Ernst
Forsthoff - Carl Schmitt. Briefwechsel 1926-1974, hg. v. Mußgnug,
Dorothee/Mußgnug, Reinhard/Reinthal, Angela. Akademie Verlag, Berlin 2007.
592 S., 1 Farbabb., 24 Abb. Besprochen von Bernd Rüthers.
I. Lehrer und Schüler als Briefpartner in
bewegten Zeiten
Carl Schmitt (geb. 1888) als Lehrer und Ernst
Forsthoff (geb. 1902) als sein neben Ernst Rudolf Huber wohl bedeutendster
Schüler haben die Geschichte des deutschen öffentlichen Rechts, vor allem des
Staats- und Verwaltungsrechts im 20. Jahrhundert maßgeblich mitgeprägt. Mit
ihren Schriften und durch ihren international zusammengesetzten Schülerkreis wirkten
sie zudem weit über die nationalen Grenzen hinaus.
Die Publikation von 359 Briefen (neben
Postkarten, Telegrammen und nicht abgesandten Briefentwürfen) aus den beiden
Nachlässen ist daher für die historische wie rechtswissenschaftliche Forschung,
nicht zuletzt für das Verständnis der Zusammenhänge der Rechtsentwicklung vor
und nach 1945 ein Gewinn.
Die Herausgeber Dorothee und Reinhard Mußgnug
widmen den beiden Briefpartnern in der Einleitung kurze Bemerkungen über die
Personen und ihre Werke. Sie verweisen auf Ähnlichkeiten ihrer Lebensschicksale
nach dem Krieg, neben Diffamierung und Kritik den Verlust ihrer Gattinnen und
der menschlichen Isolation in unterschiedlicher Schärfe, aber auch das Etikett,
Häupter von wissenschaftlichen „Schulen“ zu sein und als Klassiker ihrer
Disziplinen zu gelten. Die Skizzen der beiden Lebensläufe umfassen für Schmitt
im Hinblick auf die dazu umfangreich vorhandene Literatur 2 Seiten, für
Forsthoff 25 Seiten.
II. Der Bruch der Beziehungen zwischen 1934 und
1948
Die Herausgeber gehen zutreffend davon aus, dass
das Verständnis der Briefe durch die Kenntnis der Lebenssituationen und der
Erlebnisse der Briefschreiber erleichtert, wenn nicht sogar erst ermöglicht
wird. Das trifft nicht nur auf die Nachkriegszeit, sonder vielleicht mehr noch
auf die Einstellungen und das Verhalten beider in der NS-Zeit zu. Hier sind
mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten festzustellen. Beide haben zwar am Anfang
die Machtübernahme Hitlers und den Aufbau eines autoritären Führerstaates auf
der Grundlage der rassistischen Weltanschauung (das „Weltjudentum als Feind“)
begrüßt und literarisch legitimiert, allerdings in sehr unterschiedlicher Weise
und Intensität.
Angesichts der frühen Exzesse des Regimes bekam Forsthoff bald
schon erste Zweifel an den Maßnahmen des neuen Staates, die er auch seinem
Lehrer und Förderer – Schmitt setzt sich für seine Berufung auf den Lehrstuhl
des vertriebenen Hermann Heller in Frankfurt ein – nicht verhehlte. Dieser
reagierte verärgert und abweisend. Es kommt zur Distanzierung, schließlich,
spätestens 1934, zum Bruch[1].
Das wird auch an der Folge der abgedruckten
Briefe deutlich. Der letzte Brief Forsthoffs nach der Machtübernahme Hitlers an
Schmitt[2]
trägt das Datum des 13. Oktober 1933. Er meldet, dass er den Ruf nach Frankfurt
erhalten habe und wohl annehmen werde. Er wurde Nachfolger des jüdischen Staatsrechtslehrers
Hermann Heller, der 1933 nach Madrid emigrierte.[3]
Danach sind nur noch zwei Gratulationskarten Schmitts an Forsthoff zu dessen
Verlobung vom 8. Oktober 1934 („Heil Hitler! Ihr Carl Schmitt“) und zur Geburt
der Tochter Susanne am 14. Mai 1936 sowie ein Kondolenzbrief zum Tod des Vaters
Heinrich Forsthoff vom 20. Juni 1942 vorhanden. Schmitt betont darin, dass „die
Erinnerung an Ihren Vater ein Wesensteil meiner Beziehungen zu Ihnen ist“.[4]
Der Hinweis ist in mehrfacher Hinsicht
beachtenswert. Schmitt war mit Heinrich Forsthoff und mit dessen Gefährten
Heinrich Oberheid, der in den wechselseitigen Briefen häufig genannt wird, eng
befreundet. Beide, H. Forsthoff und H. Oberheid, waren wichtige Akteure für die
nationalsozialistischen kirchenpolitischen Ziele der „Deutschen Christen“.
Schmitt und Forsthoff zählten Oberheid bis zuletzt, wie ihre Briefe zeigen, zum
engsten Freundeskreis, in dem auch die Geburtstage, wenn immer es ging,
gemeinsam gefeiert wurden. Es ist zu vermuten, dass diese Nähe zur Gedankenwelt
der „Deutschen Christen“ das religiöse Staats- und Weltbild Forsthoffs –
bewusst oder unbewusst – nachhaltig beeinflusst hat. Eine kritische Bemerkung
oder gar eine Distanzierung von den nationalsozialistischen Neigungen und
Aktivitäten dieser rassisch geprägten „germanischen Volkskirche“ ist in den
Briefen nicht zu finden. Die intensive Pflege der Beziehungen zu Oberheid und
H. Forsthoff durch Schmitt legt zudem den Gedanken nahe, dass die gängige
pauschale Zurechnung Schmitts zum „Katholizismus“ fragwürdig ist. [5]
Zu diesem Freundeskreis der Nachkriegszeit
zählte auch Hans Barion (1899-1973), ein katholischer Priester und
Kirchenrechtler, ab 1933 ordentlicher Professor für
Kirchenrecht an der Staatlichen Akademie Braunsberg (Ostpreußen) wegen seines Eintretens für den
Nationalsozialismus zeitweise als Priester suspendiert, 1939 Professor in Bonn,
Mitglied im Ausschuss für
Religionsrecht an der Akademie für deutsches Recht von 1939 bis 1940. Die
alten Beziehungen und Gedankenwelten
wirkten auf differenzierte Weise fort.
Zwischen dem 13. Oktober 1933 und dem 6. Juli
1948 herrschte von Seiten Forsthoffs absolute „Funkstille“. Antworten von ihm
auf die letzten drei Zuschriften Schmitts fehlen. Erst am 6. Juli 1948 schreibt
Forsthoff ihm zu seinem 60. Geburtstag einen ausführlichen Brief. Zwischen 1948
und 1974 sind es dann 206 Briefe Forsthoffs und 135 Schmitts.
In der Einleitung erwähnen und datieren die Herausgeber
„Forsthoffs Bruch mit Carl Schmitt“ auf das Jahr 1933. Forsthoff hatte sich
(erfolglos) beim Kultusministerium für den ‚halbjüdischen‘ Romanisten Arnold
Erhardt eingesetzt (S. 9 m. Nachw.). Das ist für den Leser verwirrend, weil
Forsthoff 1932 (im Brief Nr. 13) diesen auf Thomas Würtenberger, einen
qualifizierten Teilnehmer seines Seminars, als möglichen Assistenten aufmerksam
macht mit dem Zusatz „kein Jude“. In seinem Buch „Der totale Staat“[6]
wird „der Jude“ als „Feind“ identifiziert und „mußte als solcher unschädlich
gemacht werden“. Dieser antisemitische Ton verschärft sich noch in der 2.
Auflage von 1934. Die dezidiert antisemitische Einstellung war damals offenbar
beiden gemeinsam. Sie entsprach bei Forsthoff auch dem familiären Klima seines
Elternhauses.
III. Forsthoffs Rückblick 1968
Im November 1968 lernte der Rezensent bei einer
Einladung im Hause seines Schülers Willi Blümel in Berlin Ernst Forsthoff
persönlich kennen. Daraus ergaben sich zwei
lange Nachtgespräche (auf eines wird in den Briefen mehrfach Bezug genommen,
Briefe Nr. 271, 274, 277, 279, 280, 283, 286) in denen er sich – anders als
viele Kollegen seiner Generation – offen und unbefangen über die „bewußten
zwölf Jahre“ äußerte.[7]
Forsthoff betonte damals, er habe den Kontakt
mit Schmitt 1934, nach den Morden vom 30. Juni und Schmitts Kommentar dazu in
der DJZ vom 1. August „Der Führer schützt das Recht“ bewusst abgebrochen und
während der gesamten NS-Zeit nicht wieder aufgenommen. Besonders die von
Schmitt organisierte Tagung vom Oktober 1936 in Berlin („Die deutsche Rechtswissenschaft
im Kampf gegen den jüdischen Geist“) und die dort inszenierte „antisemitische
Kampagne gegen angesehene Fachkollegen“ habe er als zutiefst abstoßend
empfunden. Erst nach dem Krieg (1948), „als alle auf ihm herumtrampelten“, habe
er Schmitt dann den ersten Brief geschrieben. Diese, sehr dezidiert geäußerte
Stellungnahme hat sich mir, da ich mich mit Schmitt in meiner Habilitation und
durch Gespräche mit Rüdiger Altmann und Josef H. Kaiser intensiv beschäftigt
hatte, tief eingeprägt. Forsthoff machte aus seiner anfänglichen Zuneigung, ja
Begeisterung für den Nationalsozialismus kein Hehl Er lehnte es ab, diese Zeit
nachträglich „leugnen zu wollen“. Es ergab sich eine erstaunlich entspannte
Gesprächssituation, die sich über Jahre hin – wir begegneten uns mehrfach als
Gutachter – fortsetzte.
Interessant sind die Reaktionen Schmitts und
Forsthoffs auf das Erscheinen des Buches „Die unbegrenzte Auslegung“ im Herbst
1968. Schmitt sieht in der wertungsfreien Darstellung der Literatur und
Rechtsprechung nach 1933 eine „moralische Selbstgerechtigkeit“ des Autors, die
für ihn offenbar bereits in der Themenwahl liegt (20. 3. 1969), und in dem
Autor einen „eifrigen Ankläger“ (6. April 1969). Forsthoff antwortet
begütigend, er habe ihn als einen „nicht unsympathischen jungen Mann
kennengelernt“, der wohl „in erster Linie das Opfer seiner Münsteraner Umgebung
ist, in der er wissenschaftlich aufwuchs“. Die Widmung an den Vater habe er
allerdings „als ausgesprochen peinlich empfunden“ (17. Mai 1969).[8]
Vor
dem Hintergrund der sehr verschiedenen Lebens- und Karriereverläufe in der
NS-Zeit liest sich die Korrespondenz der beiden wissenschaftlich vielleicht
bedeutsamsten Staatsrechtslehrer der „Doppelepoche“ Deutschlands zwischen 1926
und 1974 besonders spannend. Die Beziehungen zwischen Lehrer und Schüler
veränderten sich mehrfach grundlegend. Am Anfang steht die vorbehaltlose
Verehrung und Bewunderung des um 14 Jahre jüngeren Schülers und Promotionskandidaten
für den berühmten Meister und den faszinierenden Lehrer. Er teilt dessen
Abneigung gegen die Parteiendemokratie von Weimer und ihre Anhänger sowie die
Zuneigung zu einem autoritären Staatsbild. Der ‚bürgerliche Rechtsstaat‘ ist
für ihn der „Prototyp“ einer „Gemeinschaft ohne Ehre
und Würde“.[9]
IV. Forsthoffs NS-Erfahrungen
Bereits am 24 April 1933 wurde
Forsthoff nach einer Empfehlung Schmitts mit der Vertretung der Professur des
soeben beurlaubten[10]
und emigrierten jüdischen Kollegen Hermann Heller beauftragt. Über die Zeit in Frankfurt schreiben die
Herausgeber, Forsthoff habe zusammen mit Heinrich Henkel und Arnold Gehlen
geglaubt, die Universität nach den ‚politischen Anforderungen‘ „ausrichten zu
müssen“. Dieses ‚Müssen‘ beruhte offenbar auf der Überzeugung, dass es für die
gemeinsame Lehre und Forschung notwendig war, „die nationale Staatsrechtslehre
Schmitt’scher Prägung, die ganz auf den heutigen Staat eingestellt ist“, an dem
Aufbau des neuen Staates zu beteiligen. Forsthoff wollte bewusst politische
Schulungsarbeit für den Nationalsozialismus leisten und unterbreitete
entsprechende Besetzungsvorschläge für freie Lehrstühle.
1935 nahm er den Ruf auf den
Lehrstuhl von Kurt Perels in Hamburg an. Perels, schon 1909 berufen, war neben seiner
Lehrtätigkeit als Ordinarius für Staatsrecht seit 1933 Oberlandesgerichtsrat
und Direktor des Seminars für öffentliches Recht und Staatslehre. Er war seiner
Entlassung wegen seines Judentums zuvorgekommen, indem er sich am 10. September
1933 das Leben nahm, ebenso wie sein jüdischer Fakultätskollege Gerhard Lassar.
Für Forsthoff begann eine schwierige Zeit. Sein traditioneller,
eher konservativer Staats- und Rechtsbegriff sowie seine Verwurzelung in
konfessionellen Bindungen, die er auch nach 1933 nicht aufgab, machten ihn
zunehmend skeptisch gegen die vom Nationalsozialismus verkündete und
praktizierte Demontage des Staates und des Rechts. Die Herausgeber erwähnen in ihrer Einleitung die
nach 1933 vertriebenen jüdischen en Vorgänger auf den von Forsthoff
eingenommenen Lehrstühlen und ihre Schicksale nicht. Für Forsthoff und sein Verständnis
des Zeitgeschehens muss diese Vorgeschichte seiner Berufungen ein mindestens
bemerkenswertes Faktum gewesen sein.[11] Das gleiche gilt für
zahlreiche damals zu Lehrstühlen gekommene „Rechtserneuerer“.
Forsthoff folgte schon zum
Sommersemester 1936 einem Ruf nach Königsberg. Die dortige Universität war
neben Kiel als „Stoßtrupp-Universität“ zur Beschleunigung der „völkischen
Rechtserneuerung“ vorgesehen. Zunächst beteiligt er sich noch maßgeblich an dem
durch den Systemwechsel aufgebrochenen Methodenstreit und an dem Kampf gegen
die Interessenjurisprudenz Philipp Hecks. Die Indifferenz dieser Lehre
gegenüber materialen philosophischen und weltanschaulichen Gehalten sei
kennzeichnend für ihre Herkunft aus der vergangenen Epoche des Liberalismus.
Sie gehöre ebenfalls der Vergangenheit an. Von ihr drohe eine Verbiegung und
Verfälschung der reinen Idee des neuen Rechtsdenkens. Jede Weltanschauung habe
ihre eigenen, ihr gemäßen und ihr allein zugehörigen Methoden.[12]
Seine literarischen Interessen
wenden sich danach zusehends von der Rechtserneuerung ab. Er schreibt sein
bedeutendes Buch „Die Verwaltung als Leistungsträger“ (Stuttgart 1938), in dem
er im Anschluss an Karl Jaspers die Entwicklung der
Kernaufgaben des Staates zur Leistungsverwaltung nachwies und damit die
Modernisierung des Verwaltungs- und des Staatsbegriffs einleitete. Die Daseinsvorsorge wurde zur Daseinsverantwortung des Staates. Er beschrieb bereits damals den von seinem
Amtsvorgänger Hermann Heller geprägten Begriff und Wandel zum ‚Sozialstaat‘,
ohne allerdings diesen Begriff zu verwenden.[13]
Sein großer wissenschaftlicher
Erfolg und sein Engagement im evangelischen Kirchenrecht sowie als Gutachter
der Kirche in einem Rechtsstreit um die Stiftskirche Quedlinburg, die Himmler
zu einer „Weihestätte“ und zum „Ahnenerbe“ der SS machte, trugen ihm mächtige
Gegnerschaft ein.
Als er im Februar 1942 einen Ruf
nach Wien (Nachfolge Adolf Merkl) erhielt, erteilte ihm die Gestapo auf
Betreiben des Wiener Dekans überraschend ein Rede- und Berufsverbot, hinter dem
auch der „Reichsstatthalter“ Baldur von Schirach stand. Forsthoffs
„UK-Stellung“ in Königsberg war aufgehoben. Er musste ab Februar 1942 als
„Bürokraft“ Kriegsdienst in Wien leisten. Die sechsköpfige Familie hauste in
drei Dachzimmern einer Pension. Im März 1943 erhielt nach dem elenden Jahr in
Wien den Lehrstuhl Herbert Krügers in Heidelberg. Sein mir befreundeter
Assistent Dr. Edgar Kull, der ihn in Zypern begleitet hatte, berichtete mir
später, dass Forsthoff in der Zeit in Wien eine untergetauchte Jüdin mit
Lebensmittelmarken unterstützt habe. Es ist durch viele Zeugen und Kollegen (u.
a. Gerhard Anschütz und Walter Jellinek ) belegt, dass Forsthoff sich aufgrund
seiner Erfahrungen mit den Funktionsträgern des Regimes in Frankfurt, Hamburg
und Wien, dann auch mit der Partei und der Gestapo dort, freiwillig und
überzeugt vom Nationalsozialismus abgewendet hatte.
V. Schmitts
geknickte NS-Karriere und sein doppeltes „Verfolgtsein“
Hier liegt ein deutlicher
Unterschied zwischen Forsthoff und Schmitt, der in der Einleitung unerwähnt
bleibt, obwohl er für des Verständnis des Briefwechsels und den Umgang der
Briefschreiber miteinander in der Korrespondenz entscheidend ist. Schmitt hat
vor 1945 keinerlei Abwendung vom NS-Regime erkennen lassen. Für die
diesbezüglichen Behauptungen seiner Anhänger gibt es keine Belege. Es war, wie
die Fakten zeigen, umgekehrt. Die Angriffe gegen Schmitt seitens der SS und der
Partei, initiiert auch von neidischen Kollegen (Eckhardt, Höhn, Koellreutter), 1936
sowie der Verlust seiner politischen Ämter waren nicht die Folge eines eigenen
Gesinnungswechsels oder gar einer Widerstandshaltung bei Schmitt gegenüber dem
Regime. Im Gegenteil: Er hatte auf der von ihm inszenierten Tagung in Berlin
zum „Kampf der deutschen Rechtswissenschaft gegen den jüdischen Geist“ gerade
ein Übersoll an ideologischer Loyalitätsbekundung geleistet und gerade dadurch
seine mächtigen kollegialen Konkurrenten und Gegner provoziert.[14]
Nicht er hatte sich vom Nationalsozialismus, sondern ein mächtiger Teil der
NS-Machthaber in der Partei und in der SS hatten sich von ihm abgewendet, ihn
zum verlogenen Opportunisten, zum Feind erklärt. Er war das Opfer seines stürmischen
Ehrgeizes geworden. Im Gegensatz zu Forsthoff hielt er auch an seinem
literarischen Eifer fest, das kriegsbereite Regime bei seinen Aktionen gegen
die Tschechoslowakei und bei seinem Angriffskrieg zur Eroberung des neuen
„Lebensraumes“ im Osten mit seiner „Großraumtheorie“ vorbehaltlos zu
unterstützen. In der 4. Auflage von 1941 schreibt er zum Angriff Hitlers auf
die Sowjetunion: „Die Tat des Führers hat dem Gedanken unseres Reiches politische
Wirklichkeit, geschichtliche Wahrheit und eine große völkerrechtliche Zukunft
verliehen.“[15] Auch seine
antisemitischen Tiraden setzte er bis zuletzt unverändert fort.[16]
Anders als Forsthoff hat Schmitt
nach dem Krieg keinerlei Irrtümer eingestanden. Er sah sich, wie seine Briefe
und seine Publikationen zeigen, als ein doppelt Gejagter und Verfolgter, sowohl
in der NS-Zeit als auch nach 1945. Viele seiner Publikationen nach 1945 sind
von einer nachhaltigen Larmoyanz durchzogen. Er fühlte sich in seiner Bedeutung
verkannt, zeigte eine zunehmende Empfindlichkeit gegenüber jeder Erwähnung
seiner Aktivitäten während der NS-Zeit. Alle seine zum Teil geifernden Reden
und Schriften gegen die emigrierten deutschen Intellektuellen, gegen die
„Normativisten“[17], die „ekligen Juden“, die
Remigranten und andere Feinde waren in seiner Einschätzung reine Wissenschaft: „Vor
dem Forum des Geistes hat unsere wissenschaftliche Arbeit nichts zu fürchten,
nichts zu verhehlen, und nichts zu bereuen.“ (1946)
Schmitt flüchtete sich in Märchenwelten und Legenden der
Selbstverteidigung eines zu Unrecht Verfolgten. Er sah sich abwechselnd als christlicher
Epimetheus oder als Aufhalter des Antichristen („Katechon“). Solche
Selbststilisierungen wurden zu seinem Lebenselixier, zumal sie von seinen
Verehrern eifrig aufgegriffen und verbreitet wurden. Dazu erfand er zahlreiche
Bilder und Vergleiche, die seine Unschuld illustrieren sollten. So behauptete
er etwa, er habe in Bezug auf den Nationalsozialismus wie der Chemiker und
Hygieniker Max von Pettenkofer gehandelt, der vor Studenten eine Kultur von
Cholera-Bakterien zu sich nahm, um seine Resistenz zu beweisen. So habe auch
er, Schmitt, den Virus des Nationalsozialismus freiwillig geschluckt und sei
nicht infiziert worden. An anderer Stelle verglich Schmitt sich mit Benito Cereno, einer Figur Herman Melvilles aus der gleichnamigen Erzählung von 1856, in der ein
Kapitän auf dem eigenen Schiff von Meuterern gefangengehalten wird. Bei
Begegnung mit anderen Schiffen wird der Kapitän von den aufständischen Sklaven
gezwungen, nach außen hin Normalität vorzuspielen. Sein Haus in Plettenberg
nannte Schmitt San Casciano,
in Anlehnung an den Rückzugsort Machiavellis. Machiavelli war der Verschwörung gegen die Regierung
bezichtigt und daraufhin gefoltert worden. Er hatte die Folter mit Festigkeit
ertragen. Später war seine Unschuld des Theoretikers festgestellt und er auf
freien Fuß gesetzt worden. Er blieb dem Staat aber weiterhin suspekt, war
geächtet und durfte nur auf seinem ärmlichen Landgut namens La Strada bei ,San Casciano’
leben. Genau so sah sich Schmitt.
Forsthoff dagegen hat nach 1945 zu den verschiedenen Konflikten
und Maßnahmen des NS-Regimes gegen ihn beharrlich geschwiegen, obwohl er sowohl
in Königsberg sowie mehr noch in Wien nachweislich erheblichen Repressalien
ausgesetzt war., etwa einem strikten Rede- und Vorlesungsverbot Er hat sich,
anders als etwa Larenz, später nie als heimlichen Widerständler zu stilisieren
versucht, der „Schlimmeres verhüten“ wollte. Auch jede Vertuschung oder
Verharmlosung seiner literarischen Beiträge zur Legitimation des Hitler-Regimes
lehnte er ab. Vor Berufungen wies er interessierte Fakultäten, die ihn gewinnen
wollten, ausdrücklich auf mögliche Proteste gegen seine Berufung hin.
VI. Das gemeinsame Schweigen zur NS-Zeit
Die Herausgeber betonen in ihrer Einleitung die ähnlichen
Lebensschicksale Forsthoffs und Schmitts (Diffamierung, unwissenschaftliche
Kritik, familiäre Schicksalsschläge nach dem Krieg). Die Korrespondenz bekommt
ihrer Spannung für den Leser aber mindestens ebenso durch die Verschiedenheit
der Erlebnisse und Sichtweisen beider im Nationalsozialismus. Forsthoff hatte
sich spätestens 1941/42 von diesem Staat innerlich konsequent verabschiedet. Er
hatte seinen Irrtum erkannt und stand dazu. Schmitt hat, trotz größerer
Konflikte mit mächtigen Instanzen, bis zuletzt die Großtaten des Führers und
die Zukunft des Reiches gepriesen. Einsichten und Eingeständnisse eigener
Irrtümer blieben ihm zeit seines Lebens fremd. Darüber durfte nicht einmal
gesprochen werden.
Gerade das zeigt der umfangreiche Briefwechsel der Nachkriegszeit,
der 340 von 359 Schreiben umfasst. Die Annäherung wird befördert durch Besuche
Schmitts bei den Forsthoffs in Heidelberg. Schmitts zweite Frau Duschka lag in
einer Heidelberger Klinik. Schmitt wohnt in der Folge häufig als Gast in
Forsthoffs ‚Schlierbacher Mühle‘. Der Zusammenhalt wird zusätzlich bestärkt
durch die Tatsache, dass Forsthoff seinen Lehrstuhl in Heidelberg 1948 nicht
wieder erhielt. Er durfte zeitweise seinen eigenen Lehrstuhl vertreten. Eine
Berufung blieb jedoch aus. Berufungen nach Köln, Kiel, Frankfurt und Speyer
scheiterten bis 1952 ebenfalls. Forsthoff und Schmitt sahen sich als
akademische „Ausgestoßene“ in der gleichen Lage. Das bestimmt den Grundton
ihrer Korrespondenz. Schmitt sieht sich nach 1945 durchgehend und mit
zunehmender Intensität, ja mit einer wachsenden Art von Verfolgungswahn als den
verkannten juristischen Sündenbock der NS-Zeit. Forsthoff hingegen gelangt nach
der „Warteschleife“ bis zur Rückkehr auf seinen Heidelberger Lehrstuhl zu großen
wissenschaftlichen Ehren und internationalem Ansehen.
Beide waren sich nach 1948 stillschweigend
einig, zu ihren unterschiedlichen Einstellungen und Verhaltensweisen zum
NS-Regime ab 1934 konsequent zu schweigen. Das stand der Entwicklung einer engen,
zunehmend freundschaftlichen Beziehung, die vor allem für Schmitt in der
Einsamkeit von Plettenberg zeitweilig eine Art „Tor zur Welt“ bedeutete, offenbar
nicht entgegen. Forsthoff muss dieses Schweigen, das auch eine Form des
Verdrängens war, bei bestimmten Themen der Korrespondenz immer wieder
beschäftigt haben, etwa wenn Schmitt in vielen Briefen seinen, auch nach den
Einsichten in den Völkermord an den Juden unverminderten Antisemitismus
dokumentierte. Auch andere Briefe berührten diese früheren Divergenzen, etwa
die abfälligen Bemerkungen Schmitts über Heinz Hürten und Waldemar Gurian
(Brief Nr. 342: „Hagiographie“.) sowie die Schmähungen zu Karl Jaspers (Brief
Nr. 272: „erbärmliche Figur“, „nur noch Mülleimer“.)
Gerade die Reaktion Schmitts auf die Biographie
H. Hürtens über W. Gurian[18],
der ihm gut bekannt war, muss Forsthoff zum Nachdenken angeregt haben. Gurian,
ein zur katholischen Kirche konvertierter jüdischer Publizist, war in den
zwanziger Jahren eng mit Schmitt verbunden und oft Gast in dessen Haus gewesen.
Als bekannter entschiedener NS-Gegner floh er nach dem 30. Juni 1934 mit seiner
Familie in die Schweiz. Der von Schmitts Verhalten nach 1933 und nach dessen
Hitler-Hymne zu den Juni-Morden 1934 zutiefst Enttäuschte dokumentierte von
dort in mehreren Publikationen dessen abrupte Wende vom ‚katholischen’
Staatsrechtslehrer zum „Kronjuristen“ des Hitlerregimes, wie er ihn titulierte.
Den ersten Anstoß dazu bildete ein Beitrag Schmitts in dem NS-Kampfblatt
„Westdeutscher Beobachter“ zum Thema „Die deutschen Intellektuellen“.[19]
Schmitt hatte darin die Flüchtlinge vor dem Regime mit dem Schlusssatz bedacht:
„Aus Deutschland sind sie ausgespieen für alle Zeiten.“[20]
Seine Verachtung für den Opportunismus Schmitts verband Gurian mit bitterem
Spott. Er beglückwünsche die NSDAP zu dessen Aufnahme: Die Partei habe mit ihm
ein zu ihr passendes neues Mitglied gewonnen. Immer neu belegte Gurian die
frühere Abneigung Schmitts gegen die NS-Machthaber und ihrer „Bewegung“, dessen
enge Verbindungen zum politischen Katholizismus und zu zahlreichen jüdischen
Freunden vor 1933.
Die Fähigkeit, angesichts dieser Fakten die
eigenen Irrwege zu erkennen, gar sich ihrer zu schämen, wird bei Schmitt,
anders als bei Forsthoff, nirgends erkennbar. Forsthoff vermeidet auch hier und
in der Spätphase ihrer Beziehung jede briefliche Reaktion.
Die Häufung solcher Aggressionen Schmitts in
seinen Briefen wird bei Forsthoff auch die Erinnerung an dessen Lobeshymne auf
die Mordbefehle Hitlers vom 30. Juni 1933 („Der Führer schützt das Recht“), an
seinen Kongress zum „Kampf gegen das Judentum“ von 1936, der von ihm nach
eigenem Bekunden als ekelhaft empfunden worden war, an das Niederbrennen der
Synagogen im November 1938 und an die anschließend sich verschärfenden
antisemitischen Verfolgungsmaßnahmen des Regimes wachgerufen haben. Er selbst
hatte diese Pogrome schon bald nach der Machtübernahme abgelehnt.
Gleichwohl lässt er zu solchen Äußerungen
Schmitts nach 1948 kein Zeichen von Irritation, Unmut oder gar Widerspruch
erkennen. Das gemeinsame Gefühl eines „ungerechten Verfolgtseins“ nach 1945,
die beiderseitige Einbindung in die alten Gesinnungskohorten (H. Barion, P.
Jordan, A. Gehlen, H. Freyer, E. R. Huber, O. Koellreutter, Maunz, Scheuner u.
a.) und die fortdauernden Verbindungen zu den „Deutschen Christen“ (H. Oberheid
u. a.) mögen dazu beigetragen haben, die vorausliegenden Meinungs- und
Verhaltensunterschiede zu verdrängen und zu überdecken. Auch die gemeinsame,
stetig wachsende Aversion gegenüber dem Grundgesetz und der pluralen Demokratie
sowie der erkennbare Untergang ihres autoritären Staatsideals ließ sie näher zu
einander rücken, wie viele briefliche Bemerkungen beider, vor allem aber das
gemeinsam gefeierte Erscheinen von Forsthoffs Bekenntnisschrift „Der Staat der
Industriegesellschaft“ (1971) zeigen.
Wo sie unterschiedliche Auffassungen vertreten, bleiben diese
verdeckt. Die wechselseitige Bestärkung in ihrer kritischen Haltung zur
Gegenwart, auch der Informationsaustausch über Literatur, über „Freunde und
Feinde“, die Planung und Organisation von Festschriften für sich und ihre
Gesinnungsgenossen, die Beratung beim taktischen Vorgehen sowie die
abgestimmten Bemühungen um den Aufbau eines Netzwerkes nehmen einen breiten
Raum ein.. Forsthoff sieht zu einem frühen Zeitpunkt (18. 9. 1949) ein
„menschliches Gefälle, wie es sich 1918, 1933, 1945 stufenförmig abzeichnet.“
Schmitt meint später (22. 11. 1952), Leute wie Smend, Kaufmann und Jellinek
hätten „den 1945 immer noch vorhandenen Stand verwüstet“. Der Leser ist
erstaunt. War der Stand nicht vorher in der totalitären Epoche durch naive
Gläubigkeit, angestrengtes Wegschauen bei den Exzessen des Regimes und
vorauseilenden Gehorsam verwüstet worden? – Die Briefe gewähren insoweit einen
guten Einblick in ein bestimmtes Segment des intellektuellen Klimas der frühen
Bundesrepublik. Der von beiden erreichte erreichte fachliche Erfolg dieser
Bemühungen steht außer Zweifel.
VII. Fortwirkungen der Schmitt-Forsthoff-Schule?
Schmitt hatte zahlreiche Schüler, die als Universitätsprofessoren
das juristische Denken der frühen Bundesrepublik mitprägten. Dazu gehören außer
Forsthoff u. a. Ernst
Rudolf Huber, Werner Weber, Hans Schneider, Ernst Friesenhahn und Hans Barion. Andere bekannte Schüler Schmitts waren etwa der als
Berater des Kanzlers Erhard bekannt gewordene politische Publizist Rüdiger Altmann („Die formierte Gesellschaft“) oder der Publizist Johannes Gross. Jüngere Verfassungsjuristen wie Ernst-Wolfgang Böckenförde[60] oder Josef Isensee wurden ebenso nachhaltig von Carl Schmitt beeinflusst und
werden der von ihm begründeten Denktradition zugeordnet, die auch als „Schmitt-Schule“ bezeichnet wird.[21]
Forsthoff hat acht Habilitanden
betreut: Karl
Doehring, Georg-Christoph von Unruh, Roman Schnur, Wilhelm Grewe, Hans Hugo Klein, Michael Ronellenfitsch, Willi Blümel und Karl
Zeidler. Damit ist der ‚Wirkungsgrad‘ der
juristischen Schmitt-Forsthoff-Schule in Wissenschaft und Praxis angedeutet.
Forsthoff und Schmitt wirkten nicht zuletzt über die von Forsthoff von 1957-1971 jährlich veranstalteten Ferienseminare im Kloster Ebrach, an denen neben zahlreichen älteren Schmitt-Schülern und jungen Juristen auch Vertreter andere Disziplinen teilnahmen. Schmitt war von 1957 bis 1967 regelmäßiger Gast. Der ergebene, auf kritische Nachfragen verzichtende Teilnehmerkreis[22] bot Schmitt einen Ersatz für die fehlende universitäre Wirkungsstätte. Sein Beziehungsnetz erfasste so etwa Reinhart Koselleck und Christian Meier (Geschichts-wissenschaft), Hanno Kesting (Soziologie), Odo Marquard, Hermann Lübbe, Hans Blumenberg und Alexandre Kojève (Philosophie), Jacob Taubes[23] (Religionswissenschaft), später ein aktiver Förderer der rebellischen linken Studenten an der FU Berlin. Auch Jürgen Habermas verwendete in seiner Parlamentarismuskritik Schmitt‘sche Argumentationsfiguren
Einig sind sie sich in der dezidierten Ablehnung des Grundgesetzes
und der neuen Ordnung der Bundesrepublik. Scharf angegriffen wird von beiden
die Einrichtung des Bundesverfassungsgerichts und seiner Interpretation der
Verfassung als einer Wertordnung. Schmitt referiert dazu 1959 im Ebracher
Seminar über „Die Tyrannei der Werte“.[24]
Forsthoff empfindet es als Auszeichnung, dass die gleichnamige Schrift
verbunden mit seinem Namen in die deutsche Literatur eingeht. Die damit
eröffnete, scharfe Kritik an diesem Verständnis der Verfassung hat, schaut man
auf die methodischen Ansichten beider, vor allem aber Schmitts in der NS-Zeit,
etwas Widersprüchliches. Damals war man sich einig gewesen, dass die nationale
Revolution mit der Weltanschauung des Nationalsozialismus eine neue Wertordnung
mit einer neuen Rechtsidee, neuen Rechtsquellen und neuen Rechtsgrundbegriffen
zur Geltung gebracht hatte.
Mit dem Zusammenbruch des autoritären Staates halten beide den
Staat für tot. Forsthoff am 22. 12. 1964: Der Staat sei „zu Ende“. „Alles werde
dem berühmten freien Spiel der gesellschaftlichen Kräfte … überlassen – ebenso
wie die fortschreitende Verrohung und Verpöbelung unseres öffentlichen Lebens.“
Weil das Staatsideal der „Schmitt-Schule“[25]
zerbrochen ist, meinen sie, es gebe keinen Staat mehr. Das Selbstverständnis
eines liberalen Verfassungsstaates im Sinne einer Selbstorganisation von Freien
und Gleichen ist ihnen zutiefst fremd, ja unheimlich. Der gemeinsame Unmut, ja
Zorn über die neue Ordnung äußert sich in den Briefen mit ungehemmter Schärfe.
Besonders scharf fällt die Ablehnung des „Sozialstaates“ als eines
verbindlichen Rechtsbegriffs und Gestaltungsgebotes für die Staatsgewalt aus.
Er spricht vom „Sozialwahn“ und vom „Sozialbazillus“, von dem auch „die
katholische Kirche in ihrer Kernsubstanz … zersetzt ist“. Die Heftigkeit der
Angriffe wird vielleicht verständlich vor dem Hintergrund der Diskussion, die
schon in der Weimarer Zeit begonnen hatte. Hermann Heller, Jude und einer der
wenigen sozialdemokratischen Staatsrechtslehrer jener Zeit, dessen Lehrstuhl
Forsthoff 1933 übernahm, hatte den Begriff des Sozialstaats zur Zeit der
Weltwirtschaftskrise entwickelt.[26]
Die 1954 neu aufbrechende Diskussion zog darüber sich über Jahre hin.[27]
Angesichts der heutigen Realitäten und Dimensionen des Sozialstaates und seiner
umstrittenen Wucherungen und Grenzen lässt unter dem Einfluss der
Globalisierung seine schlichte Negation als überholt und eher naiv erscheinen.
Die Verantwortung des Staates als letzte Instanz für die Gestaltung der
Gesellschaft ist heute kaum noch zu bestreiten oder aus der
Verfassungswirklichkeit wegzudenken.
VIII. Die gemeinsame Nostalgie
Eine besondere Rolle nimmt in den Briefen die
Staatsrechtslehrervereinigung ein, in die Schmitt, wie auch Koellreutter, bei
ihrer Wiederbelebung 1948/49 nicht mehr aufgenommen wurde und aus der
Forsthoff, nach Kritik an seiner Mitherausgeberschaft an zwei Festschriften für
Schmitt (1959 und 1968) zeitweise (1966-1967) austrat. Auf der Jahrestagung
1953 hatte er, nach vorherigen Querelen über seine Mitgliedschaft, die ihn von
der ersten Zusammenkunft 1949 fernhielten, zum Thema „Der Begriff des sozialen
Rechtsstaates“ referiert. Die Entwicklung der „Vereinigung der Deutschen
Staatsrechtslehrer“ nach ihrer Neugründung 1949 wird in dem Briefwechsel
vielfach thematisiert. Sie ist über den Einfluss auf diese Korrespondenz und
ihre Autoren hinaus ein Kapitel für sich, das in erheblichen Teilen verspätet
geschrieben wird.[28]
Das Verständnis des vorliegenden Schriftwechsels wird durch den Einblick in die
verbandlichen Hintergründe erleichtert und erweitert.
Nach dem Bruch der Beziehung und der langen Trennung der beiden
Briefpartner während fast der gesamten NS-Zeit sowie den so unterschiedlichen
Verhaltensweisen vor 1945 ist die wachsende enge der Verbindung nach 1948
bemerkenswert. Die Ablehnung und Verachtung für Staat und Gesellschaft der
Bundesrepublik sowie gemeinsam erfahrenes Unrecht und Leid in Familie und Beruf
führt sie mehr und mehr zusammen. Gemeinsam sind ihnen auch die vernichtenden
Urteile über die Politisierung und Radikalisierung der Universitäten nach 1968.
Dabei erstaunt, dass die parallelen Erscheinungen nach 1933mit keinem Wort
erwähnt werden, obwohl doch beide nicht nur Augenzeugen, sondern mindestens
mittelbare Nutznießer der Anpöbelungen und Vertreibungen rassischer und
politischer „Feinde“ gewesen waren. Das Vertreibungsgesetz von 7. April 1933
wird in keinem der Briefe erwähnt. Hans Kelsen war Fakultätskollege Schmitts in
Köln gewesen. Er hatte sich geweigert, einen Brief der Fakultät zugunsten
Kelsens zu unterschreiben. Forsthoff hatte Hermann Heller „beerbt“.
Schmitt drückt seine Dankbarkeit für die späte, wohl unerwartete Gemeinsamkeit
enthusiastisch aus: „Wie weit waren wir vor etwa 40 Jahren … von einander
entfernt! Und wie nahe stehen wir uns heute!“ (13. 9. 1962). Und: „Mich
persönlich befällt eine große Rührung, wenn ich an unsere langjährige
Freundschaft denke.“(10. 9. 1967). Forsthoff drückt es vorsichtiger aus: „Im
Alter rücken wir zusammen.“
Die Lektüre des Briefwechsels und der akribisch angefertigten
editorischen Kommentare (mit einem bewundernswerten Arbeitsaufwand erstellt)
lässt den Leser nachdenklich zurück. Die Briefschreiber lebten und schrieben in
den staatsrechtlichen Denkmodellen, aber auch in den Gefühlswelten eines
überlebten Staatsideals, der eine ohne die Fähigkeit zu selbstkritischen
Einsichten, der andere, getragen vom Erfolg seiner nach wie vor gültigen
Einsichten in die fundamental gewandelten Staatsaufgaben. Das Buch ist für
jeden an der jüngeren Rechtsgeschichte Interessierten ein Gewinn. Die noch
ausstehende Edition des Briefwechsels Schmitts mit seinem zweiten
„Meisterschüler“, Ernst Rudolf Huber, wird das Panorama dieser rechtsgeschichtlichen
Epoche abermals bereichern.
Konstanz Bernd
Rüthers
[1] Vgl. die Hinweise auf Schmitts Tagebücher
1933/34 bei W. Schuller, Eine große Rührung, FAZ vom 24. 12. 2007, S. 37. Wie
üblich lässt Schmitt dort seinen Aggressionen gegen „Freunde“ freien Lauf
(„scheußlicher Kerl“, „Wut“, „Ekel“). Die Tagebücher sind, wie ihre Kenner
festgestellt haben, durchgängig
Zeugnisse eines „permanenten Freundesverrats“.
[2]
Anrede „Lieber Herr Staatsrat!“
[3] Heller hatte 1930 den
Begriff des ‚sozialen Rechtsstaates‘ geprägt, gegen den Forsthoff in seiner
Kritik des Grundgesetzes 20 Jahre später heftige verfassungsrechtliche Bedenken
vorbrachte.
[4] Heinrich Forsthoff war von 1934-1936
Probst des erst 1933 geschaffenen
evangelischen Bistums Köln-Aachen und herausgehobener Repräsentant der
„Deutschen Christen“. Er entwarf eine neue Kirchenordnung, die unter Berufung
auf das Vorbild Adolf Hitlers das Führerprinzip für den Bischof einführte.
[5]
Vgl. etwa Raphael Gross, Carl Schmitt und die Juden, 2000.
[6] Hamburg 1933, S. 37f.
[7] Diese unbefangene Gesprächsbereitschaft war
ungewöhnlich. Der Rezensent hat in den siebziger Jahren viele Gespräche mit
Professoren der NS-Zeit geführt (u. a. mit Dietz, Nipperdey, Michaelis, H. J.
Wolff, F. Klein, Weber, Wieacker, Larenz).
Einzig Forsthoff sprach ganz offen von
seinen „schweren Irrtümern“. Vgl. dazu Karl Doehring, Ernst Forsthoff,
in: Juristen im Portrait, Verlag C. H. Beck, München 1988, S. 341-349. Er
lehnte es – im Gegensatz zu anderen – entschieden ab, sich nachträglich als „Widerstandskämpfer“
zu stilisieren.
[8]
Die Widmung lautet; „Ich widme das Buch dem Andenken meines Vaters, der
als Arbeiter allen Trugbildern und Drohungen des totalitären Regimes unbeirrt
widerstand.“ Es ist verständlich, dass
sie auf diese Briefschreiber peinlich
wirkte.
[9]
E. Forsthoff, Der totale Staat, 1933, S. 13.
[10] Aufgrund des verlogen betitelten
„Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933.
[11] Frau Mußgnug darf als Expertin in Sachen
1933 vertriebener jüdischer Professoren gelten, vgl. Dorothee Mußgnug, Die
vertriebenen Heidelberger Dozenten. Zur Geschichte der
Ruprecht-Karls-Universität nach 1933, 1988
[12] E. Forsthoff ZgS 96 (1936), 49, 69f.;
ders. ZgS 97 (1937), 371ff.
[13] Später hat er den Begriff
des Sozialstaates als Rechtsbegriff abgelehnt,
vgl. Forsthoff in
Forsthoff/Grewe/Bachof/ Menzel, Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates,
VVdStRL, Heft 12, 1954.
[14]
Vgl. näher B. Rüthers. Carl Schmitt im Dritten Reich, 2. Aufl., München
1990, S. 104ff.
[15]
C. Schmitt, Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für
raumfremde Mächte, 4. Aufl., Berlin,
Leipzig und Wien 1941, S. 49f.; B. Rüthers, aaO., S. 107ff.
[16] B.
Rüthers, aaO., S. 113 ff.
[17] Der vormalige Kämpfer gegen den
überholten „Normativismus“ trug nach dem Zeugnis Rüdiger Altmanns in seinem
‚San Casciano‘ von Plettenberg ein schwarzes Samtbarett, auf dem silbern das
Wort „Nomoi“ (Die Gesetze“) eingestickt war.
[18] H.
Hürten, Waldemar Gurian, 1952
[19] „Westdeutscher Beobachter“ vom 31. 5. 1933.
[20] Die
perfide Wortwahl scheint systemtypisch für die Ausgrenzung potentieller
„Feinde“ durch die intellektuellen Diener totalitärer Staaten zu sein. Ganz ähnlich hat der
Präsident des DDR-Schriftstellerverbandes zur Ausreise Reiner Kunzes und seiner Familie diesem nachgerufen: „Kommt
Zeit, vergeht Unrat!“ (auf dem
DDR-Schriftstellerkongress im Mai 1978) Er
hatte dann im Ergebnis Recht, - nur in der Person hatte er sich geirrt.
[21] Vgl. näher
Dirk van Laak, Gespräche in der Sicherheit des Schweigens. Carl Schmitt in der
politischen Geistesgeschichte der frühen Bundesrepublik, 1993; Frieder Günter,
Denken vom Staat her. Die bundesdeutsche Staatsrechtslehre zwischen Dezision
und Integration 1949–1970, 2004.
[22] Vgl. B. Schlink, Vergangenheitsschuld,
3. Aufl., Zürich 2007, S. 149 und 132.
[23]
J. Taubes, Ad Carl Schmitt, Gegenstrebige Fügung, 1987
[24] C. Schmitt, Die Tyrannei der Werte.
Überlegungen eines Juristen zur Wertphilosophie, Ebracher Studien, Ernst
Forsthoff zum 65. Geburtstag, 1967; Neudruck in: C. Schmitt/E. Jüngel/S.
Schelz, Die Tyrannei der Werte , 1979. – War die „Tyrannei der Werte“ in der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
zur Verfassung als Wertordnung
anstößiger als die eifrige interpretative Umsetzung der Wertvorstellungen des Tyrannen im totalen
Staat?
[25]
C. Schmitt, Die Diktatur, 1921; Die geistesgeschichtliche Lage de
heutigen Parlamentarismus, 1923; Römischer Katholizismus und politische Form ,
1923 ; E. Forsthoff, Der totale Staat, 1933; Der Staat der Industriegesellschaft,
1971.
[26] Nachweise zur Begriffsgeschichte bei Joachim
Rückert, „Sozialstaatsprinzip“ - Konzepte und Rezepte, Typoskript eines Vortrages
in Graz am 21. 5. 2003.
[27] E. Forsthoff, Verfassungsprobleme des Sozialstaats (Erstveröffentlichung 1954). In: Ders. (Hrsg.): Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, 1968, S. 145-164 ; Forsthoff, E.: Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates (Erstveröffentlichung 1954). In: Ders. (Hrsg.): Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit. 1968, S. 165-200; W. Abendroth, Zum Begriff des demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. In: Forsthoff, E. (Hrsg.): Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, 1954, S. 114-144.
[28]
Vgl. etwa die Schilderung von Aufnahmeverfahren bei B. Schlink, „Unfähigkeit
der Staatsrechtswissenschaft zu trauern?“ in: ders., Vergangenheitsschuld, 3.
Aufl., 2007, S. 124-141 und 142ff., 154ff.