Ranieri, Filippo, Das europäische Privatrecht des 19. und 20.
Jahrhunderts. Studien zur Rechtsgeschichte und Rechtsvergleichung (= Schriften
zur europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte 54). Duncker & Humblot,
Berlin 2007. 503 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Die meisten
Arengen
mittelalterlicher Urkunden weisen auf die Vergänglichkeit alles Irdischen und
die Notwendigkeit hin, rechtzeitig Vorsorge dagegen zu treffen. Wie das bloße
Wort im Raum verhallt, so wird auch Geschriebenes leicht vergessen, wenn es an
entlegener Stelle und verstreut veröffentlicht ist. Deswegen sorgt sich der
Weise bei Zeiten um sein Werk und legt es der Öffentlichkeit möglichst leicht
zugänglich vor.
Dies gilt auch für Filippo
Ranieri, den durch eine bilderbuchmäßig europäische Karriere ausgezeichneten
Saarbrücker Gelehrten. 1944 geboren in Mailand und 1967 promoviert in Pavia hat
er 1972 den Sprung an das Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte
gewagt und sich in Frankfurt am Main habilitiert. Über Straßburg, Mailand und
Rostock ist er 1995 nach Saabrücken gelangt. Stets hat ihn die europäische
Rechtsgeschichte besonders interessiert, weswegen er neben vielen bekannten
wegweisenden Monographien nun auch mit Unterstützung Elmar Wadles eine
ausgewählte, weitere Nachweise einschließende, in drei Themenbereiche geteilte Vielzahl
kleinerer und größerer Beiträgen versammeln kann, die er während der
vergangenen drei Jahrzehnte auf dem Gebiet der Geschichte und des
Strukturvergleichs des kontinentaleuropäischen Privatrechts veröffentlichte.
Unter dem Thema die
kontinentale Rechtskultur als gegenseitiger Rezeptions- und Befruchtungsprozess
vereint der erste Teil elf Beiträge. Sie betreffen etwa Rezeption und
Assimilation ausländischer Rechtsprechung, le traduzioni e le annotazioni di
opere giuridiche straniere nel secolo XIX oder französisches Recht und
französische Rechtskultur in der deutschen Zivilrechtswissenschaft heute. Es
geht aber auch um so wichtige Fragen wie die Lehre der abstrakten Übereignung
in der deutschen Zivilrechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts, die Rechtsvergleichung
und das deutsche Zivilrecht im 20. Jahrhundert oder l’influence du Code
civil sur les codifications du 19e siècle.
Die sieben Arbeiten des zweiten
Teils haben nationale Juristenausbildung und europäische Rechtskultur zum
Gegenstand. Hier stehen der europäische Jurist, der Jurist für Europa oder die
giuristi per l’Europa im Mittelpunkt. Als wichtige Segmente erfahren aber auch
juristische Rhetorik, Relationstechnik und Richterbild eigene Skizzen.
Den acht Beiträgen im dritten
Teil geht es besonders um die Rechtsprechung und das Zivilrecht. Hier werden
etwa die publizierte europäische Rechtsprechung und ihre Quellen zwischen 1800
und 1945 behandelt, die judiziellen Präzedenten in England und auf dem
Kontinent miteinander verglichen oder unterschiedliche styles judiciaires
einander gegenübergestellt. Institutionell geht es um bona fides und stillschweigende Willenserklärung, bonne foi et
exercice du droit , l’eccezione de dolo
oder um kaufrechtliche Gewährleistung und Irrtumsproblematik, doch wird hier
auch das Reichskammergericht mit dem gemeinrechtlichen Ursprung der deutschen
zivilrechtlichen Argumentationstechnik einbezogen.
Allen Untersuchungen liegt,
wie Ranieri selbst zusammenfassend ausführt, die Überzeugung zu Grunde, dass
das kontinentaleuropäische Privatrecht, vor allem Deutschlands, Frankreichs und
Italiens, in seiner Geschichte, aber auch in seiner Gegenwart eine kulturelle
Einheit darstellt, zu deren zeitlicher Erschließung die Rechtsgeschichte und zu
deren räumlicher Erfassung die Rechtsvergleichung besonders berufen sind. Nur
auf diesem Wege werde, nach dem Vorbild des großen Rechtshistorikers,
Rechtsvergleichers und Rechtsdogmatikers Savigny, das große Projekt eines
angeglichenen europäischen Privatrechts kulturell und rechtspolitisch auf den
Weg gebracht werden. Diesen kulturellen Bildungsauftrag von Rechtsgeschichte
und Rechtsvergleichung erfüllen außer den großen Monographien auch die
kleineren, durch ein Sachwortverzeichnis zusätzlich erschlossenen Arbeiten
Filippo Ranieris, der nicht zuletzt als Dogmatiker des europäischen
Obligationenrechts erfolgreich hervorgetreten ist, in beeindruckender Weise.
Innsbruck Gerhard
Köbler