stellen setzte man gefügige
Prälaten. In Magdeburg wurde der Dom aufs Prächtigste ausgestattet in nächster
Nähe zur glänzenden Pfalz des Herrschers Hier verstarb am 7. Mai 973 Kaiser
Otto I. Er wurde im Magdeburger Dom beigesetzt.
Dem Kaiser folgte scheinbar rein äußerlich gesehen
problemlos der Sohn, den Otto I. vor zwölf Jahren zum König gemacht und so die
Sukzession gesichert hatte. Dennoch nimmt sich gerade Ottos II. Regierungszeit
als besonders unruhig aus. Ihm hatte der Vater zu viele ungelöste Aufgaben
hinterlassen. Sein Bild ist infolgedessen in der Forschung nicht einheitlich,
weil mit zu vielen Fragen belastet. Das haben Bernd Schneidmüller, Rudolf
Schieffer, Hubertus Seibert, Eugen Boshof, Timothy
Reuter und Carlrichard Brühl, zusammen mit Hagen Keller
herausgestellt. Sie weisen auf die Spannungen in der sächsischen Adelswelt,
auf Eifersüchteleien in der Herrschersippe und deren politischem Anhang, auf
die Rivalität zwischen Adelheid und der Schwiegertochter Theophanu, der es an
Rückhalt im Reich fehlte, vielfach hin. Ebenso charakterisierten sie die noch
ungelösten Aufgaben, die sich in Italien und in Beziehungen zum Papsttum
stellen. „Man kann im historischen
Urteil Otto II. nur gerecht werden, wenn man die Bedingungen seiner Regierung
in diesem Spannungsfeld sieht“ (S. 241). Zu den sächsischen
Unstimmigkeiten traten Probleme in Niederlothringen, Schwaben, Bayern und
Böhmen. Die Kaiserinwitwe Adelheid wurde nach dem Reichsumzug, an dem sie lückenlos
teilgenommen hatte, ausgeschaltet. Mit Herzog Heinrich von Bayern kam es zu
Zerwürfnis und dessen Haft in Ingelheim, nach dessen Flucht zu Kämpfen im Raum
um Regensburg. Dort endete die Auseinandersetzung erst mit der Verkleinerung
des Herzogtums Bayern infolge der Abspaltung Kärntens, das an den Sohn Konrads
des Roten gegeben wurde. Die geistlichen Fürsten wurden für das Aufgebot des
Italienzuges in vorher nicht bekanntem Maße beansprucht. Ottos II.
Neugliederung der Marken zusammen mit Maßnahmen in der Magdeburger
Kirchenprovinz ließen 976 die sächsischen Großen gemeinsame Opposition mit dem
Bayernherzog Heinrich machen. Als Otto II. in lothringische
Auseinandersetzungen eingriff, reizte dies den König Lothar von Frankreich, der
aber seinerseits angegriffen wurde von Hugo Capet und belastet war durch seinen
unversöhnlichen Gegensatz mit dem Bruder Karl, zu Interventionen. Ein großer
Krieg fand glücklicherweise nicht statt. Ein deutsches Heer zog bis vor Paris,
man begnügte sich jedoch damit, auf der Höhe von Saint Denis so laut das Te
Deum zu singen, dass man es in der Stadt hören konnte.
Unter ungünstigen Vorzeichen stand auch die
Italienpolitik. Zwar versöhnte sich Otto II. mit seiner Mutter in Pavia, in
Spoleto hatte der Vater den Pandulf Eisenkopf als Herzog eingesetzt, Otto II.
selbst hielt im Februar und März 981 glänzend Hof mit seinen Verwandten und
Besuchern aus dem Reich und Frankreich, darunter Herzog Hugo Capet von
Franzien. Mitten in diese Folge erfreulicher Ereignisse traf die Nachricht vom
Tod des Pandulf Eisenkopf, von schweren Kämpfen seines Sohnes und der Gefahr, dass
mit dem Verlust des ottonischen Machtgefüges in Mittel- und Süditalien zu
rechnen sei, das Einwirken von Byzanz und Aufstände der Sarazenen drohe. Ottos
II. Realitätssinn führte zunächst zur Aufstellung eines in dieser Größe bislang
nicht gekannten Heeres und zu Bündnissen gegen die Sarazenen in Kalabrien. Der
Feldzug begann zu Beginn des Jahres 982 mit Anfangserfolgen. Zwischenzeitlich
hatten die Sarazenen jedoch aus Sizilien große Kontingente herangezogen. Mit
ihnen kam es um den 15. Juli 982 südlich von Cotrone beim Kap Collone zur
Schlacht mit anfänglichem deutschem Erfolg. Als sich aber sarazenische Reserven
aus dem Hinterhalt in die Schlacht warfen, wurde das deutsche Heer fast
vollständig vernichtet. Diese Niederlage hatte weitreichende Nachwirkungen. Hagen
Keller weist darauf hin, dass die Lücke in der Urkundentätigkeit des
Hofes eine zeitweise Lähmung vieler Pläne anzeigt. Es galt, die Ämter der bei
Cotrone Gefallenen oder auf dem Rückweg Gestorbenen wieder zu besetzen. Nach
kurzem Aufenthalt des Kaisers in Rom ohne ersichtliche Folgen kam es erst um
Pfingsten in Verona 983 zur Wiederaufnahme einer Regierungstätigkeit auf Grund
von Mahnungen aus Sachsen und anderen Reichsteilen zur Wiederbesetzung des
Herzogtums Bayern und des Herzogtums Schwaben zusammen mit dem Elsass,
Reichskirchen erhielten Privilegien und Schenkungen, so unter anderem
Erzbischof Willigis von Mainz am 14. Juni 983 den Rheingau und die Stadt
Bingen. Damals wohl wurden Weihe und Krönung des Sohnes besprochen, die dann in
Anwesenheit des Kaisers und seiner Gemahlin in Rom Vollzogen wurden. Als Papst gewählt
wurde der Erzkanzler für Italien, Bischof Peter von Pavia, der den Namen
Johannes XIV. annahm. Deuten die Maßnahmen im Reich und das Eingreifen in Rom
auf einen neuen Gestaltungswillen Ottos II. hin, bleibt dessen Verhalten in der
Not des Reiches durch Einfälle der Dänen und den großen Aufstand der Liutizen
und anderer Slawenstämme zwischen Elbe und Oder mit der Zerstörung von
Bistümern und Vernichtungen weiter Landstriche unklar. Die sächsischen Großen,
die in Verona weilten, blieben nach ihrer Rückkehr auf sich allein gestellt.
Der Tod Ottos II. am 7. Dezember 983 schnitt alle weiteren Erwägungen ab. Der
Kaiser wurde in der Vorhalle von St. Peter in Rom in einem Sarkophag bestattet.
Zur Würdigung seiner Regierung wird mit Recht darauf hingewiesen, dass ihm und
seinen Beratern die Einbindung in die Führungsgruppe des Reiches und die eigene
Familie fehlte. Hagen Keller setzt mit dieser Aussage einen
entscheidenden Akzent in die Darstellung der Ottonenzeit und gibt damit die
Richtung für Erörterungen über das Reich unter den beiden nächsten Herrschern
vor.
Der von Gerd Althoff gestaltete Anteil an
der Neuauflage führt zunächst ein in die Regentschaft, die ein Jahrzehnt
dauerte. Führend war Kaiserin Theophanu. Hierzu haben bereits Thilo Vogelsang
und Franz-Reiner Erkens wesentliche Forschungen angestellt. Erstmals
ist zu sehen, welche Bedeutung Frauen in der Politik im Hochmittelalter
bekamen. Umstritten ist allerdings, wie viel Theophanu mit ihrem vom Herkommen
fremdländischen Wesen mit ihrem Herrschaftsverständnis einbrachte. Althoff selbst,
dann auch Johannes Fried machten darauf aufmerksam, dass man hier
auf Hypothesen angewiesen ist. Die auf den Osten gerichteten Vermutungen
erhalten weniger Zuspruch. Herausgestellt wird, dass das positive Urteil über
die Kaiserin weitgehend auf der Beobachtung ihres Handelns in Italien und
gegenüber Westfranken beruht. Da sie jedoch mit nur 35 Jahren schon am 15. Juni
991 starb, verstärkte sich Adelheids Stellung. Im Gesamturteil wird
festgehalten, dass die Zeit der Regentschaft, abgesehen vom Streit mit Heinrich
dem Zänker, weitgehend frei von Konflikten blieb. „Die Kaiserinnen sind der vornehmsten Herrscheraufgabe, der
Friedenswahrung, vollständig gerecht geworden“ (S. 286). Im Zusammenhang mit Ottos III. Italienzug von 996 wird
darauf hingewiesen, dass damals die in der Forschung sehr umstrittene Renovatio-Politik
des Herrschers, auf die Hagen Keller besonders eingegangen ist,
entstanden sei. Die Diskussion über diesen und andere Problemkreise ist noch
nicht abgeschlossen. Die Besetzung der Bischofssitze, dazu die Förderung der
Bistümer, das Verhältnis zu den Großen in Deutschland und Ottos Stellung zu
Polen und Ungarn werden angesprochen, aber viele seiner Aktivitäten wurden
abgeschnitten durch seinen frühen Tod am 23. Januar 1002. Aus dem kurzen
Abschnitt bleiben des Verfassers Mahnungen: zu akzentuieren sei die Eigenart
königlicher Machtausübung im 10. Jahrhundert, „die auf den Säulen Präsenz,
Konsens und Repräsentation aufruhte und so das Funktionieren einer Ordnung
durchaus gewährleisten konnte“ (S. 309). Man dürfe von ihr nicht die Intensität
späterer staatlicher Zugriffe erwarten. In der Beurteilung jenes Kaisers sei
Zurückhaltung angebracht, „denn mehr als Anfänge waren ihm nicht vergönnt“ (S. 315). – Der folgende Abschnitt
ist Heinrich II. gewidmet. Sein Bild in der deutschen Geschichtsschreibung wird
jetzt durch die Biographie und begleitende Studien aus der Feder Stefan Weinfurters
bestimmt. Heinrichs II. Nachfolge war strittig. Ansprüche erhoben Ekkehard
von Meißen und Hermann von Schwaben, erste Ansätze einer Herrschaftsbildung vollzogen
sich auf Stammesebenen. Mit den differierenden Strebungen und Strukturen
befassten sich Walter Schlesinger, Reinhard Schneider, Steffen Patzold,
Hagen Keller, Thomas Zotz und Ernst Schubert. In die einander
überkreuzenden und sich gegenseitig ausschließenden Entwicklungen brachte Erzbischof
Willigis Ordnung, der am 7. Juni 1002 in Mainz Heinrich II. durch dessen
Anhänger wählen ließ und krönte. Dem schlossen sich die Sachsen durch die
sogenannte Nachwahl in Merseburg im Juli, die Lothringer Anfang Oktober in
Aachen an. Die Nachfolge auf dem Thron blieb indessen nie ganz unangefochten.
Heinrichs II. ganze Regierungszeit blieb angefüllt nicht nur mit den Auseinandersetzungen
mit dem Piasten Boleslaw Chrobry bis 1018. In die Kämpfe wurden wiederholt
sächsische Adlige einbezogen, Heinrich II. begegnete ihnen in vielen Maßnahmen
und Kämpfen, die erfolglos blieben, sogar die Reserviertheit des Adels ihm
gegenüber festigten. In Oberlothringen wurde er oft zu Eingriffen gezwungen. Gleiches,
wenn auch in komplexeren Zusammenhängen gilt auch für die Beziehungen mit den
geistlichen Großen Er löste in gewisser Rücksichtslosigkeit die vom Vorgänger
überkommenen Fragen des Gandersheimer Streites und der Wiedererrichtung des
Bistums Merseburg. Viele Klöster mussten Eingriffe zu Gunsten der Regierung des
Kaisers hinnehmen und blieben frei von der Reformbewegung Clunys. Stärker als
seine Vorgänger nutzte er Bischofssitze für Aufenthalte mit deren enormen
wirtschaftlichen Belastungen. Die Beurteilung dieser Politik führte zu
Kontroversen zwischen Hartmut Hoffmann und Johannes Fried. Eine
Besonderheit war die Gründung des Bistums Bamberg mit reicher Ausstattung nicht
nur in der Umgebung, sondern auch in Bayern und in den Alpen, unter Einbußen
der Bistümer Würzburg und Eichstätt. In die wirren Verhältnisse in Italien
griff Heinrich II. mit Zügen über die Alpen verhältnismäßig spät ein. Während
des zweiten Zuges wurden er und seine Gemahlin am 14. Februar 1013 in Rom
gekrönt. Aufstände und Unruhen der Gegner unter der Führung Arduins von Ivrea
waren bis zu dessen Tod Ende 1015 an der Tagesordnung. Immerhin behielt der
Kaiser die Vorhand bei der Ernennung von Bischöfen. Ein dritter Italienzug
wurde 1021 nötig zur erfolgreichen Abwehr der von Byzanz unternommenen
Interventionen und Bündnissuche. Trotz aller Einzelerfolge gilt: „Ein Fazit dieser Italienpolitik zu ziehen
fällt schwer“ (S. 344). Gerd
Althoff spricht ihm nach Überschau über die gerade in diesem Falle
kontroversen Meinungen in der Forschung die Rolle eines aktiven Gestalters in
der Italienpolitik ab.
Den reichen Inhalt des Bandes schließen die von
beiden Autoren gestalteten Überblickskapitel ab. Reisekönigtum und Hoftage, Beratungsformen
mit Adel und Kirche mit tendenzieller Stärkung dieser Kreise,
Herrschaftsrepräsentation und Rituale, Konflikte und deren Beilegung oft in
außergerichtlichen Verfahren, die kein Spezifikum des 10. Jahrhunderts waren,
sondern längere Zeit in Übung blieben, das Königtum und die ottonische
Reichskirche, hier debattiert mit Überlegungen von Timothys Reuter bedenkenswertem
Hinweis auf die personalen und dinglichen Aspekte, die mehr zu beachten sind.
Eingehende Würdigung wird zu Teil der geistig-religiösen Kultur mit besonderem
Gewicht auf das Nebeneinander von Reichsmönchtum und Reformbewegungen Überblicke
leiten über zur ottonischen Historiografie, dem Bestand von Schulen und der literarischen
Produktion, bei der Domschulen die Klosterschulen zu überflügeln begannen. -- Zu
begrüßen ist das Ansprechen der Endzeiterwartung um das Jahr 1000 (S. 395). – Die
Anstöße Alfred Haverkamps bestimmen den der Wirtschaft und Gesellschaft
gewidmeten Teil der Schlussbetrachtungen, in denen hingewiesen wird auf die von
Karl Bosl auf die deutsche Forschung wirkenden Anregungen. Beachtenswert
sind die Warnungen im Blick auf voreilige Schlüsse angesichts der Spärlichkeit
von Überlieferungen aus der ländlichen Welt. „Wieweit sich aus
Überlieferungssplittern ,Alltagsgeschichte’ rekonstruieren lässt, ist ein
schwieriges methodisches Problem. Auch der Rückschluss auf ,Lebensordnungen’
und strukturelle Grundmuster bedarf sorgfältiger Kontrollen (S. 403). Man kann
derartige Warnungen nur gutheißen angesichts häufiger ‚Kurzschlussformulierungen.‘
Hier werden Hinweise gegeben über ländliches Siedlungswesen, Agrarproduktion-
und Agrartechnik, Getreideanbau, Sozialstrukturen, das Wesen der familia, der Entstehung von Burgen und der
„ottonischen Stadt“, das von Wolfgang Hess behandelte Wesen der
Marktrechtsfamilien, das Aufblühen des Handels und Kaufmannsfriedens, die
Entwicklung des Geldwesens und Entstehung von Münzstätten, die Entstehung der nationes als multigentiler Verbände. In
der Zusammenfassung wird als materielles Ergebnis festgehalten: „Auf der Basis der konsensualen
Zusammenarbeit von Königtum, Adel und Kirche ist es unter gegenseitiger
Anerkennung von Rang und Stellung und mittels permanenter Vergewisserung durch
rituelle Handlungen im wesentlichen gelungen, im 10. Jahrhundert die Stabilität
im Inneren und nach außen zu erzeugen, die im zerfallenen Karolingerreich nicht
mehr gegeben war“ (S. 442). Und:
Damals wurde vieles geschaffen, was über die Ottonenzeit Bestand behielt.
Wiesbaden Alois
Gerlich