Ham, Rüdiger, Ludwig Hassenpflug. Staatsmann und Jurist zwischen Revolution und Reaktion. Eine politische Biographie (= Studien zur Geschichtsforschung der Neuzeit 50). Kovač, Hamburg 2007. LV, 529 S. Besprochen von Wilhelm A. Eckhardt.

 

Ludwig Hassenpflug (1794-1862) ist einer der umstrittensten Politiker des 19. Jahrhunderts. Das betrifft vor allem seine Tätigkeit als kurhessischer Minister 1832-1837 (während der er mehrere Ministeranklagen überstand) und 1850-1855 (während der er die Bundesintervention in Kurhessen beantragte und damit Bundestruppen, die sogenannten „Strafbayern“, ins Land holte), aber auch die als Chef der Zivilverwaltung im Großherzogtum Luxemburg 1839-1840, wo ihn seine „Germanisierungspolitik“ im Auftrag König Wilhelms I. der Niederlande unbeliebt machte; wegen eigener Verständigungsschwierigkeiten mit der überwiegend französischsprachigen Beamtenschaft holte er damals übrigens Dr. jur. Ernst Koch als Regierungssekretär nach Luxemburg, der früher außerordentlicher Referent in Hassenpflugs Kasseler Innenministerium gewesen war (Ham S. 198; zu Koch vgl. Ernst Koch, Prinz Rosa-Stramin, hg. v. Wilhelm A. Eckhardt, Marburg 2008). Zwischenzeitlich amtierte Hassenpflug als Geheimer Obertribunalrat in Berlin 1840-1846 und als Präsident des Oberappellationsgerichts Greifswald 1846-1850; Ham behandelt aber weniger Hassenpflugs richterliche Tätigkeit als die seit 1850 gegen ihn wegen Fälschung bzw. Falschbeurkundung in Greifswald und Berlin geführten Prozesse, die natürlich auch politische Auswirkungen hatten.

 

Ham stützt sich auf umfangreiches Quellenmaterial, darunter auch auf die autobiographischen Aufzeichnungen Ludwig Hassenpflugs, die zum Teil noch in der Familie aufbewahrt werden, zum überwiegenden Teil aber im Hessischen Staatsarchiv Marburg deponiert sind. Er ist sich dabei der Problematik solcher Quellen durchaus bewusst, wenn er schreibt: „Allerdings ist bei der Auswertung der autobiographischen Quellen stets zu berücksichtigen, dass Hassenpflug die Ereignisse seines Lebens natürlich aus seiner Sicht und zum Zweck der eigenen Rechtfertigung schildert, auch und gerade in dem Bewusstsein, als öffentliche Persönlichkeit historische Bedeutung zu gewinnen.“ Zudem lagen z. B. die Jugenderinnerungen zum Zeitpunkt der Aufzeichnung „mitunter über 50 Jahre zurück, so dass mit einer Vielzahl von Irrtümern zu rechnen war. Soweit eine Überprüfung der geschilderten Fakten erfolgen konnte, ergaben sich jedoch kaum nennenswerte Fehler“ (Ham S. 9). Die „Denkwürdigkeiten“ aus Hassenpflugs zweiter Ministerzeit in Kurhessen sind wesentlich zeitnäher entstanden, doch gelten dafür die gleichen Vorbehalte (vgl. Ludwig Hassenpflug, Denkwürdigkeiten aus der Zeit des zweiten Ministeriums 1850-1855, hg. v. Ewald Grothe, Marburg 2008, S. XIVff.). Gleichwohl sind sie eine wichtige Quelle für diese Zeit (vgl. Grothe S. XXIf.), werden also von Ham zu Recht herangezogen und vielfach zitiert.

 

Die Überprüfung eines Teils der Zitate ergab allerdings, dass Ham sie nicht immer buchstabengetreu wiedergegeben hat. Meist sind die Abweichungen zwar sachlich nicht relevant, denn ob es „schon jetzt“ heißt (Ham S. 292 zu Anm. 140) oder richtig „jetzt schon“, macht kaum einen Unterschied. Aber man darf, wenn man in der Regel buchstabengetreu zitiert, nicht in Einzelfällen modernisieren, z. B. „Mißtrauensvotum“ zu „Misstrauensvotum“ und „erwiedern“ zu „erwidern“ (Ham S. 280 zu Anm. 83) oder „verfaßungstreu“ zu „verfassungstreu“ (Ham S. 316 zu Anm. 242); die Verbesserung von „Triumph“ zu „Triumpf“ (ebd. zu Anm. 244) ist dagegen sogar nach heutiger Schreibweise falsch. Manchmal häufen sich Nachlässigkeiten; so schreibt Ham S. 301 „im lebhaftesten Gespräche“ statt „in lebhaftem Gespräche“, „alles“ statt „Alles“ und „an der dem Fenster gerade gegenüberliebenden (!) Thür“ statt „an der den Fenstern grade gegenüberliegenden Thür“. Die meisten solchen Ungenauigkeiten sind in der Edition Grothes, für die Ham die Transkription beigesteuert hatte, korrigiert worden; aber die Überprüfung der Zitate Hams anhand der Edition Grothe swird dadurch erschwert, dass Grothe die Blattziffern der Vorlage nicht angibt.

 

Schwerwiegender als solche Abweichungen vom Buchstabenbestand der Vorlage ist im überprüften Abschnitt die Verlesung von „Rüthen“ zu „Köthen“ (Ham S. 282 zu Anm. 94), denn Tatsache ist: „Radowitz vertrat von Mai 1848 bis Mai 1849 den Wahlbezirk Rüthen in der preußischen Provinz Westfalen“ (Grothe S. 42 Anm. 197). Auch sonst scheint die Identifizierung von Orten nicht Hams starke Seite zu sein, da er S. 294 Anm. 149 wie die Vorlage vom Treffen in „Bellenhausen“ spricht; es handelt sich um Bellnhausen im Landkreis Marburg-Biedenkopf (vgl. Grothe S. 75 Anm. 351). Natürlich hätte Ham die Identifizierung von „Bellenhausen“ auch in einem Index nachholen können, aber einen Index hat sein Buch leider nicht.

 

Trotz dieser notwendigen Kritik im Einzelnen ist das Buch Rüdiger Hams als erste umfassende Biographie einer so bedeutenden Persönlichkeit wie Ludwig Hassenpflug eine wichtige Neuerscheinung.

 

Marburg                                                                                                          Wilhelm A. Eckhardt