Ranieri, Filippo, Juristen für Europa. Voraussetzungen und Hindernisse für ein „europäisches“ juristisches Ausbildungsmodell (= Münsteraner Studien zur Rechtsvergleichung 122). Lit, Münster 2006. 96 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Filippo Ranieri verwirklicht den europäischen Gedanken höchstpersönlich in seinem Leben. Deswegen hat er sich ihm bereits in vielen Arbeiten verschrieben. Nun befasst er sich mit einem Juristenausbildungsmodell für ein besseres Europa.
Unmittelbarer Hintergrund der Veröffentlichung ist ein Vortrag des Verfassers in Münster. Mittelbare Ursache ist ein von der Fritz Thyssen-Stiftung gefördertes mehrjähriges Forschungsprojekt. Dessen Ergebnisse legt der Verfasser hier vor.
Ausgangspunkt dafür ist das Zusammenwachsen bisher vieler europäischer Staaten in europäischen Gemeinschaften, europäischer Gemeinschaft und europäischer Union während der letzten fünfzig Jahre. Dafür gibt es eine primärrechtliche Grundlage. Daraus ist bereits so viel sekundäres europäisches Gemeinschaftsrecht erwachsen, dass sich spätestens seit der Dienstleistungsrichtlinie des Jahres 1977 die juristischen Berufe in Europa – vor allem die Rechtsanwaltschaft – so sehr internationalisieren, dass sich seit etlichen Jahren eine europäische Juristenausbildung als Aufgabe und Herausforderung stellt.
Zu ihrer Bewältigung hält der Verfasser als Rechtshistoriker zu Recht die Erfassung des historischen Hintergrundes für unverzichtbar. Deswegen stellt er die deutsche gemeinrechtliche Tradition der praktischen Jurisprudenz, die Tradition des Rechtsunterrichts an den napoleonischen facultés de droit und die von beiden abweichende Tradition der angelsächsischen nichtakademischen Ausbildung dar. Damit sind sicherlich die wichtigsten europäischen Juristenausbildungswege erfasst.
Dem folgen Juristenausbildung und Rechtsprofessionen in Europa heute. Nach einem vergleichenden Überblick untersucht der Verfasser die Struktur der universitären Ausbildung in Frankreich, Belgien, Italien, Spanien, den Niederlanden, der Schweiz, England, Wales, Schottland, Irland, Österreich und Deutschland. Danach erfasst er den Zugang zu den juristischen Professionen in diesen Staaten bzw. Gebieten.
Das vierte Kapitel ist den Unterrichtsmethoden und Prüfungsformen im heutigen Europa gewidmet. Es geht von deren historischem Hintergrund aus und zeigt dann die Transformation und die Annäherung der historischen Unterrichtsmodelle auf. Dabei werden die verschiedenen Veranstaltungsformen, Unterrichtsmethoden und Prüfungen detailliert dargelegt.
Auf dieser Grundlage beschreibt der Verfasser zwei Modelle einer europäischen Juristenausbildung. Die einfachere, gleichwohl infolge Förderung immer beliebtere Art ist das Austauschprogramm, das einen zeitlich begrenzten Zwischenaufenthalt in einer anderen Rechtsordnung vorsieht. Die aufwendigere Variante besteht in einem Parallelstudium mehrerer Rechtsordnungen, wie es für das deutsche und französische Recht in Saarbrücken, für das deutsche und polnische Recht in Frankfurt an der Oder sowie etwas allgemeiner von der Hanse Law School in Bremen, Oldenburg und Groningen angeboten wird, wobei der Verfasser im Vergleich nur das dritte Studienmodell als wirklich vernetzt und integriert einstuft.
Am Ende zeigt Ranieri den Weg zu einem europäischen Rechtsunterricht. Dabei geht er mit James Gorley davon aus, dass der induktive und diskursive Zugang der angloamerikanischen didaktischen Tradition am ehesten die Möglichkeit bietet, die Unterschiede an Lösungen, an Denkweisen und an rechtspolitischen Ansätzen fruchtbar in den Unterricht zu integrieren. Folge wäre ein Grundlagenstudium europäischer Prägung und Ausrichtung für Studenten unterschiedlicher geographischer Herkunft, zu dem ein besonderes nationales Zusatzstudium hinzutreten könnte, das in Deutschland auf die Referendarprüfung vorbereiten könnte.
Beispielhaft weist Ranieri in diesem Zusammenhang auf sein eindrucksvolles Lehrbuch zum europäischen Obligationenrecht als Lehrmittel hin, das aus seinen Vorlesungserlebnissen in Universitäten verschiedener europäischer Länder geboren worden ist. Die damit mögliche Europäisierung der Juristenausbildung sei Voraussetzung für ein Gelingen der europäischen Angleichung des Zivilrechts. Sie ist dem Verfasser zu Recht seit langem ein besonderes Anliegen.
Innsbruck Gerhard Köbler