Pohlmann, Jörg, Entstehung, Rechtsträgerschaft und Auflösung der
juristischen Person. Dogmengeschichtliche Betrachtungen im Vorfeld des
BGB-Vereinsrechts 1900 (= Europäische Hochschulschriften 2, 4491). Lang,
Frankfurt am Main 2007. 221 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Die
Arbeit ist die von Günter Christian Schwarz und nach dessen Tod von Jürgen
Weitzel betreute, im Sommersemester 2006 von der Würzburger juristischen
Fakultät angenommene Dissertation des Verfassers. Sie beginnt mit einem
französischen Vorspruch Friedrich Nietzsches, einem Zitat aus dem Gedicht des
Magister Ludi Josef Knecht in Hermann Hesses Glasperlenspiel und einem in
französischer Sprache gehaltenen Vorwort. Darin dankt der einstige Assistent
Günter Christian Schwarz, qui m’a permis d’élagir (!) mes connaissances, was
sich sicher auf Deutsch einfacher und fehlerfreier hätte sagen lassen, und
bedauert die Gefahr des Verlusts der geschichtlichen Grundlagen durch die raschen
Fortschritte des europäischen Rechts, wogegen er mit seiner Arbeit ankämpfen
möchte.
Ziel
der Untersuchung ist es, Grundfragen zum Recht der juristischen Person in ihrer
dogmengeschichtlichen Entwicklung darzustellen und so die Grundlagen des gegenwärtig
einschlägigen Zivilrechts zu klären und offen zu legen. Im Einzelnen geht es um
die staatliche Mitwirkung bei der Entstehung und der Auflösung der juristischen
Person sowie um die Rechtsträgerschaft bzw. Vermögenszuordnung nach Entstehung
und Auflösung. Zu diesem Zweck untersucht der Verfasser das Zivilrecht vom
Codex Maximilaneus Bavaricus civilis von 1756 bis zum Bürgerlichen Gesetzbuch
von 1900, wobei er mit Rücksicht auf die Grundlagen dieser Rechtsquellen das
wissenschaftliche Recht, nämlich das Pandektenrecht, die naturrechtlichen
Lehren und das deutsche Recht in die Betrachtung einbezieht.
Vorweg
schildert er kurz den Forschungsstand, in dem er trotz der Untersuchungen
Wiedemanns, Köglers, Vormbaums, Söhnchens, Mummenhoffs und Albrechts eine Lücke
für seine besondere Fragestellung ermittelt. Danach betrachtet er
Begrifflichkeiten und meint damit hauptsächlich Personenvereinigung,
Personenverband oder Verband und individualistische Eigenschaften einer
Personenvereinigung oder eines Personenverbandes. Juristische Person,
moralische Person, Körperschaft, Korporation, Verein, für den der Verfasser auf
die Belege des deutschen Rechtswörterbuchs eingeht, und Genossenschaft sind
organisierte Personenvereinigungen (Personenverbände), societas, Gesellschaft des bürgerlichen Rechts, einfache
Gesellschaft nicht organisierte Personenvereinigungen.
Im
zweiten Teil untersucht der Verfasser für seine vier Sachprobleme das
wissenschaftliche Recht zwischen 1730 und 1900 und zwar nacheinander das
Pandektenrecht, das deutsche Privatrecht und das Naturrecht. Danach wendet er
sich in vier Teilen der Gesetzgebung im Allgemeinen Landrecht Preußens von
1794, im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch Österreichs von 1811 und
bayerischen Zivilrechtsentwürfen sowie im Code civil Frankreichs von 1804, in
der Zeit zwischen 1840 und 1866, in der Zeit um 1870 und in der Zeit 1874 bis
1900 zu. Streng chronologisch geht er dabei nicht wirklich vor.
Im
Ergebnis gelangt er zu der Feststellung, dass die Gesetzgebung zum
Personenverband des allgemeinen Zivilrechts ihre Grundlage im Pandektenrecht
hatte, demgegenüber das deutsche Recht und das Naturrecht keine Bedeutung
hatten, obgleich den Naturrechtsgesetzbüchern einen grundsätzlichen
Ausnahmecharakter gehabte hätten, ohne dass sie aus der Entwicklung völlig
herausgefallen seien.
Die
Begrifflichkeiten zum Personenverband haben nach dem Verfasser ihren Ursprung
im Pandektenrecht, wobei die Gesetze und Entwürfe aus der Zeit zwischen 1840
und 1866 die juristische Person aufgegriffen hätten, für die der Verfasser
erste Belege 1807 und 1809 sieht. Erkennbar sei eine Tendenz von den
öffentlichen Verbänden der Naturrechtsgesetzbücher zu den privatrechtlichen
Vereinigungen zu idealen Zwecken im Bürgerlichen Gesetzbuch von 1900. Die
Einordnung des Verbandes in das allgemeine Personenrecht habe mit der persona moralis der Naturrechtslehre und
der Naturrechtsgesetzbücher begonnen und mit dem Dualismus von natürlicher und
juristischer Person als rechtsfähigen Personen des Bürgerlichen Gesetzbuchs geendet.
Die
Naturrechtsgesetzbücher hätten nicht zwischen der öffentlichen Erlaubnis und
der Verleihung der Rechte einer moralischen Person unterschieden, während die
Gesetzgebung um 1840 eine Unterscheidung zwischen Erlaubnis bzw. Erlaubtheit
und der Verleihung der der juristischen Persönlichkeit eingeführt habe. In den
Naturrechtsgesetzbüchern hätten die Verbände durch öffentliche Erlaubnis die
Rechte der moralischen Person erworben, während später die (nicht verbotenen)
Verbände durch Verleihung der Rechte der juristischen Person zur juristischen
Person geworden seien. Zunächst sei die Entstehung eines Verbandes von einer
staatlichen Ermessensentscheidung (Konzession, Genehmigung) abhängig gewesen,
danach von einem gerichtlichen Mitwirkungsakt bei Erfüllung gesetzlicher
Voraussetzungen, wobei das Bürgerliche Gesetzbuch für bestimmte Vereine eher
wieder rückschrittlich gewesen sei.
Im
Gegensatz zum deutschen Recht, zur Naturrechtslehre und zu den
Naturrechtsgesetzbüchern sei im Pandektenrecht und in der Zivilgesetzgebung ab
1840 die juristische Person ein von den Mitgliedern völlig gelöstes
Rechtssubjekt. Während die Naturrechtsgesetzbücher nur ein staatliches
Aufhebungsrecht gekannt hätten, sei später der Personenverband mit dem Entzug
der Rechtsfähigkeit aufgelöst worden und erst um 1870 das öffentlich-rechtliche
Verbot als Auflösungsgrund in die Privatrechtsgesetzgebung einbezogen worden.
Rechtsfolge der Auflösung sei aber der Wegfall des Verbandes als Rechtssubjekt
geblieben.
Hinsichtlich
der Rechtsträgerschaft nach Auflösung habe das Allgemeine Landrecht als erstes
Gesetz ausdrücklich den Übergang der Schulden auf den Staat festgelegt. Die
folgende Gesetzgebung habe den Anfall des Restvermögens nach Schuldtilgung
vorgesehen. Um 1870 sei das Fortbestehen des Verbandes nach Auflösung zum Zweck
der Liquidation vorgesehen worden, womit von dem Pandektenrecht abgewichen
worden sei.
Der
Untersuchung folgt ein Verzeichnis der gedruckten und ungedruckten Quellen und
Materialien. Im Literaturverzeichnis werden Artikel des Handwörterbuchs zur
deutschen Rechtsgeschichte eigens ausgewiesen. Möge es den Ausführungen des
Verfassers gelingen, die deutsche Vergangenheit der juristischen Person der
europäischen Zukunft fruchtbar zu machen.
Innsbruck Gerhard
Köbler