Harth, Caroline, Der Mythos von der Zerstörung des Vertrages. Zur Vertragslehre im Nationalsozialismus (= Europäische Hochschulschriften 2, 4657). Lang, Frankfurt am Main 2008. 171 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Die Arbeit ist die von Uwe Wesel betreute, nach Aufenthalt am Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte im März 2005 von der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Frankfurt am Main angenommene Dissertation der Verfasserin. Sie beginnt in der Einleitung mit dem Satz: Die nationalsozialistische Vertragslehre wollte das Vertragsrecht im Sinne nationalsozialistischer Ideologie verändern. In diesem Zusammenhang werden von der Verfasserin zur nationalsozialistischen Vertragslehre diejenigen Vertreter gezählt, die das Vertragsrecht nationalsozialistischer Ideologie entsprechend „erneuern“ wollten.

 

Dabei geht die Verfasserin vom Vorherrschen der Einschätzung aus, die Vertreter der Vertragslehre hätten sich gegen das Vertragsmodell formiert und ihren eigenen Gegenstand, den Vertrag, so sehr seiner Voraussetzungen beraubt, dass das Vertragsdenken suspendiert wurde. Die Vertragsfreiheit sei „als abhängiges Prinzip, das jederzeit beschränkt oder widerrufen werden konnte,“ definiert worden. Der Grund dafür sei gewesen, dass der Vertrag in Konsequenz der nationalsozialistischen Ideologie, welche die Unterordnung der Einzelinteressen unter das Gesamtinteresse forderte, bekämpft werden musste, da er die Privatautonomie verkörperte und der Inbegriff des verhassten „Liberalismus“ und „Individualismus“ war.

 

Ihre Arbeit will die daraus folgende Auffassung von der Widersprüchlichkeit der Vertragsordnung im Nationalsozialismus in Frage stellen. Anlass dazu geben die Protokolle der Sitzungen des Ausschusses für allgemeines Vertragsrecht. Sie vermitteln den Eindruck, dass auch die dem Bürgerlichen Gesetzbuch von 1900 nahen Regelungen der Vertragsordnung Bestandteil eines Werkes sind, das insgesamt nationalsozialistischen Rechtsvorstellungen entspricht, weil die Juristen der Akademie für deutsches Recht mit Begeisterung das Ziel einer Vertragsordnung vom Boden des Nationalsozialismus verfolgten.

 

Zu diesem Zweck stellt die Verfasserin - unter Berücksichtigung von Bernhardt, Binder, Boehmer, Böhm, Brinkmann, Buchner, Busse, Dahm, Dölle, Eckhardt, Eilles, Eucken, (Fikentscher 1997,) Freisler, Geiler, Gierke, Gottschick, Großmann-Doerth, (Hariou 1965,) Haupt, Hedemann, Heller, Herschel, Fritz von Hippel, Hueck, Jessen, Kirchheimer, Klausing, Klug, Arwed Koch, Krause, Lange, Larenz, Lehmann, Lehnich, Mansfeld, Manigk, Menger, Nipperdey, Oertmann, Ludwig Raiser, Renner, Reu, Rhode, Rühl, (Savigny,) Schlegelberger, Schmelzeisen, Schmidt-Rimpler, Schmitt, Schmölders, Schönfeld, Siber, Siebert, Spengler, Stoll, Thur, Tröger, Wagner, Wieacker und Würdinger aus der vor 1945 erschienenen Literatur . in ihrem ersten Kapitel die für das Vertragsrecht wichtigen nationalsozialistischen Rechtsvorstellungen dar, wobei eine Schwierigkeit darin besteht, dass es keine eindeutigen Koordinaten für ein typisch nationalsozialistisches Recht gibt. Im zweiten Kapitel untersucht sie die Hintergründe des „Funktionswandels“ des Vertragsrechts, der insoweit ein „mehr“ im Vergleich zum klassischen Vertragsbegriff bedeutete, als es um mehr als das formale Konsensmodell ging. Im dritten Kapitel geht sie den wirtschaftspolitischen Vorstellungen der Akademiemitglieder nach und arbeitet heraus, inwieweit trotz aller antiliberaler Ressentiments die vom Ertragsstreben geleitete private Initiative treibende Kraft im Wirtschaftsleben bleiben sollte.

 

Im abschließenden vierten Kapitel widmet sie sich der Frage, wie das Programm der Rechtserneuerung dogmatisch umgesetzt wurde. Dabei geht sie vor allem der Frage nach, ob vor dem Hintergrund eines geordneten Liberalismus erklärt werden kann, dass die ausgearbeitete Vertragsordnung viele Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs übernahm und gleichzeitig in anderen Regelungen den Vertrag der einzelnen „Volksgenossen“ gesamtwirtschaftlichen Interessen zugänglich machte. Im Ergebnis gelangt sie dabei zu der Ansicht, dass die wirtschaftspolitischen Vorstellungen der Akademiemitglieder im Hinblick auf  staatlich gelenkten Wettbewerb mit den Wettbewerbsvorstellungen des Ordoliberalismus vergleichbar sind.

 

Mit der Erhaltung von Vertrag und Eigentum wurden die Grundlagen der bürgerlichen „Kontraktgesellschaft“ beibehalten. Bei den allgemeinen Geschäftsbedingungen blieb man bei der Vertragsfiktion. Insgesamt wurden damit in der letztlich bekanntlich nicht verwirklichten Vertragsordnung freies Unternehmertum und staatliche Einbindung von Verträgen mit Gemeinschaftsbezug verwoben, so dass sich die plakativ in den Vordergrund gestellte grundsätzliche Zerstörung des Vertrags als Mythos erweist.

 

Innsbruck                                                                                                       Gerhard Köbler