Kassner, Thorsten, Der Steuerreformer Johannes von Miquel. Leben und Werk. Zum 100. Todestag des preußischen Finanzministers. Ein Beitrag zur Entwicklung des Steuerrechts (= Osnabrücker Schriften zur Rechtsgeschichte 4). Universitätsverlag Rasch, Osnabrück 2001. 257 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Die Arbeit ist die von Malte Schindhelm angeregte und betreute, im Wintersemester 2000/2001 in Osnabrück angenommene juristische Dissertation des Verfassers. Sie beginnt mit dem fragwürdigen Satz, dass Steuern in ihren verschiedensten Formen so alt seien wie die Geschichte der Menschheit. Wäre dem so, so wäre dem im Alter von 65 Jahren abgebildeten Miquel vermutlich nicht mehr so viel Neuland geblieben, wie es die Untersuchung eindrucksvoll umreißt.
Der Verfasser setzt in einem ersten Teil mit einer biographischen Skizze des 1828 in Neuenhaus geborenen, 1901 in Frankfurt am Main verstorbenen Miquel ein. Sie erfasst Herkunft, Rechtsstudium in Heidelberg und Göttingen, Hinwendung zu demokratisch-sozialistischen Strömungen als ideeller Marxist, Tätigkeit als Rechtsanwalt und Kommunalbeamter, als Bürgermeister in Osnabrück und als Oberbürgermeister in Frankfurt am Main. Nach langen Jahren in Landtag und Reichstag wird der zum rechtsliberalen Staatspolitiker gereifte Miquel 1890 Finanzminister Preußens, den sein Freund Rudolf von Bennigsen als den größten Finanzminister, den das Land bis zu dieser Zeit gehabt hat, bezeichnet, der aber gleichwohl im Gegensatz zu seinem langjährigen Gegenspieler Otto von Bismarck weitgehend dem Vergessen anheimgefallen ist, dem der Verfasser ihn zu entreißen versucht.
Im zweiten Teil schildert der Verfasser die Ausgangslage. In den Mittelpunkt stellt er dabei zutreffend die steuerliche Ausgangslage. In der Folge legt er sorgfältig die Entwicklung der „Einkommensteuer“, Gewerbesteuer, Erbschaftsteuer, Grund- und Gebäudesteuer sowie der kommunalen Besteuerung einschließlich der Unzulänglichkeiten der einzelnen Steuern in Preußen im 19. Jahrhundert sowie der politischen Möglichkeit von Reformen dar.
Kern der Arbeit sind dann die Steuerreformen der Jahre zwischen 1890 und 1893. Sie gliedert der Verfasser in zwei Teile (1890/1891 Einkommensteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, Erbschaftsteuergesetz, 1892/1893 Gesetz wegen Aufhebung direkter Staatsteuern, Kommunalabgabengesetz, Ergänzungssteuergesetz). Umsichtig geht er besonders auf Miquels jeweilige Begründungen und den zugehörigen Gang der Verhandlungen ein.
Nach einer Betrachtung der Anschlussgesetze und Miquels allgemeiner Staatspolitik versucht er eine Gesamtwürdigung, bei der er dem Verhandlungsgeschick Miquels einen hervorragenden Platz einräumt. Die besonderen Leistungen Miquels für Preußen und das Deutsche Reich zeigt er vor allem an Einkommen- und Ergänzungssteuer, Gewerbesteuer und Kommunalabgaben auf. Den Schluss bildet eine Bilanz, die detailliert nachweist, was von Miquels Reformen geblieben ist.
Insgesamt sieht der Verfasser überzeugend in Miquels Steuerreformen den Übergang zu dem modernen Steuersystem. Miquel gelingt im Wesentlichen die Konzentration des zersplitterten Steuerrechts in wenigen Gesetzen. Haupteinnahmequelle des Staates wird die Einkommensteuer, für deren Festsetzung die Steuererklärung des Bürgers die wesentliche Grundlage bildet, wobei dem Bürger gegen die Entscheidung der Finanzverwaltung umfangreiche Rechtsmittel zur Verfügung gestellt, aber falsche Angaben und Steuerhinterziehung mit Strafe bedroht werden.
Die Ertragshoheit der Steuerquellen wird zwischen den Gebietskörperschaften ausdrücklich aufgeteilt, wobei Grundsteuer und Gewerbesteuer als Realsteuern an die Gemeinden fallen. Die Kommunalabgaben setzen sich hauptsächlich aus Steuern, Gebühren und Beiträgen zusammen. Das Steuerrecht kann Mittel zu Regulierung wie Deregulierung sein.
Innsbruck Gerhard Köbler