Fried, Johannes, Zu Gast im Mittelalter. Beck, München 2007. 283 S. Besprochen von Thomas Vogtherr.
Seit langen Jahren ist der Frankfurter Mediävist eine der herausragenden Gestalten der deutschen Mittelalterforschung. Er setzte sich frühzeitig für die Berücksichtigung von Erkenntnissen moderner Neurowissenschaften in der Geschichtsforschung ein. Thesen von der Geschichte als Vorstellungsgeschichte, von der stets gegenwartsabhängigen Konstruktion der Vergangenheit oder von der Erinnerung als einem Filter zwischen dem Ereignis und dem als geschehen Akzeptierten sind es, mit denen er eine traditionell denkende und den Methoden des 19. Jahrhunderts sehr nahe gebliebene Mediävistik mehr als einmal in Aufruhr versetzte, sie wenigstens sprachlos machte. Unumstritten sind Frieds Thesen nicht geblieben, was übrigens ein untrügliches Zeichen dafür ist, dass sie in der Fachwelt eben ernst genommen und deswegen auch intensiv diskutiert wurden und werden. Ob sich Frieds Thesen letztlich durchsetzen und damit den Blick auf die Quellen der Geschichtswissenschaft und den methodischen Umgang mit ihnen so durchgreifend verändern, wie das Fried wohl für nötig halten dürfte, ist einstweilen noch nicht auszumachen.
Der vorliegende Band enthält acht Beiträge, die sich nicht nur diesen Themenkomplexen zuwenden. Ein solcher Nachdruckband – lediglich ein Beitrag ist gänzlich ungedruckt, ein anderer allem Anschein nach in dieser Form ebenfalls nicht zugänglich – bringt nun nicht notwendig Neues, und angesichts der Tatsache, dass den Nachdrucken alle Fußnoten der Erstdrucke genommen wurden, stellt sich auch die Frage nach der wissenschaftlichen Nutzbarkeit. Jedoch seien an dieser Stelle die beiden neuen Texte daraufhin untersucht, inwieweit sie als Lektüre für rechtshistorisch Interessierte empfehlenswert seien.
„Wille, Freiwilligkeit und Geständnis um 1300. Zur Beurteilung des letzten Templergroßmeisters Jacques de Molay“ (S. 208-238) ist eine meisterhafte Neuuntersuchung der seit langem bekannten Quellen zu dessen Prozess. Es geht um die schlichte Frage, ob der Templer zur Erzwingung eines Geständnisses gefoltert worden sei oder nicht, und wenn ja, welche Rolle die Geständnisse im folgenden Prozess gehabt haben dürfen. Aus der Kenntnis des Prozessrechts der Zeit macht Fried überzeugend deutlich, dass solche unter Folter erzwungenen Geständnisse, wenn sie anschließend scheinbar ohne Anwendung von Gewalt wiederholt wurden, eben doch verwendbar waren und verwendet wurden. Jacques de Molay wurde gefoltert, bestialisch allem Anschein nach. Er war gerade nicht wankelmütig, wenn er ein Geständnis ablegte und Brüder verriet, sondern noch in diesen Schritten vertraute er darauf und appellierte er daran, dass der Orden seinen eigentlichen Gerichtsstand nur vor dem Papst habe und nur von jenem zu richten sei, ein streng rechtlicher Ansatz, der ihm und den Brüdern zum Verhängnis wurde.
„Ein Gastmahl Karls des Großen“ (S. 13-46) zu beschreiben, ist nur möglich, wenn man sehr unterschiedlichen Quellen entstammende, eher beiläufige und nirgendwo geschlossen niedergeschriebene Mitteilungen systematisch sammelt und neu gruppiert. Heraus kommt eine sehr dichte Beschreibung, die aber gemessen am bisherigen Wahrheitsanspruch der Geschichtsschreibung als Fiktion oder Ausgeburt der Phantasie angesehen werden dürfte. Die erkenntnistheoretische Frage, derer sich Fried widmet, ist es, ob und inwieweit hier die gesteuerte und an den Leitplanken der Quellen entlang geführte Phantasie das punktuelle Schweigen der Quellen aufzufüllen berechtigt ist.
Frieds Aufsätze – sechs andere erschienen an durchweg gut zugänglichen Orten zwischen 1983 und 2000 – zeichnen sich immer durch Gedankenreichtum, sprachliche Meisterschaft und die stets zu spürende Lust an der intellektuellen Provokation aus. Sie zu lesen, bereichert allemal, selbst wenn man nicht allen Erwägungen folgen mag. Jedenfalls lässt man sich von diesem Autor gerne „Zu Gast im Mittelalter“ begrüßen.
Osnabrück Thomas Vogtherr