Polizei, Recht und Geschichte. Europäische Aspekte einer wechselvollen Entwicklung. Beiträge des 14. Kollegiums zur Polizeigeschichte, hg. v. Gebhardt, Helmut (= Grazer rechtswissenschaftliche Studien 60). Grazer Universitätsverlag/Leykam, Graz 2006. 178 S. Besprochen von Andreas Roth.

 

Wie der Titel bereits andeutet, hat der Band, der aus einer in Graz im Jahre 2003 gehaltenen Tagung hervorgegangen ist, sehr unterschiedliche Themen aus etwa 200 Jahren Polizeigeschichte zum Inhalt; die Beiträge sind chronologisch gegliedert sind und haben einen Schwerpunkt im 19. Jahrhundert. Einleitend zeigt Alf Lüdtke, wie wechselhaft das Bild des Polizisten in den letzten gut 200 Jahren gewesen ist, wobei die beiden Gegensätze, der eingreifende Staatsdiener auf der einen Seite und der helfende Schutzmann auf der anderen, ständig begegnen. Auch die wechselvollen Forschungsperspektiven, von der Institutionengeschichte über den Ansatz Foucaults bis hin zur Geschichte der Praxis werden skizziert. Für die heutige Zeit werden Tendenzen hin zum Überwachungsstaat und zu einer Rückkehr zur Gewalt ausgemacht.

 

Mehrere Autoren widmen sich der österreichischen Polizeigeschichte. Der Herausgeber Helmut Gebhardt schildert zunächst die Gründung der österreichischen Polizei unter Maria Theresia und ihren Ausbau – am Pariser Vorbild orientiert – unter Joseph II. Die damalige Modernisierung bestand vor allem darin, dass nunmehr – dem allgemeinen Gleichheitssatz gehorchend – auch gegenüber adligen Personen eingeschritten werden konnte. Als zweites Standbein wurde 1848 die Gendarmerie gegründet, die an der Stelle der Grundherrschaften nunmehr für die öffentliche Sicherheit zuständig sein sollte und darüber hinaus zur Unterstützung der Justiz unmittelbar die Recherchen übernehmen sollte. Ein Gesetz von 1850 führte schließlich rechtsstaatliche Grundsätze in das Ermittlungsverfahren ein. Die polizeiliche Strafgewalt in Österreich (Franz Weisz) erfuhr in den 1850-Jahren eine langsame Ausdehnung, wobei die selbständige Stellung der Polizei auch darin zum Ausdruck kommt, dass sie nicht Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft war, sondern autonom fungierte. Die Gesetze von 1862 und 1873 schränkten die Befugnis zu polizeilichen Strafen ein, die 1925 dann allerdings wieder eingeführt wurde. Die Bewaffnung der österreichischen Polizei zwischen 1918 und 1938 (Heinz Placz) wurde zum einen ausgelöst durch eine Großdemonstration im Jahre 1927 und war zum anderen bedingt durch die wachsende Bedrohung, die von Seiten der Nationalsozialisten in den 30er-Jahren ausging.

 

Neben Österreich werden auch die Schweiz, Preußen, Ungarn und die Niederlande behandelt: Christoph Ebnöther schildert die Gründung des Zürcher Landjägerkorps im Jahre 1804 als Reaktion auf den sogenannten Bockenkrieg, einen großen Aufstand in der Stadt. Die Modernisierung bestand darin, dass nunmehr eine Polizei das Militär ersetzte, andererseits war die Maßnahme eine Frucht der Restauration und motiviert als Maßnahme gegen revolutionäre Aktionen. Die Gründung des Budapester Detektivkorps (Ferenc Csóka) erfolgte 1885 als Reaktion auf eine Reihe von Skandalen und Vorfällen, in denen sich die Polizeiwachmannschaft als überfordert gezeigt hatte. Die Ausführungen Philipp Müllers zur preußischen Polizeiaufsicht im Kaiserreich orientieren sich stark am Fall des Schuhmachers Voigt, bekannt durch das Theaterstück „Der Hauptmann von Köpenick“; die Aufsicht konnte letztlich ihre Funktionen nicht erfüllen, weder was die öffentliche Sicherheit anging noch sozial-fürsorgerisch hinsichtlich einer Reintegration. – Die polizeiliche Entwicklung in den Niederlanden während des Ersten Weltkriegs (Ronald van der Wal) ist dadurch gekennzeichnet, dass die Verantwortung für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zunehmend vom Militär übernommen wurde.

 

Insgesamt drei Beiträge sind der personellen Entwicklung in der NS-Zeit gewidmet: Nach Gernod Fuchs war bei der Salzburger Gendarmerie nur ein geringer Anteil an nationalsozialistisch gesinnten Beamten vertreten, und im Rahmen der Entnazifizierung waren alle bis 1946 wieder entlassen, so dass die These, die Gendarmerie sei nationalsozialistisch unterwandert, unrichtig sei. Thomas Mangs Thema ist die Gestapo-Leitstelle Wien, in der alle Schlüsselstellen in dieser Zeit von Juristen besetzt waren; insgesamt waren in dieser Institution sogar dreißig Juristen tätig, was deutlich überproportional gewesen sei. Alfons Kenkmann bringt Beispiele für die Verhaltensalternativen von Polizisten, die bei Gräueltaten von Nationalsozialisten beteiligt/zugegen waren, und zeigt die unterschiedlichen Verarbeitungsmuster nach 1945 auf; er plädiert für eine stärkere Beschäftigung mit der Geschichte des Erzählens und Erinnerns. – Die letzten beiden Aufsätze führen in die Nachkriegszeit, der eine nach Bremen zur Bekämpfung des Schwarzmarktes (Stefan Mörchen), wobei hier die Legitimität des behördlichen Vorgehens in Frage gestellt wurde („verwilderte Gesetzgebung“ – K. S. Bader); deshalb versuchte die Polizei – meist vergeblich – zielgenau die kriminellen Elemente von den aus Not Handelnden zu selektieren. Mehr Erfolg versprachen Großrazzien, wohl auch wegen ihrer Schockwirkung auf die Käuferschicht. Ein Beitrag, der die Taxifahrerblockade in Budapest 1990 beschreibt (Lászlo Kósa), beschließt den Band.

 

Wegen der Heterogenität der Beiträge, die zum Teil ganz ohne Nachweise auskommen, fällt ein Fazit schwer: Auf jeden Fall enthält das Buch eine Reihe interessanter Informationen zur Polizeigeschichte in Europa, etwas zu kurz kommen die übergeordneten Aspekte und die Einordnung der Erkenntnisse in den größeren Zusammenhang.

 

Mainz                                                                                                            Andreas Roth