Anwalt ohne Recht. Schicksale jüdischer Rechtsanwälte im Bezirk des heutigen Oberlandesgerichts Oldenburg, hg. v. Rechtsanwaltskammer Oldenburg. Isensee, Oldenburg 2007. 222 S. Besprochen von Werner Schubert.
Das Werk über die Schicksale jüdischer Rechtsanwälte im Bezirk des heutigen Oberlandesgerichts Oldenburg ist als Begleitband zur Wanderausstellung „Anwalt ohne Recht“ im Juni/Juli 2007 erschienen und dokumentiert den regionalen Teil dieser Veranstaltung sowie die Ausstellung über „Hans Calmeyer und die Judenrettung in den Niederlanden“. Der Beitrag E. Schürmanns bringt einen Überblick über die geschichtliche Entwicklung in den ehemals preußischen Gebieten der Landgerichtsbezirke Aurich und Osnabrück, die noch 1944 zum OLG-Bezirk Oldenburg kamen. Schürmann beschreibt hier die Einzelheiten der Ausgrenzung und Ausschaltung der jüdischen Rechtsanwälte, wozu der Dokumentenanhang heranzuziehen ist. Abgedruckt ist u. a. im Faksimile eine zeitgenössische Abschrift des Funkspruchs des preußischen Justizkommissars (seit 21. 4. 1933 Justizminister) Kerrl vom 31. 3. 1933 an die preußischen Justizbehörden, mit dem die Entrechtung der jüdischen Rechtsanwälte und Notare begann. Im Vergleich zu den preußischen Landgerichtsbezirken sind die „Besonderheiten“ im früheren Land Oldenburg (hierzu U. Brückner, S. 59-62) nur knapp behandelt, wohl weil dazu bereits hinreichend Literatur vorliegt.
Der Hauptteil des Werkes befasst sich mit den Schicksalen von sieben jüdischen Rechtsanwälten aus den drei LG-Bezirken, mit dem Schicksal eines Gerichtsassessors, der nach seiner Entlassung zunächst als Rechtskonsulent tätig war, sowie mit dem Rechtanwalt Schiff, der als „Halbjude“ zahlreichen Schikanen ausgesetzt war. Die Biographien geben einen ausführlichen Einblick in die Praxis der nationalsozialistischen Unrechtsmaßnahmen gegen die jüdischen Rechtsanwälte. Beispielsweise geht Schürmann auf die Diffamierungskampagne gegen den Osnabrücker Rechtsanwalt Max Netheim ein, die der „Stürmer“ mit einem Hetzbeitrag in der Nr. 20 vom Mai 1933 unterstützte (vgl. das Faksimile S. 135). Im Beitrag über Schiff dokumentiert Brückner ein gegen diesen eingeleitetes Dienststrafverfahren von 1943, das die Strafpraxis der Dienststrafkammer in Oldenburg und des Dienststrafsenats beim Reichsgericht verdeutlicht (S. 97ff.). Für zwei Familien hat Schürmann S. 149 ff. auch deren Emigrantenschicksal recherchiert. Der Beitrag M. Middelbergs (Autor des Werkes: „Judenrecht, Judenpolitik und der Jurist Hans Calmeyer in den besetzten Niederlanden 1940-1945“, Göttingen 2004) befasst sich mit der Rettung von Juden vor der Deportation durch den nicht jüdischen Osnabrücker Rechtsanwalt Calmeyer. Dieser war „Judenreferent“ in den besetzten Niederlanden und hatte sog. Abstammungsverfahren zu entscheiden. Die Anträge, die Calmeyers Dienststelle erreichten, waren, wie inzwischen feststeht, „ganz überwiegend ,falsch’“: „Die unehelichen ,arischen’ Väter waren zumeist frei erfunden. Dokumente und Aussagen gefälscht. Tatsächlich hatte sich im niederländischen Untergrund eine regelrechte Kleinindustrie etabliert, die auf die Herstellung falscher bzw. die Verfälschung echter Urkunden, Kopien, Fotografien etc. spezialisiert war“ (S. 171). Wie weit Calmeyer und seine Mitarbeiter von diesen Täuschungen Kenntnis hatten, ist zwar nicht ganz unumstritten; jedoch dürfte er angesichts der Vielzahl der „gefälschten“ Anträge – zwischen 4.000 und 6.000 der Anträge dürfte Calmeyer zugunsten der Juden entschieden haben – gewusst haben, dass er getäuscht wurde. Damit hat er mehr Juden gerettet, als jeder andere Deutsche während des Zweiten Weltkriegs (S. 185).
Insgesamt ist der Band über die jüdischen Rechtsanwälte im OLG-Bezirk Oldenburg auch von überregionalem Interesse, da er den Überblicksband über die Schicksale jüdischer Rechtsanwälte in Deutschland nach 1933 (hierzu Schubert in diesem Band, S. ...) um wichtige Details ergänzt.
Kiel |
Werner Schubert |