Hermann Roesler. Dokumente zu seinem Leben und Werk, hg. v. Bartels-Ishikawa, Anna (= Schriften zur Rechtsgeschichte 136). Duncker & Humblot, Berlin 2007. IV, 191 S. Besprochen von Beate Ritzke.

 

Hermann Roesler – muss man den kennen? Ohne Frage gehört der 1834 geborene, spätere Professor für Staatswissenschaften an der Universität Rostock nicht zu den bis heute bekanntesten Vertretern seines Fachs. Ebenfalls ohne Frage anzuerkennen sind aber seine Leistungen, die er sowohl auf dem Gebiet der Kritik des ökonomischen Smithianismus als auf dem des sozialen Verwaltungsrechts vollbracht hat. Dies hat dazu geführt, dass Roesler innerhalb der letzten Jahrzehnte immer wieder beachtet wurde, so insbesondere in der 1969 erschienen Habilitationsschrift des Theologen Anton Rauscher, Die soziale Rechtsidee und die Überwindung des wirtschaftsliberalen Denkens sowie im zweiten Band von Michael Stolleis’ Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland von 1992.

 

Anna Bartels-Ishikawa reiht sich nun in die kleine Schar derer ein, die sich intensiv mit Roesler auseinandersetzen. Wie der Titel des Werkes schon andeutet, will es den Zugang zu den im Archiv des S. J.-House in Tokyo aufbewahrten Originaldokumenten, die einen Bezug zu Roeslers Leben und Werk besitzen, ermöglichen. Gleichwohl erschöpft sich das Buch nicht in einer Materialsammlung. In ihrem ersten Kapitel gibt Bartels-Ishikawa einen Überblick über die Geschichte des Archivs des S. J. House und die dort aufbewahrten, weitestgehend unveröffentlichten Primärquellen. Das zweite Kapitel widmet sie der Biographie Roeslers. Hier gelingt es ihr durch die Zusammenführung der privaten Briefe und Notizen Roeslers und seiner Familie dessen Leben bis zur Abreise nach Japan detailreich nachzuzeichnen. Ein wenig Schade ist allerdings, dass Bartels-Ishikawa nicht auch die Originalakten über Roesler, die in den Archiven der Universitäten Erlangen, Tübingen und Rostock vorhanden sind, hinzugezogen hat, sondern an den entsprechenden Stellen auf Rauscher verweist. Die Verwendung der Akten hätte das Werk noch authentischer wirken lassen. Neben dem Leben stellt Bartels-Ishikawa auch einige in Deutschland verfasste Werke und deren Aufnahme in den Fachkreisen vor. Den Schwerpunkt legt sie dabei auf Das soziale Verwaltungsrecht, den ersten Band von Roeslers unvollendet gebliebenem Lehrbuch des deutschen Verwaltungsrechts. Es gelingt ihr auf wenigen Seiten, unter anderem dessen wesentliche Inhalte und Ziele kurz zu skizzieren sowie einen guten Überblick über die wichtigsten Absichten und Grundpositionen Roeslers sowie seine Methode zu geben. Nicht ganz zuzustimmen ist allerdings der Aussage, dass Roesler nicht zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht differenziert habe (S. 43f.). Für Roesler ist nämlich nicht diese Unterscheidung die wesentliche, sondern die zwischen dem Privatrecht und dem sozialen Verwaltungsrecht. Da Roesler von einer prinzipiellen Trennung dieser beiden Rechtsgebiete ausgeht und er das soziale Verwaltungsrecht dem öffentlichen Recht zuordnet, differenziert er letztlich auch zwischen dem öffentlichen Recht und dem Privatrecht. Bei der Einordnung der verschiedenen Gegenstände in den Bereich des sozialen Verwaltungsrechts oder in den des Privatrechts erscheint Roeslers Vorgehen mangels eindeutiger, allgemeiner Zuordnungskriterien nicht immer nachvollziehbar und führt bisweilen zu unerwarteten und ungewohnten Ergebnissen. So kann ihm der Vorwurf gemacht werden, er vermenge im sozialen Verwaltungsrecht u. a. öffentlich-rechtliche und privatrechtliche Materien. Ebenso ausführlich wie Bartels-Ishikawa das Leben und Schaffen Roeslers in Deutschland darstellt, widmet sie sich auch dem Zeitabschnitt, den Roesler in Japan zugebracht hat. Sie schreibt sowohl über den privaten als auch den beruflichen Alltag Roeslers. Mit einiger Ausführlichkeit geht sie auf seinen Beitrag zum japanischen Handelsgesetzbuch wie seinen Einfluss auf die Meiji-Verfassung ein. Zum Abschluss des Kapitels fasst sie die wesentlichen Ergebnisse ihrer Arbeit zusammen. Das Herzstück des Buches bildet jedoch nicht der biographische Teil, sondern die zum größten Teil erstmalige Veröffentlichung der Originaldokumente von und über Hermann Roesler. Diese privaten Aufzeichnungen lassen das - zwar durch die Biographie schon bekannte - Bild Roeslers als Mensch, seine persönlichen und familiären Hintergründe und Beweggründe noch einmal wesentlich facettenreicher entstehen. Die von Anna Bartels-Ishikawa zusammengetragenen Dokumente besitzen einen nicht unerheblichen Wert.

 

Anna Bartels-Ishikawa hat eine Arbeit vorgelegt, die vielleicht nicht das breite Publikum als Leserkreis gewinnen wird – dazu ist Roesler nach wie vor zu unbekannt. Für den interessierten Forscher ist es jedoch von hohem Wert – und genau dies ist ja auch die Absicht der Verfasserin.

 

Frankfurt                                                                                                                   Beate Ritzke