Simon, Thomas, „Gute Policey“.
Ordnungsleitbilder und Zielvorstellungen politischen Handelns in der frühen
Neuzeit (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 170). Klostermann, Frankfurt
am Main 2004. XIV, 604 S. Besprochen von Wilhelm Brauneder.
Simons
Habilitationsschrift beschreibt „den Wandel der politischen
Ordnungsvorstellungen“, deren Einfluss auf „die Tätigkeit einer zentralen
Steuerungsinstanz“ sowie die ihr obliegenden „Steuerungsaufgaben“ (4). Der
zeitliche Rahmen reicht von der Entstehung eines „säkularen politischen Diskurs
gelehrter Provenienz“ im Hochmittelalter bis um 1750, da sich nun „eine ganz
neuartige Perspektive“ eröffnet, nämlich die Kategorie einer vom Staate unabhängigen
„Gesellschaft“ (5f.). Die Darstellung erfolgt „anhand der politischen
Fachliteratur“ (4), konkret nach dem „Schrifttum“ der „mittelalterlichen und
frühneuzeitlichen Politiklehre“ (5). „Die Beschreibung der Herrschaftsfunktionen
im frühen Mittelalter“ (9ff.), der erste Mittelalter-Abschnitt, bringt daher,
als Beispiel genommen, keinen Teil empirischer Verfassungsgeschichte, sondern
berichtet über entsprechende Aussagen in der Literatur, beginnend mit „De duo decim abusivis saeculi“ eines
„Pseudo-Cyprian“ um 650 (9).
Das
derart sachlich und zeitlich eingegrenzte Thema wird in vier chronologisch
bestimmten Teilen abgehandelt, deren Umfang sowohl für den historischen
Entwicklungsstand wie die davon abhängige Schwerpunktsetzung charakteristisch
ist. Der Teil „Mittelalter“ umfasst etwa 80 Seiten, der nachfolgende, dem 16.
Jahrhundert gewidmet, rund 100 Seiten, der dritte „17. Jahrhundert: Politisches
Denken unter dem Paradigma der Machtsicherung und -ausdehnung“ knapp 200 Seiten
und schließlich das 18. Jahrhundert etwa 180 Seiten.
Der
Mittelalter-Teil beschreibt die Basis der folgenden Entwicklung, denn „in
dieser Zeit brachte das politische Denken die Grundelemente der theoretischen
Deutung des menschlichen Gemeinwesens und seiner Steuerung hervor“ (28). Mit
dem Dualismus Staat (civitas) und
Kirche wurden ersterem bestimmte Ordnungsziele, und zwar neue gegenüber dem
frühen Mittelalter, zugeordnet (35ff.), damit auch neue Handlungsmittel (47),
nämlich die Gesetzgebung (52ff.), deren Lehre nun „einen ganz neuartigen Akzent
in der politischen Theorie dar(stellt)“ (53). Diese erhebt sie zur „zentralen
politischen Handlungsform“ (55). Die entsprechend entwickelte „scholastische
Gesetzgebungslehre“ (z. B. 563) bleibt vorerst auf den oberitalienischen
Städtebereich beschränkt, Deutschland davon unberührt (89). Hier bestimmt das Schützen
und Bewahren, nicht das Gestalten die Theorie (91ff.). Die deutschen
„Regimentstraktate“ („Regierungshandbücher“) des 16. Jahrhunderts ordnet Simon
im Wesentlichen noch den mittelalterlichen Quellen zu, so auch die „Bedenken“
Osses, wenngleich der Bezug zur Landesherrschaft („territorialstaatliche
Praxis“: 98) stärker geworden sei. Mit dem Begriff der „guten Policey“ tritt
allerdings ein aktives Element auf den Plan, nämlich die den ebenso benannten
Zustand herstellende „herrschaftliche Tätigkeit“; Simon setzt dies mit dem „dirigere“, „ordinare“, „disponere“ der
scholastischen Fürstenspiegel gleich, die damit eine „eigenständige
Staatsfunktion“ umrissen hatten (111). „Policey“ tritt so neben die individuell
ausgerichtete Justiz-Tätigkeit als aktive Befassung mit der „Ordnung des
politischen Systems“ (112). Damit ist die Basis für die wohl zentralen Teile
der Arbeit gelegt, das 17. und das 18. Jahrhundert. Eine Nacherzählung kann nun
nicht Aufgabe des Rezensenten sein. Simon befasst sich für das 17. Jahrhundert
u. a. mit den einzelnen „Ordnungsfeldern“ (253ff.) wie „Religion und Recht“,
„Rüstung und Militär“ sowie „Finanz- und Wirtschaftspolitik“, sodann mit der
„Erhöhung der Steuerungsbedürftigkeit“ der politischen Systeme (307ff.) und
schließlich der „Autonomie der Politik“ (341ff.) mit vor allem der
„Unterscheidung zwischen Policey- und Justizsachen“ (355ff.). Hier verlässt die
Arbeit punktuell ihren wissenschaftsgeschichtlichen Charakter und beschreibt
eine institutionelle Folge der Theorie: das Entstehen neuer Behörden für den
Bereich der Policey wie vor allem den „Geheimen Rat“ als Neuerung gegenüber dem
bisher eher justiziell ausgerichteten Hofrat oder dem Hofgericht (356). Diese knappen
Ausführungen eröffnen einen ganz wesentlichen Aspekt, der später zur
Status-Lehre (s. sogleich) noch einmal anklingt: Inwieferne und inwieweit
wurden die theoretischen Erörterungen umgesetzt, z. B. in der konkreten
Gesetzgebung oder in der Staatsorganisation. Simon erläutert die Trennung von
Justiz und Policey weiters anhand gerichtlicher Kompetenzabgrenzungen, wobei er
erst für das 18. Jahrhundert, „aber immer noch in auffallend geringer Zahl“,
Fälle vorführt, in denen die Erwägung eine Rolle spielt, „ob es sich um eine
Policey- oder Justizsache handele“; freilich anders dort, wo „das
Reichskammergericht keinerlei Durchsetzungschance hat“ wie etwa in Preußen (367f.).
Vor allem aber tritt neben die „gute Policey“ ein neues Kriterium, nämlich „der
status als der Inbegriff der
fürstlichen Macht“ (564): Er verlangt Machtmittel, konkret Militär und Geld. So
ist denn das 18. Jahrhundert geprägt von einer „Politik als Technik zur
Stärkung des nervus gerendarum“, was
zur Erörterung der politischen Ökonomie des Kameralismus führt (381ff.). Dieser
letzte Teil beschäftigt sich mit den Erscheinungsformen des Merkantilismus –
Becher, Schröder, Hörnigk – und des Kameralismus: Seckendorff, Justi vor allem.
Dazu werden abschließend vorgeführt die „Erhöhung des Steuerungsbedarfs“ (533ff.)
sowie die „Thematisierung des Steuerungsproblems in der kameralistischen
Literatur“ (546ff.). Diese letzte Kapitel-Überschrift signalisiert nochmals,
was Anliegen der Arbeit war: die Verfolgung der Thematik in ihren literarischen
Niederschlägen. Auch die knappe „Zusammenfassung“ (563–566) erweist dies in
ihrer Art – Fürstenspiegel, Regimentstraktate, Politikprogramme,
Handlungsprogramme. Das Resümee: Nur die größeren Territorien konnten die neuen
Theorien der Status-, d. h. Machtsteigerung umsetzen, den kleineren blieb „die
traditionelle Lehre von der guten Policey“ maßgebend, „das dynamische, die
Steuerungsfunktion ständig aufwertende Element des politischen Denkens“ kam
freilich nicht aus dieser Lehre, sondern aus jener zur ratio status (566). Nicht allein die „gute Policey“ des Titels
bestimmte also die „Ordnungsleitbilder und Zielvorstellungen politischen
Handelns“ des Untertitels.
Die
Arbeit besticht abgesehen sowohl von ihrer Quellenfundierung wie der
Verarbeitung der Sekundärliteratur vor allem durch ihre Zwischen- und Endanalysen,
sozusagen durch ein reflektierendes und kategorisierendes Innehalten, durch
Markieren von Veränderungen wie Hinweisen auf fortlaufende Traditionen. Klar
und nachvollziehbar treten so die Entwicklungsstränge an sich und in ihrem
Verhältnis zueinander vor den Leser.
Wien Wilhelm
Brauneder