Ernst, Wolfgang, Die Einrede des nichterfüllten Vertrages. Zur historischen Entwicklung des synallagmatischen Vertragsvollzugs im Zivilprozess (= Schriften zur europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte 34). Duncker & Humblot, Berlin 2000. 169 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Bearbeitet jemand, so beginnt der bekannte Verfasser, sein Vorwort, ein Thema, für das bereits eine gediegene Monographie vorliegt, sollte er angeben, wodurch sich eine neue, verschiedene Detailstudien zusammenfassende und ergänzende Untersuchung rechtfertigt. Gegenüber dem reifen Erstlingswerk einer der Lichtgestalten des zwanzigsten Jahrhunderts (Cassin, René, De l’exception tirée de l’inexécution dans les rapports synallagmatiques - Exception non adimpleti contractus, Diss. jur. Paris 1914) will er in dreierlei Hinsicht hinausführen. Dies betrifft das antike römische Recht, die hoch- und spätmittelalterliche Rechtswissenschaft und die deutsche Entwicklung seit der frühen Neuzeit.
Im römischen Recht habe erst Justinian randständige Ausnahmeentscheidungen des klassischen Rechts verallgemeinert. Die mittelalterliche Rechtswissenschaft habe eine im justinianischen Recht nur erst postulierte Einrede in eine funktionierende Prozesstechnik umsetzen müssen. In der Neuzeit habe sich Cassin verständlicherweise vorwiegend an Frankreich gehalten und Deutschland nicht besonders betrachtet.
Dementsprechend behandelt der Verfasser sein Thema in drei Teilen, von denen der erste das römische Recht in der Untergliederung in das Recht des Formularprozesses, die Richterbefugnis zur Klägerverurteilung in Kaiserkonstitutionen bis Justinian und das Recht der justinianischen Kompilation betrifft. Im zweiten Teil fasst der Autor die Behandlung der exceptio non adimpleti contractus im Mittelalter und in der Neuzeit bei Glossatoren, Kanonisten, Jacobus de Ravanis, Kommentatoren, französischer Renaissancejurisprudenz, römisch-holländischem Recht, deutscher Rezeptionsjurisprudenz bis zum usus modernus, Christian Wolff und den naturrechtlichen Kodifikationen in Preußen, Österreich und Frankreich von 1794, 1811 und 1804 zusammen. Der dritte Teil betrachtet die deutsche Literatur des neunzehnten Jahrhunderts, die Gesetzgebungen im neunzehnten Jahrhundert und das zwanzigste Jahrhundert.
Auf breiter Literaturgrundlage wird so eine klare und knappe Entwicklungsgeschichte einer wichtigen Einrichtung von den Anfängen bis zur Gegenwart gegeben, der allerdings eine Zusammenfassung am Ende auch nicht hätte schaden können. Überzeugend weist der Verfasser darauf hin, dass für das Europa der Zukunft eine Regelung erforderlich ist, die neben dem materiellen Recht auch das Prozessrecht erfasst. Zusammen mit dem Werk Cassins, das der Verfasser vor dem drohenden Vergessen bewahren möchte, ist damit, wie der Verfasser im Vorwort abschließend selbst zum Ausdruck bringt, über die Einrede des nichterfüllten Vertrages zumindest derzeit enough said.
Innsbruck Gerhard Köbler