Schlinker, Steffen, Fürstenamt und Rezeption. Reichsfürstenstand und gelehrte Literatur im späten Mittelalter (= Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte 18). Böhlau, Köln 1999. LVI, 351 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Es
kann immer vorkommen, dass ein neugebauter Professor Neugebauer nach seiner
Erstberufung eine als Privatdozent gegebene Rezensionszusage infolge der neuen
Aufgaben nicht sofort erfüllen kann. In einem halben Dutzend Jahren sollte dies
aber vielleicht doch möglich sein. Zumindest eine kurze Antwort auf ein Dutzend
Erinnerungen sollte zu den akademischen Selbverständlichkeiten gehören, auf
Grund deren der Herausgeber wenigstens eine späte kurze Beschreibung der guten
Erstlingsarbeit eines jungen Kollegen versucht. Vgl. dazu aber vor allem auch
die vorzügliche Besprechung durch Gunter Wesener in Band 123.
Die
Arbeit ist die im Wintersemester 1997/1998 von der juristischen Fakultät der
Universität Würzburg angenommene, von Dietmar Willoweit betreute und im
Frankfurter Graduiertenkolleg für europäische mittelalterliche und neuzeitliche
Rechtsgeschichte geförderte Dissertation des Verfassers. Es geht ihr um die
Frage der Staatsbildung im Spätmittelalter. Besonderes Gewicht wird dabei der
Untersuchung des Einflusses des gelehrten Rechts beigemessen.
Ausgehend
von dem Begriff der Landesherrschaft, der sich ihm als bloßer Kunstbegriff der
Forschung erweist, beschreibt der Verfasser in seiner gut gewichteten
Einleitung seinen Gegenstand und seinen Aufbau der Arbeit, in der ihm Recht und
Gesetz im Mittelalter keinesfalls deckungsgleich sind, kaum beantwortet werden
kann, was Recht im Mittelalter überhaupt ist, und Einigkeit jedenfalls darüber
geherrscht habe, dass das Recht überwiegend in Beziehung zum Gericht gedacht
werde. Er wolle dem Forschungsdefizit abhelfen, das dadurch entstanden sei,
dass Theodor Mayers Ansatz der Sicherung des Wegs zur Territorialherrschaft und
Landeshoheit durch den fürstlichen Rang nicht weiterverfolgt worden sei. Zu
diesem Zweck untersucht er in kritischer Auseinandersetzung mit Julius Ficker
und Günther Engelbert die enge Verknüpfung zwischen dem Fürstenstand und der
Ausbildung des Staates und das Verhältnis zwischen Fürstenamt, Gerichtsgewalt
und Gesetzgebungsmacht.
Dementsprechend
befasst sich der erste Teil der Arbeit mit den Reichsfürsten. Dabei geht der
Verfasser naheliegenderweise chronologisch vor und beginnt mit der Ausbildung
des Reichsfürstenstands und zwar mit der Reichsaristokratie vor der Ausbildung
des Fürstenstands, den Veränderungen unter Friedrich Barbarossa, den
rechtlichen Grundlagen und den symbolischen Ausdrucksformen. Hieran schließt er
sehr sorgfältig und detailliert 20 einzelne Erhebungen in den
Reichsfürstenstand (Namur, Braunschweig-Lüneburg, Hessen, Savoyen, Jülich,
Geldern, Mecklenburg, Luxemburg, Pont-à-Mousson/Bar, Berg, Kleve, Cilli,
Münsterberg, Holstein, Württemberg, Lucca, Mailand, Mantua, Modena, Chimay) und
acht Anerkennungen ohne ausdrückliche Erhebung (Pommern, Landsberg, Schlesien,
Baden, Tirol/Krain, Genf, Leuchtenberg, Meißen) sowie anhangsweise drei davon
zu scheidende, persönlich ehrende Erhebungen zu gefürsteten Grafen durch die
Erteilung fürstlicher Rechte (Henneberg-Schleusingen, Burggraf von Nürnberg,
Nassau) an und fasst gemeinsame Merkmale und Entwicklungen übersichtlich
zusammen.
Dabei
weist er deutlich darauf hin, dass eine Gemengelage von politischen Gegebenheiten
und rechtlichen Vorstellungen bereits bei den frühen Erhebungen zu erkennen
ist. Die Entwicklung zur Herrschaftsbildung im Reich sei vom Königtum gefördert
worden, weil auch der König selbst seine Rolle erst auf Grund seines
Hausbesitzes ausfüllen habe können und der Kaiser durch die Erhebungen neue
Lehnshoheit über früheres Allodialgut erhalten habe. Allerdings habe die
Verleihung der Fürstenwürde auch den Zusammenhalt eines hochadeligen
Herrschaftsgebiets sichtlich gestärkt.
Im kürzeren
zweiten Teil erörtert der Verfasser Fürstenamt, Gerichtsgewalt und
Gesetzgebungsmacht in der gelehrten Literatur des Spätmittelalters. Hier geht
er zunächst von dem kurz angesprochenen römischen Recht und der ausführlicher
behandelten italienischen Jurisprudenz (Glossatoren, Cinus, Oldradus, Bartolus,
Albericus, Baldus, Paulus de Castro, Alexander Tartagnus, Bartolomaeus
Caepolla, Felinus Sandaeus; Petrus Philippus Corneus, Jason de Mayno) aus. Dem
schließt er die Rechtssetzungsmacht lokaler Gewalten in der Kanonistik an.
Danach
wendet er sich der deutschen Kanzleipraxis zu und erörtert imperium merum, Gerichtshoheit, Reichsfürsten, princeps und Rechtssetzung in den Äußerungen deutscher Fürsten
sowie den Einfluss des römischen Rechts auf die Gesetzgebungskompetenz am
Beispiel territorialer Gesetzgebung. Bei der deutschen Rechtsliteratur stellt
er ausführlicher Alexander von Roes, Marsilius von Padua, Lupold von Bebenburg,
Conrad von Megenberg, Dietrich von Nieheim, Nikolaus von Kues und Peter von Andlau
dar, die insgesamt auf principatus
und nicht auf dominium abstellen, so
dass ihm die hochadelige Herrschaft erst in der Ausformung durch das
römisch-gelehrte Recht ihre durchschlagende Wirkung erhält, wobei die
scholastische Methode die Aufhebung des Widerspruchs zwischen Theorie und
Praxis ermöglicht.
Einigermaßen
kurz geht der Verfasser danach noch auf fünf Fürstenspiegel (Thomas von Aquin,
Aegidius Romanus, Engelbert von Admont, Levold von Northof, Philipp von Leyden)
ein, ehe er auf wenigen Seiten zum Schluss kommt, in dem es nicht wunder nimmt,
dass die Ergebnisse seiner Arbeit den Ergebnissen Jürgen Weitzels zu
Dinggenossenschaft und Recht nicht widersprechen. Insgesamt verbindet sich ihm
die herkömmliche fürstliche Gewalt mit der Machtfülle des antiken princeps zu einem neuen Fürstenbegriff,
mit dem sich in den Territorien derWeg zur Staatlichkeit vollzieht, so dass
ohne die Rezeption des römischen Rechts die Entstehung des modernen Staates
nicht denkbar erscheint. Germanisch-deutsche und römisch-antike
Verfassungsinstitutionen bedingen sich nach dieser auf beeindruckender
Literaturgrundlage ruhenden ansprechenden Arbeit gegenseitig.
Innsbruck Gerhard
Köbler