Rechtswissenschaft und Rechtsliteratur im 20. Jahrhundert. Mit Beiträgen zur Entwicklung des Verlages C. H. Beck, hg. v. Willoweit, Dietmar. Beck, München 2007. XVI, 1265 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Unter
den Menschen gibt es bekanntlich Theoretiker und Praktiker. Den einen fällt
etwas ein und die anderen machen etwas daraus. Wenn beide zueinander finden,
kann sich eine für viele nützliche Symbiose entwickeln.
Seit
1763 verlegt die aus Sachsen nach Schwaben und Bayern gelangte Familie Beck
Texte als Bücher. Seit dem 19. Jahrhundert hat sie sich mehr und mehr auf das
Recht konzentriert. Im Ergebnis ist sie im Laufe des 20. Jahrhunderts zu einem
führenden Verleger juristischer Schriften in Europa geworden.
An
dieser beeindruckenden Entwicklung hat Hans Dieter Beck maßgeblichen Anteil.
Deswegen ist im Zuge gelungener unternehmerischer Imagepflege zu seinem 75.
Geburtstag am 9. April 2007 eine umfangreiche, rostrot gehaltene Festschrift
mit goldenen Lettern erschienen. Unter dem Präsidenten der bayerischen Akademie
der Wissenschaften als Herausgeber geht es ihr um Rechtswissenschaft und
Rechtsliteratur im 20. Jahrhundert mit – weil das eine ohne das andere in der
Gegenwart nicht mehr wohl denkbar ist – Beiträgen zur Entwicklung des Verlages
C. H. Beck, wobei an dieser Stelle naturgemäß nicht auf die überwältigende
Vielzahl detaillierter Erkenntnisse und subjektiver Nachrichten eingegangen
werden kann.
Mehr
als 50 Autoren von Christian Calliess bis Wolfgang Zöllner, überwiegend
Professoren in Berlin, Bonn, Frankfurt am Main, Freiburg im Breisgau, Gießen,
Göttingen, Heidelberg, Hamburg, Jena, Kiel, Mannheim, Marburg, München,
Münster, Regensburg, Saarbrücken, Tübingen, Würzburg und Zürich, hat der
Herausgeber um den Verleger geschart. Nach einem Überblick des Herausgebers
über hundert Jahre Rechtswissenschaft behandeln sie die (neun) großen
Rechtsgebiete und einzelne exemplarische Werke, ehe abschließend die
elektronischen Medien angesprochen werden. Neuere Entwicklungen des Verlages
aus der Feder des Verlegers beschließen den durch Verzeichnisse im Eingang und
Ausgang abgerundeten eindrucksvollen Band.
Im
Bewusstsein der großen Schwierigkeit seiner Fragestellung bietet Dietmar
Willoweit eine Studie über hundert Jahre Rechtswissenschaft. Er geht dabei von
der Tatsache aus, dass auch die Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts erst 1992
durch Karl Kroeschell einen ersten Überblick erlangt hat. Als Grund dafür
vermutet er, dass Juristen ihre Aufgaben und Probleme als solche eines im
Prinzip gleich bleibenden Rechtssystems begreifen, nicht als Folge
rechtsgeschichtlich diagnostizierbarer Entwicklungsprozesse, so dass er wegen
fehlender umfassender Vorarbeiten in vieler Hinsicht Neuland betreten muss.
Für
seine Untersuchung bildet er Typen und Funktionen juristischer Literatur. Statt
einer zu erwartenden Zweigliederung in Typen und Funktionen teilt er jedoch in
Vermittlung der Gesetzgebung, Typen der Erläuterung und Kommentierung, Systematisierung
von Lehrbüchern, didaktische Literatur für Studierende und Laien sowie das
Handbuch ein. Abschließend wendet er sich den Autoren zu.
Bei
der Vermittlung der Gesetzgebung geht es auch um den Brückenkopf, mit dessen
Hilfe der Verlag seinen Siegeszug in der Rechtswissenschaft begonnen hat.
Ausgehend von kleinen handlichen Textausgaben sind die großen Loseblattausgaben
durch Sartorius (1903) und Schönfelder (1931) zum Kennzeichen vieler deutscher
Juristen geworden, bis in der Gegenwart die nachlassende Lust zum Einordnen von
Nachlieferungen in die Loseblattwerke ihren Glanz zu trüben begonnen hat.
Längst ist diese Einbuße aber durch die erst zahlreichen oder bereits zahllosen
gebundenen dtv-Ausgaben der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg wieder wettgemacht.
Bei
den Typen der Erläuterung und Kommentierung stehen sich schlichte Erläuterung
des Gesetzeswortlauts und systematisierende Durchdringung der ins Unendliche
wachsenden Entscheidungen und Meinungen gegenüber. Als wichtigen Wendepunkt
hebt Dietmar Willoweit zu Recht den professionalisierenden Kommentar Adolf
Baumbachs zur Zivilprozessordnung im Jahre 1924 hervor, der an den Verlag
freilich nur durch den nicht lange vorhersehbaren Erwerb des jüdischen Verlags
Liebmann am 12. 12. 1933 gelangt ist. An Großkommentare hat sich der Verlag
erst nach langjährigen Erfolgen seiner Kurzkommentare gewagt, ohne dass ihnen
bisher gleichwertiger Ruhm beschieden zu sein scheint.
Bei
den frühen Lehrbüchern erscheint zwischen Friedrich Endemann und Ludwig
Enneccerus auch ein nicht näher bekannter Zwitter. Durchschlagenden Erfolg
haben aber erst die von Walter Mallmann in seiner Lektorenzeit ins Leben
gerufenen Kurzlehrbücher bereits vorher bekannt gewordener Professoren (z. B.
Hueck, Kern, Lange, Lent, Maunz, Mezger, Mitteis, Molitor) unmittelbar nach dem
zweiten Weltkrieg erzielt, mit denen der Verlag rasch eine führende Stellung im
Lehrbuchbereich erringen konnte. Demgegenüber haben große Lehrbücher nur in
einigen Rechtsgebieten den Rang von Standardwerken (Forsthoff, Larenz, Baur,
Rosenberg) erreicht.
Durchgesetzt
werden konnte die Idee des Handbuchs. Sie hat zwar schon frühe Vorläufer. Ihre
eindrucksvolle Vervielfältigung hat aber erst mit Günter Schaubs 1972 erstmals
vorgelegtem Handbuch des Arbeitsrechts begonnen, in dessen Nachfolge es viele
von Rechtsanwälten organisierte praktische Handbücher nahezu für jeden
Rechtsgegenstand gibt.
Hinsichtlich
der Autoren weist Dietmar Willoweit auf Grund umfangreicher Studien von
Verlagsunterlagen darauf hin, dass anfangs die Findung von Nachfolgern für
erfolgreiche Werke sich als ziemlich schwierig erwiesen hat, weshalb die
Verlagspolitik zu Kooperationen in Teams mit innerteamlicher Nachfolge neige.
Die Verfasser rekrutierten sich zunehmend nicht mehr nur aus Professorenschaft,
Richterschaft und Beamtenschaft, sondern auch aus der um Bekanntheit ringenden
Rechtsanwaltschaft. Damit habe die Rechtswissenschaft den Charakter einer
ausschließlich akademischen Disziplin verloren.
Von
diesen allgemeinen, vielfach mit Beispielen aus dem Verlag veranschaulichten
Darlegungen aus behandelt Dietmar Willoweit das Profil des Verlages C. H. Beck
im 20. Jahrhundert. Er gliedert seine Darstellung streng chronologisch in die
Zeit vor 1933, das dritte Reich, die Verlagspolitik nach dem zweiten Weltkrieg
und die anschließende Expansion. Dabei scheut er auch vor heiklen Punkten
keineswegs zurück.
Die
anschließende Darstellung der großen Rechtsgebiete und dafür exemplarischer
Werke beginnt mit dem bürgerlichen Recht. Hierfür behandelt Uwe Diederichsen
den allgemeinen Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Manfred Wolf das allgemeine
Schuldrecht, Michael Martinek die vertraglichen Schuldverhältnisse, Gerhard
Wagner die gesetzlichen Schuldverhältnisse, Andreas Thier das Sachenrecht,
Dieter Schwab das Familienrecht, Dieter Leipold das Erbrecht und Andreas
Heldrich das internationale Privatrecht. Helmut Heinrichs stellt den unter dem
Namen Otto Palandt erfolgreich vermarkteten Kurzkommentar zum Bürgerlichen
Gesetzbuch vor, Franz Jürgen Säcker den vielbändigen Münchener Kommentar zum
Bürgerlichen Gesetzbuch, Claus Canaris das von Karl Larenz begründete Lehrbuch
des Schuldrechts und Johannes Wasmuth Heinrich Schönfelders Deutsche Gesetze.
Als
Wirtschaftsrecht werden Handelsrecht und Immaterialgüterrecht zusammengefasst.
Dabei äußert sich Reinhard Richardi über das Handelsrecht, Holger Fleischer
über das Gesellschaftsrecht, Hans-Peter Schwintowski über das Versicherungs-
und Bankrecht, Helmut Köhler über das Lauterkeitsrecht und Ulrich Loewenheim
über das Immaterialgüterrecht. Den von Adolf Baumbach begründeten Kommentar zum
Handelsgesetzbuch behandelt als jetziger Bearbeiter Klaus Hopt, den von Erich
Prölss initiierten Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz Jürgen Prölss.
Für
das Arbeitsrecht insgesamt kommt Reinhard Richardi nochmals zu Wort und kann
dann auch über seinen Kommentar zum Betriebsverfassungsgesetz berichten. Das
von Wolfgang Zöllner geschaffene Lehrbuch zum Arbeitsrecht präsentiert
ebenfalls der Urheber. Die Entwicklung des Sozialrechts insgesamt zeigt Bernd
Schulte auf, während Ernst Otto Krasney den Kasseler Kommentar zum
Sozialversicherungsrecht und Jens Meyer-Ladewig seinen Kommentar zum
Sozialgerichtsgesetz beschreibt.
Es
folgen Zivilverfahrens- und Insolvenzrecht. Für diesen Bereich erörtern
Burkhard Hess und Marcus Mack das Zivilprozessrecht und Rolf Stürner das
Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht sowie das Kostenrecht. Hervorragende
Verlagserzeugnisse sind hier der Kommentar zur Zivilprozessordnung von Heinz
Thomas und Hans Putzo (Klaus Reichold) und der Kommentar über das Gesetz über
die freiwillige Gerichtsbarkeit von Fritz Keidel/Joachim Kuntze/Karl Winkler
(Karl Winkler).
Als
Kriminalwissenschaften sind Strafrecht (Kristian Kühl), Strafverfahrensrecht
(Andreas Hoyer) und Kriminologie (Heinz Schöch) zusammengefasst. Bei den
Einzelwerken steht das materielle Strafrecht im Vordergrund, wobei Claus Roxin
seinen allgemeinen Teil des Strafrechts vorstellt und Herbert Tröndle den von
Otto Schwarz ins Leben gerufenen und Albin Eser den von Adolf Schönke und Horst
Schröder geschaffenen Kommentar zum Strafgesetzbuch behandeln. Lutz
Meyer-Goßner erläutert die Geschichte des nach (Otto Schwarz und später)
Theodor Kleinknecht benannten Kommentars zur Strafprozessordnung.
Verhältnismäßig
eng gefasst wird das öffentliche Recht. Zu ihm werden Verfassungs- und
Verfassungsprozessrecht (Walter Pauly), allgemeines Verwaltungs- und
Verwaltungsprozessrecht (Andreas Voßkuhle) und die drei besonderen Gebiete
öffentliches Baurecht (Rainer Wahl), Umweltrecht (Helmuth Schulze-Fielitz) und
das Gewerberecht (Reiner Schmidt) zusammengezogen. Herausragende Werke sind
hier der Grundgesetzkommentar Theodor Maunzs und Günter Dürigs (Peter Lerche),
die Verwaltungsgerichtsordnung Ferdinand Kopps (Rüdiger Schenke) und der
Kommentar zum Baugesetzbuch von Ulrich Battis/Michael Krautzberger/Rolf-Peter
Löhr (Krautzberger).
An
das öffentliche Recht werden Völkerrecht und Europarecht angeschlossen. Das
Völkerrecht behandelt der im Personenregister anscheinend fehlende Rüdiger
Wolfrum, das Europarecht Christian Calliess. Besondere Werke sind hier nicht
verzeichnet.
Erst
nach der Welt und Europa folgt vielleicht im Sinne von libri terribiles kurz
vor Ende der die gesamte Rechtswissenschaft umspannenden Übersicht das Steuerrecht.
Seine Entwicklung wird von Klaus Ebling dargestellt. Besonders hervorgehoben
wird der führende Kommentar zum Einkommensteuergesetz (Ludwig Schmidt), die
Sammlung der Doppelbesteuerungsabkommen durch Rudolf Korn/Georg Dietz/Helmut
Debatin/FranzWassermeyer (Wassermeyer) und der Beck’sche Bilanz-Kommentar (Wolf
Müller).
Am
Ende steht die Grundlagenwissenschaft Rechtsgeschichte, zu der das gesamte Werk
einen wichtigen und interessanten Beitrag leistet. Er ist Barbara Dölemeyer vom
Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt am Main
anvertraut, so dass nicht unerwartet auf die Verdienste Helmut Coings besonders
hingewiesen werden kann. Naheliegenderweise behandelt hier Michael Stolleis
seine grundlegende, einbändig geplante aber nach drei Bänden noch bis zur
Gegenwart fortsetzbare Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland.
Zum
Schluss kommen auch neuere Entwicklungen besonders zu Wort. Von diesen sind für
Verleger und Publikum naturgemäß die elektronischen Medien (Thomas Hoeren)
besonders wichtig, die zum Buch etwa in dem gleichen Verhältnis stehen wie das
Buch zur Handschrift vor mehr als 500 Jahren. Zwar kennt niemand die Zukunft,
doch hat sich der Verlag für die wahrscheinlichen elektronischen Möglichkeiten
bereits so gut, wie dies derzeit möglich ist, gerüstet.
Das
Geburtstagskind selbst berichtet ziemlich offen über neuere Entwicklungen des
Verlagsunternehmens und bedankt sich dabei ausführlich bei den vielen loyalen
Mitarbeitern, die ihm seine Erfolge ermöglicht haben. Zuvor schildert es
freimütig die insgesamt erfolgreichen Aktivitäten in Warschau, Prag und
Bukarest, den Erwerb der Verlage Helbing & Lichtenhahn, Nomos und Kommunal-
und Schul-Verlag sowie die besonderen Entwicklungen im privaten Baurecht, im
Insolvenzrecht und in der Rechtsanwaltsliteratur. Die gegenwärtige Marktlage
ist zwar von Stagnation, aber auch von wahrscheinlicher Weiterentwicklung durch
Differenzierung, Akademisierung und Prosperität gekennzeichnet, die Elektronik
vielleicht nur eine Ergänzung, von der auf absehbare Zeit vermutlich keine
existentielle Bedrohung der auch noch auf Papier setzenden Verlage ausgeht.
Am
Ende steht ein von Achilles bis Zuleeg reichendes, etwa 1500 Persönlichkeiten
erwähnendes Personenregister, das sich wie ein heimliches Who is who der
deutschen Rechtswissenschaft des 20. Jahrhunderts liest und fast alle
verzeichnet, die im Werk genannt werden und dadurch aus der Sicht des Verlags
und seiner Mitarbeiter anerkanntermaßen Bedeutung in der Rechtswissenschaft und
für die Rechtswissenschaft des 20. Jahrhunderts haben (z. B. Adolf Baumbach,
Hans Dieter Beck, Heinrich Beck, Claus-Wilhelm Canaris, Karl Larenz, Wolfgang
Lauterbach, Hans Carl Nipperdey, Otto Schwarz, aber als Gegenbeispiele auch
Roland Freisler und Reinhard Höhn). Es lässt erahnen, welche einfallsreiche
Autoren der erfolgreiche Unternehmer gesucht und gefunden hat und welche
einfallsreiche Autoren durch die Zusammenarbeit mit dem begnadeten Unternehmer
und dem ihn umgebenden bedeutsamen Netzwerk Förderung und Bekanntheit erlangten
und erlangen. Möge der Verleger weit über das nächste, bereits unmittelbar
bevorstehende Jubliläum des Verlags hinaus seine wichtigen Aufgaben erfüllen
und seine erhofften Ziele zu seinem und aller Wohle erreichen.
Innsbruck Gerhard
Köbler