Baranowski, Günter, Die Gerichtsurkunde von Pskov (= Rechtshistorische Reihe 364). Lang, Frankfurt am Main 2008. 440 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Das heute rund 200000 Einwohner zählende Pskov (bzw. Pleskov) am Fluss Velikaja im Nordwesten Russlands nahe der Grenze zu Estland wird 903 anlässlich der Heirat Igors von Kiev mit Olga von Pskov in der Nestor-Chronik erstmals erwähnt. Die Gerichtsurkunde von Pskov (Pskovskaja Sudnaja gramota) ist das bedeutendste Rechtsdokument des politisch aufgegliederten mittelalterlichen Russland zwischen der erweiterten Russkaja Pravda des ersten Drittels des 12. Jahrhunderts und dem Sudebnik (Gerichtsbuch) von 1497. Sie wurde in einigen Teilen 1397 zusammengefasst und zwischen 1462 und 1471 in ihre überkommene Form gebracht.
In seinen Vorbemerkungen beginnt der Verfasser mit der deutschen Wissenschaftsgeschichte seiner Quelle. Sie setzt 1900 mit einem von Neubecker veröffentlichten Auszug aus Vladimirskij-Budanovs Obzor ein. Da bisher trotz verschiedener Bemühungen kein befriedigendes Ergebnis erreicht wurde, eröffnet sicdh für den Bearbeiter die Möglichkeit, mit diesem Werk sachverständig und umfassend eine beklagenswerte Lücke erfolgreich zu schließen.
Vorangestellt bietet er eine umfangreiche geschichtliche Einführung. Sie lässt ihn spätestens 1348 von einer selbständigen Republik Pskov sprechen. Ihre politische Struktur erörtert er ausführlich unter ständigem Vergleich mit Novgorod.
Die Gerichtsurkunde selbst ist in zwei Handschriften überliefert, dem Voroncovskij spisok (in Sankt Petersburg) und dem Sinodal’nyi spisok (in Moskau). Die erste Edition erfolgte im 19. Jahrhundert. Dem schlossen sich weitere Ausgaben dieses Setzungsrecht, Gewohnheitsrecht und Gerichtsrecht vereinenden, gegenüber der älteren, vom Verfasser bereits 2005 in ähnlich sorgfältiger Weise behandelten Russkaja Pravda eine besonders im Privatrecht und im Verfahrensrecht entwickeltere Stufe des Rechts widerspiegelnden, um den inneren Frieden der Stadt bemühten Rechtsquelle bis 1990 an, auf denen der Bearbeiter kritisch aufbauen kann.
Danach gibt der Bearbeiter die Präambel und die 120 Artikel seines Textes in modernisierter russischer Schreibweise, deutscher Übersetzung und mit ausführlichen Erläuterungen wieder. Danach nimmt er zu einigen strukturellen Problemen und einigen inhaltlichen Stellung und bietet zusammenfassende Schlussbemerkungen. Zehn kurze Beilagen, ein knappes Glossar rund 50 nicht übersetzter Wörter und ein umfangreiches Literaturverzeichnis runden die bedeutende Leistung des Verfassers ab, die den seidenen Faden der Rechtsgeschichte Russlands in deutscher Sprache eindrucksvoll und hoffentlich noch lange mit gleichwertigen Ergebnissen fortführt, auch wenn nur wenige wirkliche Sachkenner angemessen davon Gebrauch machen und auf gleicher Höhe mitsprechen werden können.
Innsbruck Gerhard Köbler