Anwalt ohne Recht. Schicksale jüdischer Anwälte in Deutschland nach 1933, hg. v. Bundesrechtsanwaltskammer. be.bra, Berlin 2007. 412 S. Besprochen von Werner Schubert.
Anwalt ohne Recht. Das Schicksal jüdischer Rechtsanwälte in Berlin nach 1933, hg. v. Ladwig-Winters, Simone/Rechtsanwaltskammer Berlin, 2. Aufl. be.bra-Verlag, Berlin 2007. 309 S., Ill. Besprochen von Werner Schubert.
I. Das Werk über die jüdischen Anwälte in Deutschland seit 1933 geht zurück auf die im Jahre 2000 anlässlich des 63. Deutschen Juristentages in Leipzig eröffnete Wanderausstellung „Anwalt ohne Recht“, die bisher in 23 Orten gezeigt wurde. Ausgangspunkt war eine Ausstellung unter dem gleichen Titel 1998 in Berlin. Das Werk vereinigt Texte und Bilder aus den Einzelausstellungen in den jeweiligen Orten und erinnert an den Beitrag, den die jüdischen Rechtsanwälte für die Rechtspflege und ihr Land geleistet haben. Die Wanderausstellung „Anwälte ohne Recht“ ist auch gezeigt worden in Jerusalem, New York, Los Angeles, Mexico City und in Kanada (Montreal, Toronto, Ottawa und Vancouver). In ihrer Einführung gibt Ladwig-Winters, die Berliner Ausstellungskuratorin, einen Überblick über die Schicksale jüdischer Rechtsanwälte in Deutschland seit 1933. Anfang 1933 waren im Deutschen Reich 9.208 Rechtsanwälte zugelassen, von denen rund 5.000 als „nicht arisch“ angesehen wurden (in Preußen 3.500 nicht arische Rechtsanwälte; S. 10). Die erste Welle der Ausgrenzung betraf im Februar/März 1933 terroristische Übergriffe insbesondere gegen Gegner des Nationalsozialismus unter den Rechtsanwälten. Im April 1933 verloren alle jüdischen Rechtsanwälte zumindest in Preußen ihre Zulassung. Wieder zugelassen wurden die Anwälte, deren Zulassung bereits vor 1914 bestanden hatte (Altanwälte), oder die am Ersten Weltkrieg teilgenommen hatten (Frontkämpfer) oder deren direkte Angehörige im Weltkrieg gefallen waren (vgl. das Gesetz vom 7.4.1933, RGBl. I 1933, S. 188; hierzu demnächst die Aufzeichnung über die Besprechung des Reichsjustizministeriums mit den Vertretern der Justizministerien der Länder [u. a. Frank, Kerrl, Freisler] im BA Berlin, R 3001, 4394; hrsg. vom Werner Schubert). Die Ausnahmeregelungen führten dazu, dass der größere Teil der jüdischen Anwälte zunächst die Wiederzulassung erlangte. Im November 1938 wurden alle noch tätigen Anwälte jüdischer Herkunft mit einem Berufsverbot belegt. Einige wenige von ihnen konnten zunächst als „Konsulenten“ für die rechtliche Beratung und Verteidigung ausschließlich von Juden weiterarbeiten.
Das Werk dokumentiert im Hauptteil das Schicksal der Rechtsanwälte jüdischer Herkunft in Berlin (hierzu auch das Werk unter 2.) und in 23 anderen Gerichtsbezirken. Begleitet wurden die Wanderausstellungen oft von eigenen Publikationen, die im Einzelnen S. 21ff., 409 nachgewiesen werden. Das reich bebilderte Werk besteht im Wesentlichen aus Kurzbiographien von Anwälten aus den Ausstellungsbezirken. Ein Teil der Beiträge bringt vor den Kurzbiographien einen Überblick über das Schicksal der jüdischen Rechtsanwälte in den betreffenden Amtsgerichtsbezirken, Landgerichtsbezirken oder Oberlandesgerichtsbezirken und ein vollständiges Verzeichnis für die dort 1933 zugelassenen Rechtsanwälte jüdischer Herkunft (S. 64ff. für Leipzig, S. 70f. für den LG-Bezirk Darmstadt, S. 94ff. für den OLG-Bezirk München, S. 124ff. für Hannover, S. 136ff. für Stuttgart, S. 162 für Mecklenburg, S. 176 für Potsdam, S. 203ff. für Hamburg, S. 290ff. für Köln, S. 328f. für Dresden, S. 340f. für Kassel und S. 362 für Mainz). Hingewiesen sei auf folgende Kurzbiographien: Der Berliner Teil des Werkes weist auf die bedeutenden Strafverteidiger Erich Max Frey, Max Alsberg und Rudolf Olden sowie auf Julius Magnus (1887-1944), den langjährigen Schriftführer der Juristischen Wochenschrift. Magnus war noch bis zum allgemeinen Berufsverbot 1938 tätig und wurde 1943 in den Niederlanden verhaftet und über Bergen-Belsen nach Theresienstadt deportiert, wo er vermutlich verhungerte (S. 41f.). Zu den Berliner Rechtsanwälten gehörte auch Ernst Fraenkel, der in der Emigration das bedeutende Werk: „The Dual State“ („Der Doppelstaat“) schrieb und 1951 nach Berlin zurückkehrte (S. 47f.). Für den OLG-Bezirk München, wo von den 225 Rechtsanwälten zunächst 70% Ende 1933 ihre Wiederzulassung erlangten, sei Max Hirschberg erwähnt, der aufgrund seines Auftretens in aufsehenerregenden Gerichtsverfahren (Fechenbachprozess [1922], Dolchstoßprozess [1925]) überregional beachtet wurde und 1934 über die Schweiz und Italien in die USA emigrierte. 1960 erschien seine Untersuchung: „Das Fehlurteil im Strafprozess. Zur Pathologie der Rechtsprechung“ (S. 111f.). Aus dem OLG-Bezirk Potsdam stammt der spätere Justizminister des Landes Brandenburg Ernst Stargardt (zunächst Rechtsanwalt, in der Weimarer Zeit Staatsanwalt am LG-Potsdam). Da er in einer „privilegierten Mischehe“ lebte, blieb er von den Deportationen verschont. 1950 floh er, da er seine Vorstellungen von einer rechtsstaatlichen Justiz und Politik in der DDR nicht durchsetzen konnte, nach West-Berlin (S. 193f.). Von Hellmuth Klemperer (Rechtsanwalt am LG Chemnitz) ist der Brief, den er im Mai 1933 an das sächsische Justizministerium schrieb, abgedruckt, in dem er u. a. schrieb, er habe „nichts dagegen einzuwenden, dass Sie mich aus der deutschen Anwaltschaft ausschließen; ich befinde [mich] da in so ausgezeichneter Gesellschaft, dass ich Mühe haben werde, mich ihrer würdig zu zeigen“ (S. 236). Für den OLG-Bezirk Kiel sei Rudolf Katz (1895-1961) genannt, der 1946 nach Deutschland zurückkehrte und 1947 Justizminister des Landes Schleswig-Holstein wurde (1948 Präsident des OLG Schleswig, 1951 Richter am Bundesverfassungsgericht, dessen Vizepräsident er auch noch wurde). Der Beitrag für den OLG-Bezirk Köln berücksichtigt auch prominente jüdische Juristen, die nicht der Anwaltschaft angehörten, so den späteren Literaturwissenschaftler Hans Mayer, der noch 1933 das zweite juristische Staatsexamen in Berlin ablegte, Hans Kelsen, den OLG-Rat Hans Walter Goldschmidt (1881-1940), ao. Prof. an der Universität Köln mit Lehraufträgen (S. 269). Der Kölner Justizrat Eugen Siegfried Löwenstein (1871-1942) war der Vater von Hilde Domin, einer der bedeutendsten deutschen Lyrikerinnen des 20. Jahrhunderts (S. 282f.). Die Rechtsanwaltschaft in Frankfurt/Main verfügte mit Hugo Sinzheimer und Ernst Saenger über zwei herausragende Hochschuldozenten und Wissenschaftler (S. 317ff.). Am OLG Dresden war James Breit zugelassen, der durch zahlreiche Veröffentlichungen zum Handels- und Steuerrecht bekannt geworden war. Besonderes Augenmerk legt das Werk auf die Schicksale jüdischer Rechtsanwältinnen. Hingewiesen sei auf die erste preußische Rechtsanwältin Margarethe Berent, von der die auch heute noch beachtete Dissertation stammt: „Die Zugewinnstgemeinschaft der Ehegatten“ (Breslau 1915). Berent war nach dem Verlust der Zulassung zur Anwaltschaft noch bis 1939 bei der „Central Welfare Agency of German Jews“ in Berlin und Köln tätig und emigrierte über die Schweiz, Italien und Chile nach New York, wo sie in der Rechtsabteilung der Stadt New York von 1953 bis 1959 arbeitete (S. 384f.).
Wenn auch mit dem Werk über das Schicksal der jüdischen Rechtsanwälte in Deutschland ein Großteil der OLG- und LG-Bezirke erfasst sind, so fehlen insbesondere noch Dokumentationen über die jüdischen Rechtsanwälte in den OLG-Bezirken von Breslau, wo bereits am 11. 3. 1933 die ersten umfangreicheren Terrormaßnahmen gegen jüdische Rechtsanwälte und Richter stattfanden, von Königsberg, Marienwerder und Stettin. Bedauerlich ist, dass das Werk kein Namensregister aufweist.
II. Der bereits 1998 im Zusammenhang mit der Berliner Ausstellung in erster Auflage erschienene, von Ladwig-Winters und der Rechtsanwaltskammer Berlin nunmehr in 2. Auflage herausgegebene Band über das Schicksal der jüdischen Rechtsanwälte in Berlin dokumentiert in Einzelbeiträgen das Schicksal von 1.807 Rechtsanwälten und Rechtsanwältinnen, womit 98,5% aller Anfang 1933 in Berlin (Stadtgebiet) zugelassenen jüdischen Anwälte erfasst sind. In die Neuauflage wurden 175 Personen zusätzlich aufgenommen, wogegen 50 Personen herausfielen, die 1933 nicht (mehr) als Rechtsanwälte zugelassen waren. Bei 403 Personen beschränken sich die Angaben auf den Namen, die Anschrift der Praxis und die berufsspezifischen Ereignisse im Jahre 1933. Bei 1.404 Personen waren Angaben über das weitere Schicksal in Erfahrung gebracht worden. 694 Anwälte jüdischer Herkunft und damit ein gutes Drittel von ihnen wurde 1933 nicht mehr neu zugelassen (vor allem die Anwälte der Jahrgänge ab 1902). Mit 1.168 Anwälten lag die Zahl der im Oktober 1933 noch zugelassenen jüdischen Anwälte deutlich über der von den Machthabern politisch angestrebten Zahl von 35 Anwälten (S. 99). Zu berücksichtigen ist, dass dem überwiegenden Teil der jüdischen Anwälte das Notariat entzogen wurde, was mit der Beamteneigenschaft der Notare zusammenhing. Als 1938 das Berufsverbot grundsätzlich die gesamte jüdische Rechtsanwaltschaft betraf, waren in Berlin mindestens noch 671 jüdische Anwälte tätig. 769 Rechtsanwälten gelang es, Deutschland rechtzeitig zu verlassen; 30% von ihnen gingen in die USA. 299 Berliner jüdische Anwälte kamen durch die nationalsozialistische Verfolgung ums Leben, die Gruppe der Überlebenden (in Berlin oder in einem Lager) umfasst 107 Personen (7,6% der Gesamtzahl). 56 der ausgewanderten Anwälte kamen nach 1945 wieder nach Deutschland zurück. Anders als der überregional orientierte Band enthält der Band für die Berliner jüdischen Rechtsanwälte einen umfangreichen einführenden Teil (S. 21-102), der zahlreiche Einzelschicksale in die Systematik der nationalsozialistischen Ausgrenzung einordnet. Auch dieser Teil wurde überarbeitet und erweitert, so der Abschnitt über die „Konsulenten“ (S. 71), von denen 91 erfasst werden (40% von ihnen wurden ermordet). Von 19 Anfang 1933 zur Rechtsanwaltschaft zählenden Frauen wurde nur Hanna Katz wieder zugelassen, da sie Deutschland in dem Vorstand der International Law Association vertrat. 1938 erhielt sie als einzige jüdische Frau die Zulassung zur „Konsulentin“; sie konnte 1941 noch in die USA auswandern (S. 59f., 72, 192f.). 1964 erlangte sie unter Befreiung von der Residenzpflicht in Berlin wieder die Zulassung zur Anwältin (verstorben 1982 in New York). Beschrieben sind ferner u. a. die Schicksale von Fritz Ball (anhand eines Berichts über seine Verhaftung im März 1933, S. 37ff.), von James Yaakov Rosenthal und Bruno Blau (mit Berichten über die gesetzlichen und bürokratischen Maßnahmen von Ende März 1933 an), von Alexander Coper, der in einer sog. „privilegierten Mischehe“ bis Anfang 1944 lebte und die Lagerzeit in Theresienstadt überstand (S. 94f.), von Ernst Wolff, der nach Großbritannien emigrierte und 1948 Präsident des Obersten Gerichts für die Britische Zone wurde (S. 93, 284), und von Hans Litten, der sich 1938 im KZ Dachau das Leben nahm (S. 85, 213f.).
III. Beide Bände dokumentieren zusammen mit den weiteren regionalen Gedenkschriften den schmerzlichen, bis heute spürbaren „Verlust an intellektueller Größe. sprachlicher Brillanz und menschlicher Vielfalt“ (S. 19 des zuletzt beschriebenen Bandes), den Deutschland mit der Vertreibung und Ausgrenzung der jüdischen Rechtsanwälte insbesondere in Berlin und in weiteren Großstädten wie Hamburg, München, Frankfurt und Leipzig erlitten hat. Den sehr anschaulich gestalteten Dokumentationen ist – auch in den rechtshistorischen Lehrveranstaltungen – weite Verbreitung zu wünschen.
Kiel |
Werner Schubert |