Herbe, Daniel, Hermann Weinkauff (1894-1986). Der erste Präsident des BGH (= Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts 55). Mohr (Siebeck), Tübingen 2008. XIX, 312 S. Besprochen von Werner Schubert.
Hermann Weinkauff gehört zu den wichtigsten Repräsentanten der neuen Rechtsordnung der Bundesrepublik und war eine prominente, wenn auch nicht ganz unumstrittene Persönlichkeit der juristischen Zeitgeschichte. Die Arbeit Herbes über Weinkauff, über den bisher noch keine umfassende Biographie vorlag (vgl. über Weinkauff zuletzt Klaus-Detlev Godau-Schüttke, Der Bundesgerichtshof – Justiz in Deutschland –, Berlin 2005, S. 21ff.), reiht sich ein in die Reihe der Biographien mit werkbiographischem Ansatz, wie sie bisher u.a. vorliegen für Karl Larenz, Heinrich Lange, Heinrich Lehmann, Justus Wilhelm Hedemann und Hans Carl Nipperdey (vgl. S. 6). Der biographische Teil (S. 8-104) befasst sich mit der Jugend, der Ausbildung, dem Studium und der Teilnahme Weinkauffs am Ersten Weltkrieg. Weinkauff entstammte einer rheinpfälzischen Beamtenfamilie und schloss 1922 seine juristische Ausbildung mit der besten Note „ausgezeichnet“ ab. Diese Note eröffnete ihm eine Tätigkeit im Bayerischen Staatsministerium der Justiz und, mit Unterbrechungen, seit 1925 bei der Reichsanwaltschaft in Leipzig. 1928/29 befand er sich in Frankreich zu einem Studienaufenthalt im Auftrag des Reichsjustizministeriums. Ab Juni 1932 war er dauerhaft in Leipzig, zunächst wiederum bei der Reichsanwaltschaft, seit Mai 1935 Hilfsrichter am 3. Strafsenat unter dem Reichsgerichtspräsidenten Bumke. Hier war Weinkauff nicht mit der Rechtsprechung des Senats zum „Blutschutzgesetz“ als Berichterstatter beteiligt (S. 44f.) In einer von ihm entworfenen Stellungnahme zur Reform des Gerichtsverfassungsgesetzes wandte er sich gegen das Führerprinzip bei den Kollegialgerichten (S. 46ff.). Ende 1936 wurde er in den 1. Zivilsenat (zuständig u. a. für Patent-, Muster- und Binnenschifffahrtsrecht) unter Lindenmaier versetzt und schließlich am 1. 3. 1937 zu Reichsgerichtsrat ernannt, ohne Mitglied der NSDAP zu sein, in die er auch später nicht eintrat. Von Leipzig aus begab er sich im Oktober 1945 nach Bayern, wo er nach kurzer Internierung am 1. 4. 1946 Präsident des Landgerichts Bamberg und im September 1949 Präsident des OLG Bamberg (als Nachfolger Dehlers) wurde. Nach einer Studienreise in die USA wurde er auf Vorschlag des Bundesjustizministers Dehler am 30. 9. 1950 zum Präsidenten des Bundesgerichtshofs ernannt, dessen Wiederaufbau vor allem sein Werk ist. Hierzu, insbesondere auch zu der Frage, inwieweit die Personalpolitik von Weinkauff mit beeinflusst war, enthält das Werk nur wenige Angaben (vgl. S. 89ff.).
Den zweiten Teil des Werks bildet die Teilhabe Weinkauffs an der Naturrechtsdiskussion der Nachkriegszeit in Rechtswissenschaft und Rechtsprechung (S. 105-243). Wie Herbe im Einzelnen nachweist, gehört zwar Weinkauff zu den bekanntesten Vertretern und Verfechtern des Naturrechts. Hierzu vertrat er eine „idealistische, theologische, schwache Naturrechtslehre, die sich als ein Konglomerat aus Teilen der katholischen Moraltheologie, Teilen der evangelischen, von Brunner, Erik Wolf u. a. vertretenen Auffassungen sowie aus der profanen Rechtsphilosophie i. S. d. Scheler-Hartmannschen Wertethik erwies“ (S. 290). Auf der anderen Seite aber zeigt die von Herbe ausführlich analysierte Rechtsprechung des BGH (insbesondere des 1. Zivilsenats, dem sich Weinkauff 1954 anschloss [S. 198ff.], der gutachtlichen Stellungnahmen für das Bundesverfassungsgericht und der Entscheidungen der Großen Senate), dass nur in sechs Entscheidungen sowie in einem Gutachten naturrechtliche Gedanken zu den tragenden Gründen gehörten. Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang die Kuppelei- und Selbstmordbeschlüsse von 1954 sowie das nicht einmal mehrheitlich ergangene Gutachten zu Art. 3 Abs. 2 GG (S. 205ff.; BGHZ 11, Anhang). Insgesamt erfolgte der Rückgriff auf das Naturrecht als Auslegungshilfe nur in sehr wenigen, allerdings schon damals höchst problematischen Entscheidungen (hierzu S. 236ff.).
Im dritten Teil geht Herbe den Vorstellungen Weinkauffs als Mitglied der Kommission des Bundesjustizministeriums zur Vorbereitung einer Reform der Zivilgerichtsbarkeit (1955-1959) nach. Im Anschluss an die Vorarbeiten von Adickes von 1906/07 trat Weinkauf für eine erhebliche Verringerung der Richterzahl und für ein einheitliches Eingangsgericht ein. Die von ihm angestrebte „Große Justizreform“ hatte nach seinem Konzept die Aufgabe, die „Juristen und die Bevölkerung gegen das neue Andringen der Diktatur wachsam und widerstandsbereit zu machen“ (S. 291). Abschließend behandelt Herbe das vom „Institut für Zeitgeschichte“ initiierte und von Weinkauf betreute Projekt: „Die deutsche Justiz und der Nationalsozialismus“ (S. 273ff.), das weitgehend scheiterte. Sein eigener Beitrag in dem ersten Band der Reihe (Stuttgart 1968) umfasste nur 188 Seiten. Hier vertrat er die These, die deutschen Juristen und vorab die deutschen Gerichte hätten die deutsche „Rechtsbarbarei, Rechtsunsicherheit, Rechtlosigkeit, Unrecht und schließlich Verbrechen“ nicht verhindern können, „da der deutsche Rechtsstand und das Richtertum nicht gerüstet gewesen seien, dem nationalsozialistischen Einbruch in das Recht zu begegnen. Sie seien in einem gewissen Ausmaße als Werkzeuge der Entwicklung missbraucht worden; zu einem gewissen Bruchteil hätten sie sich missbrauchen lassen“ (S. 281). Diese Widerstandslosigkeits- und Rechtspositivismusthese ist überwiegend kritisiert worden (vgl. S. 282ff.). Gleichwohl ist das Werk Weinkauffs ein Pionierwerk (so Rückert, S. 286), das inzwischen allerdings durch zahlreiche Arbeiten zur Rechtsgeschichte der NS-Zeit weitergeführt worden ist. Abschließend stellt Herbe fest, es sei in der Tat gerechtfertigt anzunehmen, „dass die junge Bundesrepublik mit der Auswahl dieses Präsidenten eine glückliche Hand hatte“ (S. 292). Auch wenn diese These nicht ganz unbestritten bleiben dürfte, ist ihr im Wesentlichen gleichwohl zuzustimmen. Allerdings hätten im Ganzen die von Weinkauff zum Reichsgericht und zur NS-Zeit vorgebrachten Ausführungen etwas breiter und vielleicht kritischer kommentiert werden können. Auch die Gründe seines Rücktritts und seine Stellung gegenüber dem Justizministerium als Präsident des BGH hätten noch näher beleuchtet werden können (hierzu Godau-Schüttke, S. 265ff.). Auf der anderen Seite ist Herbe zuzugeben, dass sein Werk nicht alle Aspekte der Persönlichkeit Weinkauffs behandeln konnte, zumal noch für Weinkauff relevante, noch unausgewertete Unterlagen in den Archiven von Washington und Moskau lagern.
Die gelungene und lesenswerte Untersuchung Herbes, die ein gegenüber den bisherigen Darstellungen differenzierteres Bild von Weinkauff vermittelt, ist alles in allem ein wichtiger Beitrag zur personengeschichtlich orientierten Rechtsgeschichte der 40er und der 50er Jahre der Bundesrepublik.
Kiel |
Werner Schubert |