Binkelmann, Christoph, Theorie der praktischen Freiheit. Fichte - Hegel (= Quellen und Studien zur Philosophie 82). De Gruyter, Berlin 2007. X, 376 S. Besprochen von Walter Pauly.

 

Die von Rüdiger Bubner betreute Heidelberger philosophische Dissertation vergleicht die Freiheitslehren von Fichte und Hegel, um am Ende zur Auffassung eines permanenten Perspektivenwechsels zwischen beiden zu gelangen, wobei er sich ausdrücklich an Helmuth Plessners Lehre vom „gewordenen Ursprung“ menschlicher Freiheit anlehnt (S. 351f.). Von besonderem rechtshistorischen Interesse ist die Rekonstruktion, die Fichtes Naturrechtslehre, mit der dieser Transzendentalphilosoph bereits vor Kants Metaphysik der Sitten als Rechtsphilosoph hervortrat, ebenso erfährt wie die darauf gemünzte Kritik Hegels, die im Fortgang zu einer systematischen Position ausgefaltet wurde. Grob gesprochen finde sich bei Fichte eine Überbewertung der subjektiven, bei Hegel der objektiven Freiheit (S. 329). Fichte geht von einer „Grund- und Weltlosigkeit“ des Subjekts aus, in Binkelmanns Augen ein Verdienst, versuche dann allerdings widersprüchlich, selbiges zum „absoluten Grund der gesamten Wirklichkeit“ zu erheben (S. 349f.), weswegen Hegel mit der Einbeziehung der nicht auf den Status einer reinen Freiheitsbeschränkung reduzierten objektiven Wirklichkeit in den Prozess der Freiheitsverwirklichung eine bleibende Einsicht formuliert habe (S. 342, 350). Problem der Fichteschen Rechtslehre sei es denn auch, Recht und Staat lediglich als Mittel wie Folge subjektiver Freiheit zu begreifen und in einer unendlichen Annäherung an einen utopischen Endzustand im Wege der vollständigen Moralisierung der Subjekte erübrigen und auflösen zu wollen (S. 132, 318,. 325ff.). Die Differenz zwischen Fichte und Hegel zeigt sich bereits beim Eigentum, das ersterer als Mittel subjektiven Freiheitsvollzugs, letzterer hingegen als zweckhafte Freiheitsmanifestation versteht (S. 319). Gibt das Gewissen bei Fichte Pflichten vor, steht es bei Hegel in der Gefahr, sich durch Verfehlung des Allgemeinen ins Böse zu wenden (S. 102f., 323 f.). Und während Fichte im Zusammenhang mit dem Eigentumsvertrag das Zivilrecht konstituiert und mit dem Vereinigungs- und Unterwerfungsvertrag das Staatsrecht (S. 126ff.), anerkennt Hegel den Vertrag zwar als „Kategorie des abstrakten Rechts“, lehnt aber eine Übertragung der Vertragsfigur auf den Staat kategorisch ab, mit der sich nur ein Notstaat, aber kein sittlicher Vernunftstaat begründen lasse (S. 321). Fichtes überzogener Schutz der subjektiven Freiheit vor Unrecht führt letztlich in einen Polizeistaat (S. 131), von dem sich Hegel auch durch die bei Fichte verabsäumte Trennung von Polizei und Rechtspflege explizit abhebt (S. 128f., 326). Hegel weise dabei Fichtes Modell einer spielraumfreien, mechanistischen Rechtsanwendung angesichts der „unendlichen Mannigfaltigkeit möglicher Rechtsbestimmungen“ zurück, führe allerdings Polizei und Rechtspflege durch die gemeinsame Unterstellung unter die Regierungsgewalt wieder eng (S. 312, 326). Im Unterschied zu Fichtes Grundlosigkeitsdogma liefere Hegel eine rationale Genese menschlicher Freiheit, bei der subjektive Freiheit objektiver institutioneller Rahmenbedingungen bedürfe, die zwar auch als Produkt subjektiven Freiheitsvollzugs erschienen, jedoch im letzten sich dem weltgeschichtlichen Gang des absoluten Geistes verdankten (S. 11, 309, 328). Ungeachtet der „zunehmenden Vernünftigkeit der staatlichen Verfassungen“ finde das Subjekt seine eigentliche Manifestation jedoch denkend in der Sphäre der absoluten Freiheit von Kunst, Religion und Philosophie (S. 328). Wie der von Binkelmann anempfohlene permanente Perspektivenwechsel zwischen Fichte und Hegel sich in der Rechts- und Staatslehre ausnehmen würde, wird in der niveauvollen Schrift nicht ausgeführt. Dabei wäre insbesondere der Unterschied von Perspektivenwechsel und Refragmentierung Hegelscher Synthesenbildung zu klären.

 

Jena                                                                                                   Walter Pauly