Fehrenbach, Elisabeth, Vom Ancien Régime zum Wiener Kongress (= Grundriss der Geschichte 12), 5. Aufl. Oldenbourg, München 2008. X, 323 S. Besprochen von Stephan Schuster.
Die Bände der im Oldenbourg Verlag erscheinenden Reihe Grundriss der Geschichte, so heißt es im Vorwort der Herausgeber (VII), soll „auch der Nichtfachmann, etwa der Germanist, Jurist oder Wirtschaftswissenschaftler (…) mit Gewinn benutzen“ können. Das von Elisabeth Fehrenbach mittlerweile in der fünften Auflage vorgelegte Studienbuch über die bedeutendste Umbruchphase der europäischen Geschichte erfüllt diesen Anspruch (fast) ohne jede Einschränkung. Dazu trägt zunächst die Aufteilung in drei Teile bei: Auf die Darstellung der Epoche (S. 1-136) folgt der Forschungsteil, der einen umfassenden Einblick in die Grundprobleme und Tendenzen der Forschung gewährt (S. 137-250), sowie eine umfangreiche Übersicht über Quellen und Literatur (S. 257-301). Jeder einzelne dieser Teile hat für sich Bestand. Ohne weiteres ist es möglich, die Lektüre auf die Darstellung zu beschränken, um so einen guten Überblick über die Epoche von 1789 bis 1815 zu erhalten. Zudem ist das schwungvoll und zugleich prägnant geschriebene Werk nun wieder auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft. Der Forschungsteil wurde um die neuesten Entwicklungen in der wissenschaftlichen Diskussion ergänzt, die Bibliografie berücksichtigt die seit dem Erscheinen der Vorauflage im Jahr 2000 veröffentlichten Titel. Kritisch anzumerken ist, dass es – obgleich der Titel der Reihe eher eine Art Grundlagenbuch erwarten lässt – zur genussvollen Lektüre des Bandes einer gewissen historischen Vorbildung bedarf. Allzu selbstverständlich setzt Elisabeth Fehrenbach an einigen Stellen die Kenntnis von Daten oder historischen Begebenheiten voraus. Jedenfalls der im Vorwort der Herausgeber erwähnte „Nichtfachmann“ wird sich daher über die im Anhang (S. 303ff.) enthaltene Zeittafel freuen, ebenso wie über das ausführliche Sach- und Personenregister (S. 309ff.).
Im darstellenden Teil geht die Autorin zunächst (S. 1-4) auf die Grundprobleme einer Übergangszeit ein. Sie betont, dass das Ende des Ancien Régime keineswegs den vollständigen Bruch mit den Traditionen der feudal-ständischen Gesellschaft bedeutete und weist zu Recht darauf hin, dass sich selbst für das revolutionäre Frankreich zahlreiche Beispiele der Kontinuität beobachten lassen (S. 3). Zum Beginn der Moderne erklärt sie die „Doppelrevolution am Ausgang des 18. Jahrhunderts“: So wie der Zusammenstoß zwischen dem revolutionären Frankreich und dem alten Europa zu einer völligen Umgestaltung der politischen und territorialen Situation in Europa geführt habe, so habe die industrielle Revolution in England das technisch-industrielle Zeitalter und damit die Moderne eingeläutet. Dieser Ansatz ist in der Geschichtswissenschaft weitgehend anerkannt. Darüber hinaus ist der frühe Hinweis auf die industrielle Revolution in England bei Fehrenbach Programm: Im gesamten Darstellungsteil macht sie immer wieder deutlich, dass das revolutionäre bzw. napoleonische Frankreich im Wirtschaftskrieg mit England an der Überlegenheit der englischen Wirtschaft scheitern musste – weshalb letztlich auch die militärische Niederlage unausweichlich wurde. Konsequenter Weise beginnt die „Epochendarstellung der Jahre 1789 bis 1815“ (Einleitung) daher mit den Anfängen der industriellen Revolution in England (S. 5-18). Der Leser erhält anschauliche Informationen über den rasanten Wandel der englischen Wirtschaft im 18. Jahrhundert und den damit einhergehenden tief greifenden Strukturwandel, der durch die relative Durchlässigkeit der englischen Gesellschaft ebenso begünstigt wurde (S. 13ff.) wie durch die Bereitschaft der Regierung, die Interessen der englischen Kaufleute mit Importsperren, Handelsmonopolen, Schutzzöllen und notfalls mit Waffengewalt zu schützen (S. 16).
Erst danach (S. 19-41) wird die „politisch-soziale Revolution“ in Frankreich behandelt. Die Darstellung beginnt mit dem Hinweis auf den beschleunigten sozialen und wirtschaftlichen Wandel, den auch Frankreich seit ca. 1750 erlebte. Anders als in England gelang es dort aber nicht, die Herrschafts- und Gesellschaftsordnung des Ancien Régime dem Strukturwandel anzupassen. Folgerichtig gelangt Fehrenbach zu dem Ergebnis, die Revolution sei in sozialökonomischer Hinsicht nur ein „Dammbruch“ gewesen, der eine Entwicklung freigesetzt habe, die bereits im Ancien Régime ihren kontinuierlichen Ausgang genommen habe (S. 19). Wiederholt betont sie das Nebeneinander von Kontinuität und Diskontinuität, das es trotz des umwälzenden Bruchs mit dem Ancien Régime gegeben habe (ebd.) – und folgt damit einer in der jüngeren Geschichtsforschung weit verbreiteten Ansicht. Dass das Bürgertum die 1789 errungene Macht trotz des raschen Wandels der politischen Regime nicht mehr aus der Hand gab, zähle ebenfalls zu den Kontinuitäten der Revolutionszeit (S. 25). Die Diskontinuität, den „revolutionären Bruch“ erkennt die Autorin dagegen in der Abschaffung der Privilegien, der Umwandlung der Ständeversammlung in eine Repräsentativversammlung, der Reorganisation von Verwaltung und Justiz, der Abschaffung der Zünfte und Korporationen, der Einführung der konstitutionellen Monarchie und schließlich in ihrem Sturz am 10. August 1792 (S. 25ff.). Zu diesem Nebeneinander von Kontinuitäten und Diskontinuitäten passt der Hinweis, dass selbst die Jakobinerherrschaft „unentwirrbar traditionelle, rückwärtsorientierte Züge mit egalitären Tendenzen“ verband (S. 37). Folgerichtig ist auch die Feststellung, dass es zu den besonderen Verdiensten Napoleon Bonapartes gehört, die bereits seit der Mitte des 18. Jahrhunderts zu beobachtende, tiefe Zerrissenheit der französischen Gesellschaft überwunden zu haben (S. 38).
Sodann geht Elisabeth Fehrenbach unter dem Kapitel „Die Französische Revolution und Europa“ (S. 42-54) auf die unmittelbaren und mittelbaren Auswirkungen der revolutionären Ereignisse in Frankreich auf den Kontinent ein. Hier widmet sie sich zunächst den Revolutionskriegen, die seit April 1792 den Rhythmus der Revolution bestimmten (S. 46). Auch in diesem Zusammenhang betont die Autorin einen starken Einfluss wirtschaftlicher Interessen auf die Politik: So seien es die englischen Industriellen und Geschäftsleute gewesen, die zum Frieden von Amiens (1802) drängten (S. 49). Indes erliegt sie nicht der Versuchung, die Gründe für den erneuten Ausbruch des Krieges zwischen Frankreich und dem Vereinigten Königreich im Jahre 1803 in den unüberbrückbaren kommerziellen Gegensätzen zwischen beiden Ländern zu suchen, wie dies beispielsweise Albert Sorel, L’Europe et la Révolution française, Band 6, 2. Auflage Paris 1903, S. 261-300, getan hat. Das Vereinigte Königreich war durchaus bereit, die kontinentale Machtstellung Frankreichs zu akzeptieren, soweit Frankreich die englische See- und Kolonialherrschaft nicht in Frage stellte. Auch die von Fehrenbach geäußerte Vermutung, dass sich Österreich und Preußen – in territorialer Hinsicht durch den Reichsdeputationshauptschluss für die linksrheinischen Verluste großzügig entschädigt – wohl zumindest vorübergehend mit den neuen Verhältnissen hätten arrangieren können (S. 50), ist sicherlich zutreffend. Dies gilt auch für die Feststellung, dass die Maßlosigkeit des napoleonischen Machtstrebens sowie die konsequente Missachtung der herkömmlichen Regeln der Gleichgewichtspolitik und des Selbstbestimmungsrechts der Völker wohl beinahe zwangsläufig zum Krieg führen musste, dies zumal die napoleonische Bündnispolitik spätestens seit der Gründung des Empire vollends zum Spielball der Beliebigkeit geriet (S. 51ff.).
Der Situation in Deutschland um 1800 (S. 55-70) und dem Ende des Heiligen Römischen Reiches (S. 71-81) sind die nächsten Kaptitel gewidmet. Fehrenbach befasst sich zunächst mit der vielfach erörterten Frage, warum in Deutschland eine Revolution ausblieb. Neben der Schwäche des Bürgertums nennt sie als wesentlichen Grund das veränderte Herrschaftsverständnis des aufgeklärten Absolutismus und die Reformen in Preußen und Österreich (S. 55). Wertvoll ist der Hinweis, dass Kaiser Joseph II. bereits 1781 die Gleichheit aller vor dem Gesetz verkündete; ebenso die Anmerkung, dass das von Friedrich dem Großen in Auftrag gegebene Allgemeine Landrecht für die preußischen Staaten, das 1794 in Kraft trat, bereits die Grundrechte der bürgerlichen Freiheit und Gleichheit gewährte. Nachvollziehbar wird, warum die Französische Revolution dennoch zu energischen Reaktionen der Konservativen, vor allem aber zu einer starken Politisierung und Polarisierung der öffentlichen Meinung in Deutschland führen musste (S. 63f.). Besonders anschaulich beschreibt Fehrenbach die machtpolitischen Ambitionen Frankreichs in den besetzten Gebieten in Deutschland zwischen 1789 und 1800 – angefangen vom kurzen Intermezzo der Mainzer Republik von 1792/93 bis hin zur Annexion der linksrheinischen Gebiete nach dem Frieden von Campo Formio (S. 65ff.). Begrüßenswert ist auch die Anmerkung, dass der Reichsdeputationshauptschluss nicht nur dem Wunsch der Fürsten nach Entschädigung für die linksrheinischen Gebietsverluste entsprach, sondern darüber hinaus einen wichtigen Beitrag zur Entstehung moderner Staatlichkeit in Deutschland leistete (S. 72ff.) und nicht zuletzt der Beseitigung eines wirtschaftlichen Anachronismus diente (S. 77f.). Den Rechtshistoriker erfreut, dass Fehrenbach das Kapitel über das Ende des Heiligen Römischen Reiches mit einem Hinweis auf die bis zuletzt gültige Funktion des Reiches als Rechts- und Friedensordnung und die besondere Rolle des Reichshofrats schließt (S. 80f.) – einige wenige Worte zum Reichskammergericht wären hier freilich wünschenswert gewesen. Bedenken sind dagegen angezeigt gegen die Annahme, der Einfluss des Reiches habe sich im 18. Jahrhundert in einem Klima zunehmender Konflikte „wahrscheinlich nicht vermindert, sondern eher erweitert und ausgedehnt“ (S. 80). Nichts zeugt so deutlich von der politischen Ohnmacht des Reiches in Kriegszeiten wie die Wirkungslosigkeit der nach dem Einmarsch in Sachsen (1756) gegen Preußen beschlossenen Reichsexekution und das vergebliche Bemühen Wiens, die Verhängung der Reichsacht gegen Friedrich den Großen zu erwirken (zu beidem Sven Externbrink, Friedrich der Große, Maria Theresia und das alte Reich. Deutschlandbild und Diplomatie Frankreichs im Siebenjährigen Krieg, Berlin 2006, 122ff.).
Besonders lesenswert für den rechtshistorisch interessierten Juristen ist das Kapitel über die napoleonisch-rheinbündischen Reformen (S. 82-94). Fehrenbach stellt an den Ausgangspunkt der Reformbestrebungen das Scheitern der Rheinbundverfassung, durch das sich Napoleon zu einem Paradigmenwechsel veranlasst sah: Nunmehr sollten die seit 1806 im Königreich Westfalen und im Großherzogtum Kleve und Berg energisch vorangetriebenen Reformen die übrigen Rheinbundstaaten zur Nachahmung bewegen. Die auf diese Weise zu erreichende Gleichförmigkeit des Verwaltungs-, Verfassungs- und Rechtssystems sollte die politische Einheit in einem staatenübergreifenden Herrschaftssystem herbeiführen, war also in erster Linie machtpolitisch motiviert (S. 83). Zu Recht wird betont, dass die an Frankreich orientierte Reformpolitik durchaus im Interesse der Rheinbundstaaten lag (S. 84ff.). Insbesondere die mit dem Pressburger Frieden vom 26. Dezember 1805 geschaffenen Königreiche Bayern und Württemberg waren bestrebt, einen modernen, zentralisierten Einheitsstaat zu schaffen, um die soeben erst erlangte volle staatliche Souveränität zu festigen. Die Bayerische Konstitution von 1808 kommt in diesem Zusammenhang ein wenig zu kurz; zudem rückt Fehrenbach die von König Maximilian I. Joseph oktroyierte Verfassung in die Nähe einer „Scheinverfassung“ (S. 88). Für die westfälische Konstitutionsakte von 1807 mag dies ohne Weiteres gelten, für Bayern ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Konstitution von 1808 ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur konstitutionellen Monarchie war, die mit der Einführung der Verfassung vom 26. Mai 1818 erreicht wurde. Die Ausführungen zu dem mit der Verbreitung des Code Napoléon verfolgten „gesellschaftspolitischen Revolutionierungsprogramms“ (S. 90ff.) vermögen indes wieder rundweg zu überzeugen, ebenso das Fazit, dass das napoleonische Reformwerk ein Torso blieb (S. 94).
Sodann wendet sich Elisabeth Fehrenbach dem Thema „Wirtschaft und Wirtschaftspolitik unter den Bedingungen der Kontinentalsperre“ zu (S. 95-108). Dieses Kapitel gehört zu den spannendsten des Darstellungsteils: Der bereits 1793 erstmals entflammte, seit 1803 mit äußerster Härte geführte Handelskrieg zwischen Frankreich und England wird besonders anschaulich dargestellt. Dass die rücksichtslos egoistische Wirtschaftspolitik Napoleons den Zusammenhalt im Grand Empire untergrub (S. 100), die Kontinentalsperre den Handel vor allem in Deutschland weit weniger beeinträchtigte (S. 101ff.), als vor allem in der älteren Forschung regelmäßig angenommen, gehört zu den wichtigsten Erkenntnissen, die vor allem der „Nichtfachmann“ aus dem Darstellungsteil zu gewinnen vermag.
Das nächste Kapitel (S. 109-125) ist den preußischen Reformen gewidmet. Zunächst betont die Autorin, dass die Kraft der Stein-Hardenbergschen „Antwort auf die Französische Revolution“ – Hardenberg selbst bezeichnete das Reformvorhaben in seiner Denkschrift vom September 1807 als „eine Revolution im guten Sinne“ – in der Selbsterneuerung des preußischen Staates lag (S. 109). Nach einem Überblick über die Gesetze, mit denen die Staats-, Wirtschafts- und Sozialverfassung des Königreichs grundlegend reformiert wurde (S. 110f.), wird das Bemühen der Reformer um den Ausgleich zwischen Modernität und Traditionsbindung in den Brennpunkt gerückt (S. 111ff.). Verfassungshistorisch interessant sind hier vor allem die Ausführungen zum Vorrang der Verwaltungsreform vor der Verfassungsplanung. Dass der daraus resultierende Rückstand gegenüber den Rheinbundstaaten durch die überaus erfolgreichen Sozial- und Wirtschaftsreformen ausgeglichen wurde (S. 115f.), lässt das Dilemma, in das der sozialökonomisch-liberale, politisch jedoch obrigkeitsstaatlich strukturierte preußische Staat 1848/49 geraten sollte (S. 120), bereits erahnen, zumal sich restaurative Entwicklungen bereits während der Freiheitskriege abzeichneten (S. 125).
Am Ende der Darstellung steht der „Wiener Kongress zwischen Revolution und Restauration“ (S. 126-135). Sie beginnt mit dem Hinweis auf die von Zar Alexander I. entworfene fortschrittliche Konzeption für das nachrevolutionäre Europa, die sich auf dem Kongress nicht gegen den reaktionären Kurs Metternichs durchsetzen konnte. Warum der Wiener Kongress dennoch nicht zu einer vollständigen Restauration der vorrevolutionären Verhältnisse führen konnte, wird anschaulich dargestellt (S. 129f.). Den Ausklang bildet eine ausführliche Schilderung der Verfassungsdiskussion nach dem Ende der Befreiungskriege (S. 130ff.).
Im Anschluss daran führt Elisabeth Fehrenbach den Leser im zweiten Teil des Buches (S. 137-250) behutsam an die Grundprobleme und Tendenzen der Forschung heran. In acht Kapiteln gibt sie den aktuellen Stand der Forschung zu den im Darstellungsteil besprochenen Themenkomplexen in kompakter Weise wieder, analysiert den Meinungsstand und zeigt Perspektiven auf. Besonders lesenswert ist die Darstellung der Kontroversen über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Kontinentalsperre (S. 228-234). Insgesamt ist der Forschungsteil hervorragend geeignet, dem interessierten Leser mit relativ geringem zeitlichem Aufwand einen soliden Überblick über den Stand der wissenschaftlichen Diskussion zu verschaffen.
Die sich daran anschließende Übersicht über die wichtigsten Quellen und die Literatur (S. 257-301) ist äußerst umfangreich und – stichprobenartig überprüft – aufgrund einer ansprechenden Gliederung zur weiteren, vertieften Beschäftigung mit den jeweiligen Themenkomplexen bestens geeignet. Die Zeittafel (S. 303ff.) sowie das ausführliche Sach- und Personenregister (S. 309ff.) runden das Werk ab. Alles in allem ist die Lektüre der von Elisabeth Fehrenbach nunmehr in der fünften Auflage vorgelegten Epochendarstellung ein Genuss – auch für den „Nichtfachmann“, wie z. B. den im Vorwort der Herausgeber erwähnten Juristen.
Passau Stephan Schuster