Blickle, Peter, Von der Leibeigenschaft zu den
Menschenrechten. Eine Geschichte der Freiheit in Deutschland, 2. Aufl. Beck,
München 2006. 426 S. Besprochen von Christoph Holtwisch.
Das hier vorgestellte Buch ist bereits
bei seinem erstmaligen Erscheinen im Jahr 2003 interessiert aufgenommen und
kontrovers besprochen worden. Seine auch in der zweiten, durchgesehenen Auflage
unveränderte Zentralthese – daß sich die Menschenrechte aus dem Institut der
Leibeigenschaft entwickelt haben – ist sowohl auf vorsichtige Zustimmung als
auch auf deutliche Zurückweisung gestoßen, wie es bei einer so pointiert
vorgetragenen Ansicht nicht anders zu erwarten war. Die Rezensenten haben in
der Regel die rechtshistorischen Erkenntnisse Blickles gewürdigt, waren jedoch
skeptischer bezüglich seiner Schlussfolgerungen.
Die Kritik folgt damit der von Blickle
vorgegebenen Struktur des Buches, das sich in Teil I „Von der mittelalterlichen
Leibeigenschaft zur modernen Freiheit“ und Teil II „Die Kraft der
Leibeigenschaft – Zur Entstehung von öffentlichen Räumen, von Freiheit,
Eigentum und bürgerlichen Rechten“ gliedert. Laut Blickle ist die „Freiheit,
die Menschenrechte überhaupt denkbar gemacht hat“, eine „leibhaftige Freiheit“: „Sie ist dadurch bestimmt, daß der Mensch
über seinen Leib verfügt, indem er
arbeitet, was er will, heiratet, wen er will, und sich niederläßt, wo er will.
[...] Wo diese Bedingungen fehlten, bestand Leibeigenschaft.
[...] Moderne Freiheit, modernes Eigentum und moderne Bürgerrechte sind die
Umkehrung dieser hochmittelalterlichen Verhältnisse. Aus der Eigenschaft wurde auf der dinglichen
Ebene das Eigentum, auf der
personalen die Freiheit und auf der
rechtlichen das Bürgerrecht.“ Die „Freiheit,
über die eigene Person verfügen zu können, zog Eigentum als Materialisierung
von Arbeit nach sich und letztlich auch Bürgerrechte als Definitionshoheit über
die Organisation des gesellschaftlichen Zusammenlebens freier Menschen. [...]
In der Eigenschaft lagen bereits die Möglichkeiten, die sich zu Freiheit,
Eigentum und Bürgerrechten ausbauen ließen.“
Diese bereits stattgefundenen
„tektonischen Verschiebungen im Aufbau der Eigenschaft“ erlaubten es
schließlich, „Freiheit, Eigentum und Bürgerrechte als Würde des Menschen zu erklären“, denn „Theorien machen keine
Geschichte, es sei denn, sie seien ihrerseits eine gelungene Verarbeitung von
Realität“. Nach Blickle teilen sich Amerika und Frankreich deshalb „den Ruhm,
als erste die Menschenrechte erklärt
und in ihre Verfassungen aufgenommen zu haben“, weil die deutschen Gesetze und
Verfassungen in den Jahrzehnten vor und nach 1800 „realitätsnäher“ waren, indem
sie einen allgemeinen Anspruch auch ausdrücklich nur auf das die Rechte jeweils
gewährleistende Land bezogen – während beispielsweise die Virginia Bill of Rights offener
formuliert war, aber selbstverständlich auch nur in Virginia galt.
Dass Blickle die Menschenrechte „aus
einer vorgängigen Unfreiheit dialektisch hervorgehen läßt“, ist der Punkt, der
in den bisherigen Rezensionen die meiste Skepsis hervorgerufen hat. Gerade
diese zugespitzte These in dem auch sonst gelungenen Buch über die Entwicklung
der Leibeigenschaft macht das Werk indes höchst anregend, erlaubt sie es doch,
die Verknüpfung der Menschenrechte mit westlicher Aufklärung und Bürgertum zu
entkoppeln und sie damit leichter universalisierbar zu machen. Zuversichtlich
ist der Ausblick Blickles, dass auch heute der „Spannungsbogen zwischen
Freiheit und Unfreiheit“ jene gesellschaftlichen Prozesse begünstigt, „die zur
Durchsetzung der Menschenrechte führen werden“. Der Rezensent ist hier zweifelnder
als der Autor und fühlt sich an Fukuyamas „Ende der Geschichte“ erinnert, die
durch Huntingtons „Kampf der Kulturen“ beantwortet wurde. Ohne Zweifel ist
jedoch zu hoffen, dass Freiheit wirklich „die von Menschen immer gewollte
Grundform ihrer Existenz“ ist.
Vreden Christoph
Holtwisch