Bäumer, Matthias, Die Privatrechtskodifikation im juristischen
Universitätsstudium. Problemanalyse im Spiegel historischer Reformdiskussionen
(= Europäische Hochschulschriften 2, 4694). Lang, Frankfurt am Main 2008. XII,
170 S. Besprochen von Gunter Wesener.
Der Verfasser, ein Schüler
Franz Dorns, untersucht in seiner Trierer Dissertation die Auswirkung deutscher
Privatrechtskodifikationen auf die Gestaltung des juristischen Studiums. Im
Besonderen wird die Bedeutung des preußischen Allgemeinen Landrechts von 1794
sowie des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs von 1896 für das Studium des
Privatrechts untersucht.
Im Gegensatz zu Österreich, wo mit dem Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch von 1811 gleichzeitig eine tiefgreifende Reform des juristischen Studium erfolgte[1], war in Preußen mit dem Inkrafttreten des Allgemeinen Landrechts keine Studienreform verbunden. Die Redaktoren der preußischen Kodifikation hatten zwar einen Studienplan für die Behandlung des Gesetzbuchs im Universitätsstudium entworfen und auch Lehrbücher verfassen lassen (S. 16ff.), sahen aber davon ab, den Fakultäten verbindliche Vorgaben zu machen (S. 25). Gegen Ende des 18. bzw. zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden zwar an den preußischen Rechtsfakultäten Vorlesungen über das Allgemeine Landrecht angeboten; zur Einrichtung eigener Lehrstühle für das „vaterländische Recht“ kam es aber nicht (S. 27f.). In der Literatur erhielt sich die Forderung, dass die künftigen Juristen in ihrem Studium eine von der bloßen Gesetzeskenntnis, „die sich auch der gemeine Bürger durch die Lektüre des Gesetzbuchs aneignen könnte“, zu unterscheidende wissenschaftliche oder „gelehrte“ Kenntnis des Rechts erwerben müssten (S. 32). Christian Ulrich Detlev von Eggers (1758-1813)[2], Professor der Rechte in Kopenhagen, dessen Preisschrift unter dem Titel „Lehrbuch des Natur- und allgemeinen Privatrechts und gemeinen Preußischen Rechts“ publiziert wurde (Bd. I, Berlin 1797), hielt eine gründliche Kenntnis des römischen Rechts und der Rechtsgeschichte weiterhin für erforderlich (Verfasser S. 21ff. u. S. 33f.)[3]. Erst im zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts änderte sich die eher negative Einstellung der preußischen Regierung zur Lehre des Allgemeinen Landrechts und sie begann nun auf eine lehrmäßige Behandlung des Landrechts an den Rechtsfakultäten hinzuwirken (S. 54ff.). Erst 1845 wurde an der Universität Berlin eine Professur für preußisches Privatrecht eingerichtet und mit einem Praktiker, einem Schüler Savignys, Ludwig Eduard Heydemann (1805-1874) besetzt (S. 59f.). Vorherrschend blieben aber im Studium römisches Privatrecht (Institutionen und Pandekten) sowie deutsches Privatrecht mit Einschluss des Lehnrechts (S. 60ff.). Wie der Verfasser (S. 64ff.) ausführt, geriet die preußische Juristenausbildung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in eine Krise, da die Kodifikation im Lehrprogramm nach wie vor zu wenig berücksichtigt wurde. Die Ausbildung einer eigenständigen preußischen Zivilrechtswissenschaft auf Grundlage de Allgemeinen Landrechts wurde durch die Pandektenwissenschaft stark gehemmt[4].
Im zweiten Teil der Untersuchung (S. 73ff.) wird die Umgestaltung des Rechtsstudiums anlässlich der Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs behandelt[5]. Eingehend werden die intensiven Reformdiskussionen erörtert (S. 77ff.). Manche Juristen traten für die Beibehaltung des bisherigen Systems ein, die meisten aber für eine Neustrukturierung des Universitätsstudiums. Für eine vollständige Entfernung des römischen Rechts als Lehrgegenstand setzte sich der Karlsruher Rechtsanwalt Ernst Fuchs (1859-1929), ein Vertreter der Freirechtsschule, ein (S. 81f.). Die überwiegende Mehrzahl der Stimmen sprach sich für eine Beibehaltung des römischen Rechts aus, da das Bürgerliche Gesetzbuch seine Wurzeln im Wesentlichen im römischen Recht habe und dieses daher zum Verständnis und zur Ergänzung des kodifizierten Rechts diene (S. 82ff.). Andere wiederum, wie der Kieler Romanist Siegmund Schlossmann (1844–1909) und Theodor Muther (1826–1878), bewerteten das römische Recht als pädagogisches Bildungsmittel und sahen darin ein unentbehrliches Element des Rechtsstudiums (S. 84 ff.).
Auf der Eisenacher Konferenz von Vertretern der deutschen Rechtsfakultäten von 1896, die unter dem Vorsitz des Leipziger Kirchenrechtlers Emil Friedberg (1837–1910) tagte, wurde eine Resolution gefasst, wonach die künftigen Lehrpläne neben Vorlesungen über römische und deutsche Rechtsgeschichte „propädeutische systematische Vorlesungen“ über die römischrechtlichen und deutschrechtlichen Grundlagen des Bürgerlichen Gesetzbuchs enthalten und der Behandlung des Bürgerlichen Gesetzbuchs im Studium vorausgehen sollten (S. 92). In einer weiteren Resolution wurde die besondere Bedeutung der Quellenexegese hervorgehoben. In Preußen wurde dieses Konzept eines historisch-propädeutischen Grundlagenstudiums im Wesentlichen im Januar 1897 übernommen. Es sollte dem Studium des deutschen bürgerlichen Rechts, das nunmehr im Mittelpunkt stand, vorausgehen (S. 94ff.). Im Gegensatz zum Allgemeinen preußischen Landrecht, das eine partikulare Kodifikation darstellte, handelte es sich bei dem Bürgerlichen Gesetzbuch um eine „nationale Kodifikation“, so dass eine einheitliche deutsche Rechtswissenschaft dadurch nicht gefährdet schien. Die Wissenschaftlichkeit der Ausbildung erforderte freilich ein eingehendes historisches Grundlagenstudium (S. 128).
In den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts flammte die Reformdiskussion neuerlich auf; vor allem im Hinblick auf neue Rechtsgebiete wurde das Konzept eines historisch-propädeutischen Grundlagenstudiums aufgegeben (S. 115ff.).
Der letzte Teil der Arbeit (S. 130ff.) befasst sich mit dem Bedeutungswandel der nationalen Privatrechtskodifikationen im Hinblick auf die Europäisierung des Privatrechts. Der Verfasser (S. 135ff.) stellt Überlegungen zur künftigen Gestaltung des Privatrechtsstudiums an. Eine Europäisierung des Rechtsstudiums verlange eine Wiederbelebung der so genannten Grundlagenfächer (Rechtsgeschichte, römisches Recht und Rechtsvergleichung). Diese sollen „zur Erkenntnis der gemeinsamen Wurzeln der europäischen Rechtsordnungen führen“ (S. 138). Zu Recht hat Paul Koschaker[6] gefordert, das römische Recht in seiner geschichtlichen Funktion zu erhalten, „ein Mittler unter den großen europäischen Privatrechtssystemen zu sein“.
Der Verfasser bietet mit seiner Untersuchung eine sehr sorgfältige und instruktive Darstellung der Reformdiskussionen über die Gestaltung des Rechtsstudiums mit Schwerpunkt in Preußen im 19. und 20. Jahrhundert.
Graz Gunter Wesener
[1] Zur Zeiller’schen Studienreform von 1810 K. Ebert, Die Grazer Juristenfakultät im Vormärz, Graz 1969, 35 ff.; G. Wesener, Römisches Recht und Naturrecht (= Geschichte der Rechtswiss. Fak. der Univ. Graz, Teil 1), Graz 1978, 29 ff.; ders., Österreichisches Privatrecht an der Universität Graz (= Geschichte, wie o., Teil 4), Graz 2002, 11 ff.
[2] Zu diesem H. Kellenbenz, in: NDB 4 (1959) 334 f.
[3] Der S. 48 (u. S. 154) angeführte Kammergerichtsrat und spätere preußische Justizminister F. W. L. Bornemann (1798 – 1864) heißt mit Vornamen richtig Ferdinand (nicht Friedrich) Wilhelm Ludwig; vgl. P. Landau, Ferdinand Wilhelm Ludwig Bornemann und die Tradition des preußischen Rechts, in: Quaderni Fiorentini per la storia del pensiero giuridico moderno 23 (1994) 57 ff., insbes. 57 Fn. 1.
[4] Vgl. W. Wagner, Die Wissenschaft des gemeinen römischen Rechts und das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten, in: Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, I, hg. von H. Coing u. W. Wilhelm, Frankfurt am Main 1974, 119 ff., insbes. 140 ff.
[5] Vgl. dazu U. Kühn, Die Reform des Rechtsstudiums zwischen 1848 und 1933 in Bayern und Preußen, Berlin 2000.
[6] Europa und das römische Recht, 4. Aufl., Berlin 1966, 352. Vgl. Verf. S. 146.