Gergen, Thomas, Die Nachdruckprivilegienpraxis Württembergs im 19. Jahrhundert und ihre Bedeutung für das Urheberrecht im Deutschen Bund (= Schriften zur Rechtsgeschichte 137). Duncker & Humblot, Berlin 2007. 455 S. Besprochen von Albrecht Götz von Olenhusen.

 

Die „isolierte und eigensinnige Nachdruckprivilegienpraxis Württembergs bis 1871“ (S. 22) schließt in dieser vorbildlichen, außerordentlich aufschlussreichen und brillanten Arbeit eine seit langem spürbare Forschungslücke. Württemberg ging mit seinem „Rescript“ von 1815 einen durchaus eigenen Weg, um das Prinzip der merkantilistischen und liberalistischen verlegerischen Nachdruckfreiheit auch im Zeitalter der entstehenden modernen Urheberrechtsgesetzgebung strikt und solange wie möglich aufrecht zu erhalten. Das von Thomas Gergen in seiner Saarbrückener Habilitationsschrift anhand der Akten des Hauptstaatsarchivs Stuttgart detailliert erforschte und erstmals systematisch analysierte Privilegiensystem knüpft an den Diskurs um Privileg und Nachdruck im 18. Jahrhundert und an grundlegende Arbeiten, besonders von Gieseke, Vogel, Wadle und Klippel, an. Württemberg ist insofern ein Sonderfall im Deutschen Bund, als es sich jahrzehntelang dem Deutschen Bund und der Reform des Urheberrechts energisch und erfolgreich widersetzte. Gergen entwickelt seine Untersuchung auf dem Hintergrunde der politischen, wirtschaftlichen und verfassungsrechtlichen Ausgangslage im Bund, der Länder und im Königreich Württemberg. Deutlich wird, dass nach wie vor trotz der explizit wirtschaftlichen Intentionen die Verknüpfung mit der Zensur erhalten blieb. Bisher wurde auch noch nie so einleuchtend und konkret die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte des Rescripts von 1815 auf dem Hintergrunde des Wiener Kongresses beleuchtet. Was einmal als „Ober-Censur-Collegium“ und dann in der Folge der Pressefreiheit als „Geheimer Rat“ und „Königlicher Studienrat“ figurierte, wird zusehends zu einem verwaltungsrechtlichen Steuerungsinstrument für die Buch-, Gewerbe- und Wirtschaftspolitik, als deren Reflex der Autor als freilich normativ arg vernachlässigtes Rechtssubjekt allmählich auch hier in den Blick von Rechtswissenschaft und Praxis tritt.

 

Wenn wir an dieser Stelle als ein meisterhaftes Kernstück die ungemein erhellende Untersuchung der Antrag- und Bescheidungspraxis für Druckprivilegien hervorheben, dann deswegen, weil sich die Frage nach den Schwerpunkten der „Motive“, der Begründungen, Hintergründe und des sich auch ganz pragmatisch entwickelnden Systems für ein Privileg seit den Forschungen Bapperts, Pohlmanns und Wadles immer wieder neu gestellt hat. In Württemberg sind es der Sinn für fürsorgliche Autoren-Hinterbliebenenversorgung, pädagogisch geprägter Bildungswert und ökonomische Preispolitik, welcher förderungswürdige Inhalte und „gemeinen“ Nutzen im Sinne des konservativ-paternalistischen Landes mit pedantischer Sorgfalt und schwäbischer Neigung für preiswerte Ware und literarisch-praktischen Gebrauchswert, zuweilen auch mit besonderer Rücksicht auf anerkannte oder ansonsten liebwerte  „Landeskinder“ unter den Verlegern, seltener auf ausländische Antragsteller vorsichtig abwägt. Die Auslegungsprobleme um das „Debitieren“, um geschützte oder freie Ausgaben und Auszüge, um die Anwendung auf Werke der Kunst und Musik bilden einen weiteren wichtigen Abschnitt, bis die Zäsur der Reichsgesetzgebung auch Württembergs „Sonderweg“ versperrte und – die Hindernisse der Diplomatie Württembergs schließlich überwindend - den Schritt zur Vereinheitlichung ermöglichte.

 

Gergen hat so präzise wie anschaulich herausgearbeitet, dass das Privileg als administrativer Akt unterhalb der Gesetzesebene im System als relativ modernes, jedenfalls flexibles Instrument landesherrlicher Wirtschaftsförderung wie bei den gewerblichen Patentprivilegien in einer Zeit des Paradigmenwechsels fungierte; wie der Weg vom Privileg zum Gesetz über ein ausgeprägtes, bemerkenswert rechtsstaatliches Privilegiensystem führte, das freilich in Preußen durchaus umfassender und gleichförmiger ausgestaltet war als in Bayern und Württemberg. Während in Baden – trotz seiner ähnlichen Wirtschaftspolitik zugunsten der Nachdrucker, in Karlsruhe etwa der mit württembergischen Druckern profitabel kooperierende Schmieder – unter französischem Einfluss Autoreninteressen an Boden gewannen, in Preußen die Privilegien den gesetzlichen Schutz ergänzten, konnte in Württemberg nur der Autor als Selbstverleger ein Privileg erlangen. Der von Gergen erstmals untersuchte Corpus von 344 Dossiers eröffnet umfassende Einblicke in eine zweifellos traditionell geprägte, aber jedenfalls „gesetzlich“ orientierte und cum grano salis berechenbare Entscheidungspraxis, welche die Schutzfristen zumeist auf genügsame sechs , seltener auf mehr Jahre festlegte. Wie eng die inhaltliche, politische und wirtschaftliche Entscheidung mit der Schutzfristfrage gekoppelt wurde und nur erst allmählich im 19. Jahrhundert hier eine ökonomisch, handelspolitisch und im weiteren Sinne auch literaturpolitisch motivierte Verlängerung des Schutzes sich ergab, wird anhand einer Reihe von prägnanten Aktenbeispielen und ihrer subtilen Interpretation und Einordnung sichtbar.

 

Bemerkenswert ist, wie sich die Urheberrechtsentwicklung von Preußen und Sachsen aus als weiterreichendes, grenzüberschreitendes Wirtschafts- und Rechtsvereinheitlichungsproblem darstellt und als Beispiel für Status, Problemaufriss und Entwicklung von Propertisierung (Hannes Siegrist) im Bereich der immateriellen Güter denn als singulärer Schutz für die bekannten „Fälle“ der Klassikerprivilegien für Schiller, Goethe, Jean Paul, Wieland und Herder. Wenn in der Privilegienpraxis gelegentlich einerseits vom literarischen Verfasser-Eigentum (1829) oder andererseits formelhaft vom „Gemeingut“ die Rede ist, so darf Enge und Zeitgebundenheit dieser Begriffe zwischen Urheberrecht und implizit in der Nachdruckfreiheit tradierten „Verlagseigentums-Lehre“, welche die heimische Druckindustrie und den eigenen Buchhandel „subventionierte“, indem sie ihm den freien Gebrauch der Produktionen anderer Verlage ermöglichte und die Kundengelder im Lande behielt, nicht verkannt werden. So konnte im pietistisch geprägten Land sogar die ansonsten als gemeinfrei betrachtete Bibel wegen Auswahl und Anordnung für sechs Jahre privilegiert werden (S.330). Hebels badischer Verleger erhielt im Heimatland ein Privileg für 30, in Württemberg „nur“, aber immerhin für 12 Jahre. Die wirkungsmächtige „Lobby“ der württembergischen Nachdrucker, namentlich in Stuttgart, Tübingen und Reutlingen zu Hause, konnte sich dank landesherrlicher Hilfe und im Einklang mit dessen Zielen jahrzehntelang durchsetzen. Nur Savignys „System des heutigen römischen Rechts“ wurde die „Gnade“ einer Frist von 20 Jahren zuteil. Privilegien wirkten nicht retroaktiv, sondern nur für die Zukunft. Die Gesetze gegen den Büchernachdruck (1836, 1838, 1845) bekräftigten das Rescript von1815 als (vorkonstitutionelles) „Gesetz“. Die Publikation der Privilegien – von 1820 bis 1842 rund 300 – zeigt, dass der gesetzlich systematisierte Gewerbeschutz im Vordergrund stand, der zuweilen durchaus autorenfreundlich durchschimmernde mittelbare Schutz aber keine grundsätzliche Anerkennung des Autorenrechts bedeutete. Dass  die Privilegienpraxis dem Landesherrn auch eine willkommene Einnahmequelle sicherte, mag Württemberg, nicht im Genuss der Vorteile der Leipziger und Frankfurter Messen, zusätzlich animiert haben, den Buchmarkt inhaltlich und finanziell so penibel und zentral nach eigenen Vorstellungen und Schwerpunkten  zu regulieren.

 

Der Annex enthält eine Liste der publizierten württembergischen Privilegien, das Protokoll der Bundesversammlung vom 11. Februar 1819, sowie neben einer Übersicht über die württembergischen Rechtsgrundlagen, einen eindrücklichen offenen Beschwerdebrief des Schweizer Verlags Sauerländer (1818) über „Unfug“ und „Rohheit“ des Nachdrucks, namentlich in Deutschland (in dem freilich der hohe Entwicklungsstand des schweizerischen Nachdruckwesens – dessen auch aufklärerische Funktion durch Darnton herausgearbeitet worden ist - großzügigerweise nicht weiter erwähnt wurde) und schließlich ein hübsches, radikales Spottgedicht aufs Privilegium  aus dem Sigmaringer Volksblatt „Der Wächter“ von 1836.

 

Die rechtshistorische Forschung über Autoren- und Verlagsrechtsentwicklung, Privilegienwesen und Gesetzesgenese, über Nachdruck und Nachdruckfreiheiten in Deutschland im 19. Jahrhundert im ökonomischen, politischen und sozialgeschichtlichen Kontext wird hinter die differenzierten, tiefgründigen und die vielfältigen Ergebnisse dieser Untersuchung der Voraussetzungen und Ursachen der föderalen Rechtsentwicklung im 19. Jahrhundert nicht mehr zurückfallen können. Sie ist auch geeignet, den nach wie vor nützlichen rechtsgeschichtlich geprägten  Blick zu schärfen für ganz aktuelle Entwicklungen der urheberrechtlichen Gesetzgebung und Rechtspraxis zwischen Wirtschafts- und Handelspolitik, Lobbyismus und der Hingabe an oftmals nurmehr temporäre Regulierung oder bereitwillige De-Regulierung.

 

Freiburg im Breisgau                                                               Albrecht Götz von Olenhusen