Schützeichel, Rudolf, Althochdeutsches Wörterbuch, 6. Aufl. überarb. und um die Glossen erweitert. Niemeyer, Tübingen 2006. 443 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Hir maht thv lernan gvl[d] bewervan welog inde wi[s]dvom sigi[nvnft inde ruom], diese Kölner Inschrift stellt Rudolf Schützeichel der sechsten Auflage seines 1969 erstmals erschienenen althochdeutschen Wörterbuchs voran. Wer bewervan verstehen will, muss es freilich erst unter werban suchen und finden. Danach kann er verstehen, dass es dem gegenwärtigen Meister des Althochdeutschen um Gold, Reichtum, Weisheit, Sieg(espalme und Ruhm [durch Althochdeutsch]) zu gehen scheint.

 

In dankbarer Erinnerung an 15 große und ihm nahe Geisteswissenschaftler offenbart er sein Verantwortungsbewusstsein durch strikte Beachtung der zugrunde liegenden philologisch-historischen Prinzipien, in der gebotenen Distanzierung zu gleich oder ähnlich benannten, in Wahrheit pseudophilologischen Sammlungen (bzw. benutzerfreundlichen althochdeutschen Wörterbüchern), in der strengen Bindung an die Textüberlieferung und in der Berücksichtigung ihrer beständig fortschreitenden, nicht zuletzt auf seiner beeindruckenden Tatkraft beruhenden Erforschung. Dass er sich dabei selbst ständig korrigiert, schreckt ihn kaum. Was ihm für die erste Auflage selbverständlich schien, braucht in der sechsten Auflage genauso selbverständlich keine Geltung mehr zu haben.

 

Das entscheidend Neue der sechsten Auflage des Wörterbuches ist die durch das von Starck/Wells vorgelegte Althochdeutsche Glossenwörterbuch und eigene Mühe leicht möglich gemachte Einbeziehung der althochdeutschen Glossen. Sicherlich sind 27000 Wortartikel aus über 250000 in fast 1300 Handschriften in vierzigjähriger Arbeit (mit zahllosen Helfern) ermittelte Wortartikel eine große Leistung. Ermittelt haben die Glossen in den Handschriften aber Elias Steinmeyer und viele andere, lemmatisiert haben die Belege Starck und Wells und allenfalls überprüft und neu dargestellt hat sie Rudolf Schützeichel, der über die Leistungen Schulfremder, auf die er sich stützt, kein Wort (der Anerkennung) verliert.

 

Die Glossenwörter ergänzen die 12000 Wortartikel der literarischen Denkmäler um mehr als das Anderthalbfache. Diese Zahlenangaben sind hilfreich, weil sie die Bedeutung des literarischen Wortschatzes des Althochdeutschen relativieren. Besonders genau erscheinen sie für einen Meister nicht, wie auch die nackte Quellensigle SchG. für die Glossenwörter am Schluss der Siglenangabe dem Leser nur eine Krume vom Brot gibt.

 

Wo die Entsprechung eines durch die Glossen gesicherten Ansatzes in den literarischen Denkmälern fehlt, hat sich der Meister zu einem Spitzklammeransatz durchgerungen. Er gewährleistet ihm (anscheinend vor allem für die Glossen), dass eine Verwechslung mit tatsächlich überlieferten und sicher festgestellten Wörtern ausgeschlossen ist. Er hat lediglich Ordnungsfunktion, die notwendig ist, was andere längst vorher erkannt und durch einheitliche Normalisierungen zu Gunsten des Nutzers verwirklicht haben.

 

Darüber hinaus sind der sechsten Auflage in bewährter Manier ein paar neue Scheibchen Althochdeutsch zugemessen worden, deren Einbeziehung durch andere vermutlich zu ihrer ewigen Verdammung geführt hätte. So gibt es jetzt im Althochdeutschen einen Admonter Segen, eine Bülacher Liebesinschrift, einen Engelberger Segen, ein Sankt Gallener Johannesfragment, einen Sankt Gallener Haussegen, Notkers althochdeutschen Computus, ein Sankt Pauler Lukasfragment und einen Salzburger Bienensegen. Auch wenn ihnen insgesamt kein allzu großes Gewicht zukommt, grenzen sie die althochdeutschen Texte in Einzelheiten doch neu ab.

 

Am Ende der Einleitung lässt Rudolf Schützeichel den Abtrünnigen noch durch die Trierer Verse wider den Teufel mit den Kolben schlagen, am Schluss des gesamten Werkes behaupten, dass (Kaiserin) Gisela (ihn) viel gelesen habe. Eine eindrucksvolle Lebensleistung, die in kleinen Schritten immer besser wird. Möge es dem Meister vergönnt sein, auch noch ein jedermann leicht nutzbares althochdeutsches Wörterbuch vorzulegen, das (die jugendlichen) Torheiten zu Gunsten der Normalisierung im strikten Alphabet – notfalls auch mit durchgehenden Spitzklammern, wenn es denn unbedingt sein muss – beseitigt, wie man auch durchaus anerkennen muss, dass der Meister, ohne es wirklich offen zu legen, im lebenslangen Lernen fremde Anregungen selbst so genannter Pseudophilologen aufzugreifen in der Lage ist.

 

Innsbruck                                                                                                                   Gerhard Köbler