Weber,
Reinhard,
Das Schicksal der jüdischen Rechtsanwälte in Bayern nach 1933, hg. v.
Bayerisches Staatsministerium der Justiz, Rechtsanwaltskammern München,
Nürnberg und Bamberg, Pfälzische Rechtsanwaltskammer Zweibrücken. Oldenbourg,
München 2006. IX, 323 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Ziel
des Werkes ist es nach dem Vorwort der Herausgeber, das Einzelschicksal der
jüdischen Rechtsanwälte in Bayern nach 1933 so weit wie möglich zu
dokumentieren und damit das Leid und die Not aufzuzeigen, die damals die
jüdischen Rechtsanwälte und ihre Familien getroffen haben. Dafür ist der Autor
als Historiker und Archivar in besonderer Weise prädestiniert., da er sich als
Referent für Zeitgeschichte bei dem Staatsarchiv München während seiner
gesamten Berufstätigkeit mit der Zeit des Dritten Reiches befasst, die
Erinnerungen des Münchener jüdischen Rechtsanwalts Dr. Max Hirschberg
bearbeitet und den Münchener Teil für die Wanderausstellung Anwalt ohne Recht
des deutschen Juristentags und der Bundesrechtsanwaltskammer erstellt hat.
Unter größtmöglicher Sorgfalt ist ihm die Erreichung seines Zieles in
eindrucksvoller Weise gelungen.
Er
beginnt seine Darstellung mit einer Geschichte der jüdischen Rechtsanwälte in
Bayern bis 1933 und weist bereits in der Einleitung darauf hin, dass der Anteil
der Juden an der Gesamtbevölkerung des Deutschen Reiches zwischen 1871 und 1933
von 1,05 Prozent auf 0,76 Prozent sank, dass sich aber seit Einführung der freien
Advokatur der Beruf des Rechtsanwalts zum klassischen Beruf für jüdische
Akademiker entwickelt hatte, so dass beispielsweise in Berlin 1933 54 Prozent
und in Preußen 28 Prozent der Rechtsanwälte Juden waren. In Bayern, wo 1834 mit
Sigmund Grünsfeld in Fürth der erste jüdische Advokat ernannt worden war, waren
1869/1870 mindestens 18 von rund 330 Advokaten jüdischer Herkunft, 1901 152 von
845 und 1933 etwa 440 von 2431, wobei das stetige Wachsen der Anwaltschaft vom
Verfasser als einer der Gründe für die Virulenz antisemitischer Strategien
hervorgehoben wird.
Auf
dieser Grundlage wendet der Verfasser sich der Machtübernahme der
Nationalsozialisten und ihren Folgen für die jüdischen Rechtsanwälte in Bayern
zu. In Bayern führte sie zur Verordnung des Gesamtministeriums des Freistaats
Bayern über die Rechtsanwälte vom 27. März 1933. Nach ihrem § 1 wurden die
bestehenden Anwaltskammervorstände aufgelöst und nach ihrem § 2 durften
Rechtsanwälte als Konkursverwalter, Vertrauenspersonen, Nachlasspfleger, Nachlassverwalter,
Vormünder und ähnliches nur im Einvernehmen mit dem Justizministerium bestellt
werden. Reichsweit wurde für den 1. April 1933 ein Boykott jüdischer
Warenhäuser, Ärzte und Rechtsanwälte angeordnet und am 7. April 1933 ein Gesetz
über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft erlassen, nach dem nur 312 von 440
jüdischen Rechtsanwälten (70,9 Prozent) einstweilen in ihrem Beruf verbleiben
konnten.
Ab
Herbst 1933 wurden die antisemitischen Maßnahmen noch verstärkt fortgesetzt.
Als Folge emigrierten zwei Drittel der Betroffenen (1933 60, 1934 18, 1935 21,
1936 29, 1937 17, 1938 50, 1939 88, 1940 5, 1941 5) nach Frankreich, Holland,
in die Schweiz, nach Lateinamerika, Großbritannien, Palästina und (etwa die
Hälfte) in die Vereinigten Staaten von Amerika, 74 fielen dem Holocaust zum
Opfer. Einige wenige (rund 6 Prozent der ehemaligen bayerischen jüdischen
Rechtsanwälte) kehrten trotz bestehender Vorbehalte nach 1945 nach Bayern
zurück.
Nach
diesem grundlegenden Überblick bietet der Verfasser so erschöpfend wie möglich
eine Dokumentation über die einzelnen (460) jüdischen Rechtsanwälte. Sie ist
nach Oberlandesgerichten und danach alphabetisch von Julius Adler in Würzburg
bis Friedrich Heinrich Wolf in Zweibrücken geordnet. In den meisten Fällen ist
sie durch Fotos der Betroffenen individuell illustriert.
Eine
weiterführende Bibliographie und ein Personenregister des Darstellungsteiles
runden den Band ab. Er ist ein beängstigendes Dokument des Schreckens und
Grauens und schließt eine bisher bestehende wesentliche Lücke der bayerischen
und deutschen Rechtsgeschichte. Möge er die allgemeine Erinnerung an schuldlose
Opfer und schuldige Täter an vielen Orten und lange Zeit bewahren.
Innsbruck Gerhard
Köbler