Freund, Judith, Die
Wechselverpflichtung im 19. Jahrhundert (= Rechtshistorische Reihe 371). Lang,
Frankfurt am Main 2008. 467 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Die Arbeit ist die stattliche, von Sibylle Hofer betreute, im Sommer 2007 von der juristischen Fakultät der Universität Regensburg angenommene und von Hans-Jürgen Becker empfohlene Dissertation der Verfasserin. Sie gliedert sich übersichtlich in eine Einleitung, Untersuchungen zur Rechtsnatur der Wechselverpflichtung und eine Schlussbetrachtung. Ihr Inhalt reicht über das plakativ herausgestellte 19. Jahrhundert sogar dadurch noch hinaus, dass einerseits mit Theodor Schmalz noch ein im 18. Jahrhundert berufener Rechtslehrer erfasst wird und andererseits der Sachgegenstand auch über das Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs verfolgt wird.
In die Problemstellung führt die Verfasserin mit dem Satz ein: Das 19. Jahrhundert in Deutschland war gekennzeichnet durch die Entstehung eines einheitlichen territorialen Reichs, das seine Anfänge mit dem Staatenbund deutscher Souveräne, dem Deutschen Bund von 1815 nahm, nach dem preußisch-österreichischen Krieg von 1866 zur Gründung des Norddeutschen Bundes führte und schließlich 1871, nach dem Sieg gegen Frankreich, als Deutsches Reich, und damit als einheitlicher Bundesstaat, seine vorläufige Vollendung fand. Ihr Überblick über den Forschungsstand ergab: Eine rechtshistorische Studie zu den Theorien der Wechselverpflichtung insgesamt fehlt bislang, die sowohl die Aspekte der Veränderungen durch die neu hinzukommenden Kodifikationen berücksichtigte und die geistige Auseinandersetzung in den neu entstandenen Zeitschriften für das Wechselrecht beinhaltete als auch den Wandel der fraglichen Theorien im Laufe der persönlichen Entwicklung der einzelnen Autoren nachzeichnete. Deshalb wird mit der Arbeit das Ziel verfolgt, die hochkontroverse Auseinandersetzung um die Theorien des Wechselrechts aus rechtshistorischen Sicht zu analysieren, wobei den Stimmen aller wesentlichen Vertreter nachgegangen, ihre Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Autoren und mit der Rechtsprechung untersucht und auf die teilweise heftig geführten Diskussionen zwischen den widerstreitenden Parteien - einschließlich österreichischer Verfasser, nachdem die allg. dt. Wechselordnung auch in den österreichischen Kronländern in Kraft trat - hingewiesen wird.
Im Anschluss hieran stellt die Verfasserin die allgemeine deutsche Wechselordnung im wirtschaftlichen Kontext dar, deren Erlass in eine Zeit großer Veränderungen in der Politik, der Gesellschaft und der Wirtschaft gefallen sei. Dabei folgen Zeit der Entstehung der allg. dt. Wechselordnung (1848), zwischen allg. dt. W.O. (1849) bis zur Einführung des allg. HGB (1861), Zeit zwischen allg. HGB (1861) und BGB (1900) und Nach Inkrafttreten des BGB (1900) aufeinander. Die wesentlichen Diskussionspunkte im Streit um die Wechselerklärung sind Tratte, eigener Wechsel, Indossament, Blankoindossament, Akzept, Einreden, Wechselfähigkeit, verlorene, gestohlene und sonst wie abhanden gekommene Wechsel, ehe der der Wechselkonferenz vorliegende preußische Entwurf einer Wechselordnung (1838, 1845, 1847) nachgereicht wird.
Im Untersuchungsteil nimmt die Verfasserin sich jeden einzelnen Juristen besonders vor. Dementsprechend folgen Theodor Schmalz, Karl von Hofacker, Carl Einert, Georg Wilhelm Albers, Karl Joseph Anton Mittermaier, Friedrich August von Liebe, Johann Heinrich Thöl, Wilhelm Brauer und Friedrich von Savigny für die Zeit der Entstehung der allg. dt. Wechselordnung, Johann Bluntschli, Otto Bähr, Johannes Emil Kuntze, Leopold Ladenburg, Achilles Renaud, Emil Hoffmann, Friedrich August Biener, Julius Jolly, Leopold Volkmar und Siegmund Löwy, Levin Goldschmidt, Carlin, Affolter zwischen ADWO (1849) und ADHGB (1861), Karl Gareis, Heinrich Siegel, Otto Stobbe, Oskar von Wächter, Heinrich Dernburg, Heinrich O. Lehmann, Konrad Cosack, Raban von Canstein, Hermann Staub, Carl Samuel Grünhut zwischen ADHGB (1861) und BGB (1900) sowie Otto von Gierke, Ernst Jacobi, Josef Stranz, Herbert Meyer und Arnold Langen nach Inkrafttreten des BGB (1900) aufeinander. Jeweils werden Fazite und Zusammenfassungen geboten.
Ihre auf Vertragstheorie, Theorie d. Summenversprechens, Kreationstheorie, Vertragstheorie, Formaltheorie, Personifikationstheorie, Pendenztheorie, Begebungstheorie, Eigentumstheorie, Emissionstheorie, Eigentumsverschaffungstheorie, Aushändigungstheorie, Zirkulationstheorie, Redlichkeitstheorie, Kreationstheorie und vieles andere gestützte Schlussbetrachtung gliedert die mit beeindruckendem Fleiß vorgehende Verfasserin entsprechend ihren wesentlichen Diskussionspunkten. Ein Glossar erklärt dem Leser zahlreiche Bezeichnungen. Insgesamt wird auf diese Weise das Wissen über das Wechselrecht des 19. Jahrhunderts vollständiger aufgefächert, als dies bislang der Fall war.
Innsbruck Gerhard Köbler