Duve, Thomas,
Sonderrecht in der frühen Neuzeit. Studien zum ius singulare und den privilegia
miserabilium personarum, senum und indorum in alter und neuer Welt (= Studien
zur europäischen Rechtsgeschichte 231). Klostermann, Frankfurt am Main 2008.
XII, 358 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Thomas Duve hat bereits 1998 eine in München 1996/1997
angenommene Dissertation mit dem Titel Normativität und Empirie im öffentlichen Recht und der
Politikwissenschaft um 1900 - Historisch-systematische Untersuchung des Lebens
und Werks von Richard Schmidt (1862-1944) und der Methodenentwicklung seiner
Zeit vorgelegt. Außerdem hat er kenntnisreich Fabian Wittrecks
Arbeit über Thomas von Aquin rezensiert, im Rahmen des Arbeitskreises Augen der
Rechtsgeschichte Beiträge über den Bischof, die Nonnen und das Ei sowie Las
Casas in Mexiko erarbeitet und am historisch-kritischen Kommentar zum
Bürgerlichen Gesetzbuch mitgewirkt. Nun hat der ursprünglich bei Peter Landau, nach
dessen Emeritierung bei Harald Siems und nach dem Vorwort zuletzt an der
Pontificia Universidad Católica Argentina in Buenos Aires tätige Verfasser
seine als Mitarbeiter bzw. Leiter eines Teilprojekts des Münchener
Sonderforschungsbereiches Pluralisierung und Autorität in der frühen Neuzeit
entstandene, im Wintersemester 2004/2005 von der juristischen Fakultät der
Universität München angenommene, Peter Landau in dankbarer Verehrung gewidmete
Habilitationsschrift in gestraffter, um neuere Literatur ergänzter Form
veröffentlicht.
Die in fünf Teile gegliederte Untersuchung beginnt mit
einer Einführung und Perspektivenbildung zum frühneuzeitlichen ius singulare.
Ausgangspunkt ist dabei eine Eingabe der Bischöfe von Chiapas, Guatemala
und Nicaragua an den Vorsitzenden der für sie zuständigen königlichen Audiencia
de los Confines vom 19. Oktober 1545, in der sie unter Androhung der
Exkommunikation verlangten, dass ab sofort alle die Indianer betreffenden
Rechtsstreitigkeiten der kirchlichen Jurisdiktion unterstellt sein müssten. Im
Mittelpunkt ihrer Überlegungen stand die juristische Figur der persona miserabilis,
des der Hilfe Bedürftigen.
Von dieser neuen Welt aus wirft der Verfasser einen Blick
auf die alte Welt. Neben vielem Anderem stellt er die Frage nach dem
Sonderrecht in der frühen Neuzeit. Er ermittelt, dass diese wichtige
Problematik in der rechtsgeschichtlichen Forschung vernachlässigt wurde, obwohl
die ältere Literatur sich mit dem auf Digesten 1. 3. 16 zurückgeführten
Sonderrechtsprinzip an den Beispielen der Armen, Kranken, Kaufleute, Kleriker,
Greise und Gelehrten vielfach befasste.
Der zweite Teil ist von daher der persona miserabilis
gewidmet. Auf der Suche nach Anknüpfungspunkten in Antike und Mittelalter
beschreibt der Verfasser zunächst den bisherigen Forschungsstand und klärt
danach das Verhältnis zwischen persona miserabilis und bischöflicher
Jurisdiktionsgrundlage auf Grund des kanonischen Rechtes und des
Traditionsbestandes sowie den Kompetenzzuweisungen in der alten Welt und der neuen Welt. Danach
ermittelt er als Zwischenbilanz die persona miserabilis im justiziellen
Kontext.
Der dritte Teil hat die persona miserabilis als
Sonderrechtskategorie zum Gegenstand. Besondere Aufmerksamkeit erfahren in
diesem Rahmen die Indianer und die auf sie bezogenen privilegia indorum
und der senes samt den für sie geltenden privilegia senum. In der
Zwischenbilanz führt dies den Verfasser zur persona miserabilis als
Sonderrechtskategorie.
Der vierte Teil behandelt den Weg von Sonderberechtigungen
zum Sonderrecht, wobei eingangs die Ausgangsbedingungen an der Schwelle der
frühen Neuzeit dargelegt werden. Danach wird das Verhältnis des Sonderrechts
zur aequitas problematisiert. Den Mechanismen der normativen Verdichtung
werden abschließend die gegenläufigen Tendenzen gegenübergestellt, die das Ende
des frühneuzeitlichen Sonderrechts bewirken.
Am Ende sieht der Verfasser Sonderrecht in der Gegenwart in
solchen normativen Sätzen, die sich von anderen verhältnismäßig allgemeiner
bestimmten Sätzen unterscheiden lassen und infolge zahlenmäßiger Überschreitung
einer gewissen Erheblichkeitsschwelle zu äußerer Selbständigkeit zusammengefasst
sind. Demgegenüber stammt sein frühneuzeitliches Sonderrecht aus einer
Rechtskultur, die keine systematische Geschlossenheit kannte, die über einem
Rechtsquellenpluralismus errichtet war und der ein spezifischer Geltungsbegriff
und ein anderes Verständnis wissenschaftlichen Arbeitens zugrundelagen.
Gleichwohl findet er verschiedene gemeinsame Merkmale.
Im Nachwort deutet der Verfasser an, dass trotz seiner
neuen Erkenntnisse viele Fragen offen bleiben. Deswegen könnte sich eine
Beschäftigung mit weiteren Sonderrechtsgebieten durchaus lohnen. Der Ausgleich
zwischen Generalisierung und Differenzierung im Recht könnte auch in Zukunft
von Bedeutung sein.
Die in dem Gefühl, dass die Zahl der Eintragungen im
Familienbuch nicht der der approbierten akademischen Qualifikationsschriften
nachgeordnet werden muss, verfasste Schrift verbindet alte Welt und neue Welt
in nachdrücklicher Weise. Ein umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis
setzt die selbständige Gedankenführung in klare Beziehung zur literarischen
Tradition. Möge die Untersuchung weitere reiche Frucht bringen.
Innsbruck Gerhard
Köbler