Heppe,
Rafael von, Patentverletzungen. Eine Analyse der reichsgerichtlichen
Rechtsprechung von 1879 bis 1918 zu § 4 und § 35 (§ 34 a. F.) des
Patentgesetzes vom 7. April 1891 (= Schriften zur Rechtsgeschichte 135).
Duncker & Humblot, Berlin 2007. 494 S. Besprochen von Frank L. Schäfer.
In der globalisierten Wirtschaft sind
Produktionsstandorte fast beliebig austauschbar. Eine Konstante bleibt: das
weltweit agierende Unternehmen. Sein wichtigstes Gut ist sein Know-how. Die
Produktpiraterie der aufstrebenden Wirtschaftsmacht China demonstriert, wie wichtig
der Schutz solcher „weicher“ Produktionsbedingungen ist. Für die
Wirtschaftskonkurrenz der Nationen und Unternehmen und die übergeordneten
sozialen Belange der Menschheit ist das geistige Eigentum der entscheidende
Faktor im 21. Jahrhundert. Weniger das Gesellschafts-, Steuer-, Arbeits- und
Sozialrecht, sondern das Weltimmaterialgüterrecht, das sich international in
Genf über WIPO und TRIPS bündelt, lenkt die Wirtschaftsströme. Das
Immaterialgüterrecht kompensiert die Schwächen des internationalen
Wettbewerbsrechts, es schützt Investitionen. Auf der Schattenseite versperrt es
im humanitären Bereich teilweise in den Ländern der Dritten Welt den Zugriff
auf lebenswichtige Güter.
Es ist daher sehr zu begrüßen, wenn sich eine von Werner
Schubert betreute Kieler Dissertation einem Ausschnitt der Geschichte dieses
zentralen Rechtsgebiets widmet. In den klassischen Darstellungen der
Privatrechtsgeschichte tritt das Immaterialgüterrecht zu Unrecht hinter die traditionellen
romanistischen und germanistischen Rechtsinstitute zurück. Rafael von Heppe
zeichnet in seiner Dissertation „Patentverletzungen“ auf der Grundlage der
Reichspatentgesetze von 1877 und 1891 die Rechtsprechungsgeschichte des
deutschen Patentrechts zwischen 1879 und 1918 nach. Seine Dissertation ergänzt
die wirtschaftsgeschichtlich angelegte Studie Margrit Seckelmanns über
„Industrialisierung, Internationalisierung und Patenrecht im Deutschen Reich,
1871-1914“.
Der erste Abschnitt mit den Teilen „Die geschichtliche
Entstehung des Patentschutzes“ und „Die Ziele und das Wesen des Patentrechts“
bietet auf rund 50 Seiten einen instruktiven Überblick über die Geschichte des
internationalen und deutschen Patentrechts bis zum 19. Jahrhundert. Der zweite und
dritte Abschnitt bilden mit der Rechtsprechungsanalyse den Hauptteil der
Arbeit. Sie gehen auf 130 Seiten auf „Verletzungsansprüche und patentrechtliche
Verfahren“ und auf 247 Seiten auf „Materielle Voraussetzungen der
Patentverletzung“ ein. Zusammenfassungen zu den Unterabschnitten und eine große
Gesamtzusammenfassung am Ende erleichtern dem Leser den schnellen Zugriff. Abgerundet
wird das Werk durch einen Anhang mit den Texten der Patentgesetze von 1877 und
1891, der Besetzungsliste des für Patentsachen zuständigen I. Zivilsenats,
einem mustergültigen 45-seitigen Urteilsverzeichnis, einem Quellen- und
Literaturverzeichnis sowie einem Personen- und Stichwortregister.
Das ausführliche Urteilsverzeichnis lässt den enormen
Aufwand erahnen, mit dem Heppe in der Bibliothek des Bundesgerichtshofs in
Karlsruhe im Nachlass des Reichsgerichts recherchiert hat. Als Ausgangspunkt dienten
das von Schubert/Glöckner edierte „Nachschlagewerk des Reichsgerichts“ und
die von Schubert allein edierte „Sammlung sämtlicher Erkenntnisse des
Reichsgerichts in Zivilsachen“. Das „Nachschlagewerk“ war seit 1900 das
interne, wie ein Kommentar nach Paragraphen gegliederte Verzeichnis des Reichsgerichts
über grundlegende Entscheidungen, das anders als die halbamtliche Sammlung
„RGZ“ echte Leitsätze enthielt. Es gewährt einen authentischen Blick darauf,
wie das Reichsgericht einzelne Urteile im Gesamtbild seiner Rechtsprechung
gewichtete und bewertete. Im Gegensatz zum BGH-Repertorium von Lindenmaier/Möhring
wurde also eine gezielte Auswahl getroffen. Die Edition der „Sammlung“ dagegen ist
für den Zeitraum von 1900 bis 1918 eine Zusammenfassung der rund 1.100 originalen
Bände in Karlsruhe, welche von den Anfängen bis zum Ende des Reichsgerichts den
vollen Urteilstext fast aller Entscheidungen des Reichsgerichts enthalten. Heppe
hat über die beiden Editionen in vielen Fällen, in denen Entscheidungen
entweder gar nicht oder nur stark verkürzt veröffentlicht wurden, den originalen
Volltext in der BGH-Bibliothek ausgewertet. Sogar für den Zeitraum vor 1900,
den weder das „Nachschlagewerk“ noch die „Sammlung“ erfassen, weist Heppe
einige unveröffentlichte Urteile nach.
Auf diese Weise erhält der Leser einen Einblick in den
oft mühseligen Kristallisationsprozess der Rechtsprechungslinien des Reichsgerichts.
Die tatsächliche Entscheidungsfindung der Reichsgerichtsräte war weitaus vielschichtiger,
als es die in „RGZ“ überlieferten Urteile vermuten lassen. In der komplizierten
Materie des Patentrechts musste die Rechtsprechung auch in der Revisionsinstanz
tief in die technischen Sachverhalte eintauchen. Die ausführliche Darstellung
der Fälle in der Dissertation ist gerade ein Pluspunkt, belegt sie doch
eindringlich die historische Komplexität.
Heppe
weist besonders in den Bereichen des Schutzbereichs eines Patents und der
sanktionierten Eingriffshandlungen nach, dass das Reichsgericht oft gesetzgeberischen Verschärfungen des Patentrechts
vorgearbeitet hat. Das Reichsgericht agierte nicht gesetzespositivistisch oder
formalistisch, sondern im ständigen Blick auf die Ergebnisse bewusst
rechtspolitisch und wirtschaftsorientiert. Es folgte offenbar der
zeitgenössischen Tendenz des nationalen Protektionismus. Die Dissertation
bestätigt damit für konkrete Rechtsprobleme die zuvor in der geschichtlichen
Übersicht aufgestellte These, die Stimmung in Deutschland habe sich vom
Marktliberalismus hin zum Protektionismus gewandelt.
In der Gesamtschau hat Heppe sowohl zur
Geschichte des Immaterialgüterrechts als auch zur Geschichte der Rechtsprechung
einen wichtigen Beitrag vorgelegt. Die Stärke der Arbeit liegt in der
detaillierten, an der historischen Kasuistik und Komplexität orientierten
Darstellungsweise. Die Entscheingsprozesse des Reichsgerichts können durch den
Leser unmittelbar nachvollzogen werden. Zukünftige Forschungen zur jüngeren
Geschichte des Patentrechts werden in Heppes Beitrag reiches
Anschauungsmaterial finden.
Kiel Frank
L. Schäfer