Schober, Gerhard, Die Anwendung des Reichserbhofgesetzes im ehemaligen Amtsgerichtsbezirk Pfaffenhofen (= Forum Rechtswissenschaften 38). Meidenbauer, München 2007. 159 S. Besprochen von Werner Schubert.
Da über die praktische Umsetzung des Reichserbhofgesetzes (REG) in den unteren Ebenen (Erbhofgerichte, Kreisbauernschaften) nur wenig bekannt ist, ist es zu begrüßen, dass Schober sich dieser Thematik in seiner Regensburger Dissertation für den Amtsgerichtsbezirk Pfaffenhofen/Ilm – für den zweiten Amtsgerichtsbezirk des Landkreises Pfaffenhofen sind die Erbhofakten nicht überliefert – angenommen hat. Mit seinen etwas über 5.000 Bauernhöfen stand der Landkreis Pfaffenhofen in Oberbayern an zweiter Stelle (63% der Einwohner waren in der Landwirtschaft tätig). Bei den Reichstagswahlen im März 1933 stimmten 50,2% der Kreisbewohner (in Gesamtbayern 43,1%) für die NSDAP. 42% aller Höfe des Amtsgerichtsbezirks waren Erbhöfe (in Bayern 27,9%, im Deutschen Reich 21,6%). Hatte der Hof sich am 1. 10. 1933 im Gemeinschaftseigentum von Ehegatten befunden, so konnten diese Höfe in Abänderung des Erbhofgesetzes nach der 1. Durchführungsverordnung zum Erbhofgesetz als Ehegattenerbhöfe in die Erbhofrolle eingetragen werden (im Amtsgerichtsbezirk Pfaffenhofen 85% aller Erbhöfe; S. 70f.). Von 1943 an war die nachträgliche Bildung von Ehegattenerbhöfen zulässig (S. 87ff.; insgesamt 47 Höfe bis 1945). Schober geht zunächst allgemein auf die Durchsetzung der nationalsozialistischen Agrarpolitik näher ein (Entschuldung, Reichsnährstand, Reichserbhofgesetz, S. 42ff.). Obwohl Bayern seit 1919 über kein Anerbengesetz mehr verfügte, war die ungeteilte Gutsübergabe an einen männlichen Übernehmer noch zu Lebzeiten des Bauern im Untersuchungsgebiet „das fast ausnahmslos praktizierte Brauchtum“ (S. 38f.). Hierbei war die freie Bestimmung des Anerben – in der Regel der zur Hofwirtschaft geeignetste Sohn – durch den Hofeigentümer üblich.
Grundlage der Untersuchungen waren die sich im Stadtarchiv
München befindlichen 974 Erbhofakten, in denen sämtliche den Betrieb und das REG
betreffende Vorgänge einschließlich der Gerichtsverfahren verzeichnet sind.
Danach war fast jedes Anwesen von 7,5 ha an als erbhoffähig eingestuft worden,
womit 68,4% der Wirtschaftsfläche des Amtsgerichtsbezirks Pfaffenhofen erfasst
war. Schober behandelt zunächst das Anlegungsverfahren durch das
Anerbengericht (S. 69ff.) und anschließend die Einspruchs- und
Feststellungsverfahren hinsichtlich der Streichung des Erbhofstatus sowie die
Verfahren zur Anordnung dieses Status (S. 75ff.). Während den
Streichungsanträgen nur sehr selten stattgegeben wurde, wurden die Anträge auf
Verkauf von Erbhofgrundstücken, von ganzen Erbhöfen, auf den Abschluss von Pachtverträgen
sowie den Tausch von Erbhofland zu 93% positiv entschieden. Von den 196
Anträgen auf Hofübergabe (vorweggenommene Erbfolge) wurden 191 anerkannt;
allerdings mussten die Altenteiler und die weichenden Erben auf bisher übliche
Leistungen verzichten. Von den 147 Anträgen auf Ausnahme vom Belastungsverbot
wurden 119 Anträge positiv beschieden. Eine Verhängung von Sanktionen
(treuhänderische Wirtschaftsführung; Aberkennung der Bauernfähigkeit) kam nur
selten vor (vgl. S. 128 ff.). Nach Schober verdeutlichen die
ausgewerteten Akten, dass das Anerbengericht Pfaffenhofen seine Beschlüsse „in
eigenverantwortlicher Regie“ gefällt habe und durchaus gegebenenfalls von der
Ansicht der Reichsnährstandsvertretung abgewichen sei. Auch wenn sich die
Lageberichterstattung des Landrats des Pfaffenhofer Landkreises nicht erhalten
hat, lässt sich mit Schober festhalten, dass sich die „lokale
Landbevölkerung“ mit dem REG im Endeffekt abgefunden habe (S. 139; S. 140ff. zu
den wenigen Beschwerdeverfahren). Insgesamt zeichnete sich die Gerichtspraxis
in Pfaffenhofen „durch eine großzügige Auslegung des REG“ aus (S. 148): „Nicht
die Durchsetzung ideologischer Postulate stand für die handelnden Personen im
Mittelpunkt, sondern die Frage nach dem wirtschaftlichen Nutzen für den jeweils
betroffenen Erbhof. Daneben sollte, soweit es ging, auf die übrigen Bedürfnisse
der Bauern Rücksicht genommen werden“ (S. 148). Letzten Endes trug dies, so Schober,
zur „Akzeptanz des Regimes wesentlich mehr bei, als wenn man das REG
,buchstabengetreu’ angewendet hätte“ (S. 148). Insgesamt schließt das kompakt
geschriebene und erfreulich knapp gehaltene Werk eine Lücke in der Aufarbeitung
der Handhabung des REG am Beispiel eines Amtsgerichtsbezirks. Es ist zu
wünschen, dass bald weitere regionale Untersuchungen über die Praxis der
Anerbengerichte folgen, die ein Urteil darüber zulassen, ob und inwieweit sich
die Ergebnisse der vorliegenden Studie verallgemeinern lassen.
Kiel |
Werner Schubert |