Nolte,
Jakob, Demagogen und Denunzianten. Denunziation und
Verrat als Methode polizeilicher Informationserhebung bei den politischen
Verfolgungen im preußischen Vormärz (= Schriften zur Rechtsgeschichte 132).
Duncker & Humblot, Berlin 2007. 554 S. Besprochen von Lukas Gschwend.
Das
Thema der Denunziation stößt seit 1990 zunehmend auf das Interesse der
Geschichtswissenschaft. Die Forschung beschränkt sich keineswegs auf
zeitgeschichtliche Perspektiven. Auch innerhalb der Rechtsgeschichte geinnt das
Phänomen zunehmende Beachtung. Während Arnd Koch in seiner
Habilitationsschrift Denunciatio. Zur Geschichte eines strafprozessualen
Rechtsinstituts (Frankfurt: Klostermann, 2006) einen über 600 Jahre hinaus gespannten
historisch-dogmatischen Forschungsansatz wählte, präsentiert Jakob Nolte eine
breit angelegte qualitative Analyse des Themas im Kontext der Demagogenverfolgung
im Vormärz (1819-1838) unter besonderer Berücksichtigung der Situation in Preußen.
Die Studie wurde im Sommersemester 2004 von der Juristischen Fakultät der
Humboldt-Universität zu Berlin als Dissertation angenommen.
Noltes
Arbeit umfaßt einerseits eine Analyse des strukturellen Denunziationsangebots,
andererseits werden anhand von Fallstudien verschiedene Erscheinungsformen der
Denunziation im preußischen Vormärz vorgestellt und untersucht. Der Autor
möchte von der durch die Erfahrungen in den totalitären Systemen des 20.
Jahrhunderts äußerst negativ konnotierten Bedeutung der Denunziation als
Unrechtsmethode Abstand nehmen und aufzeigen, dass diese „integraler
Bestandteil jeder Herrschaft und eine Machttechnik im herrschaftlichen Gefüge“
darstellt (S. 20). Recht, Rechtswirklichkeit sowie Herrschafts- und
Rechtspraxis sollen im rechtshistorischen Umfeld der Denunziation für die
Epoche des Vormärz’ untersucht werden. Die Studie beschränkt sich dabei
keineswegs auf rechtshistorische Aspekte, sondern geht weit über das Problem
der Denunziation im polizeilichen Ermittlungsverfahren und im Strafprozess
hinaus. Die Formen der Denunziation werden vielmehr in der komplexen
Gemengelage der Institutionalisierung polizeistaatlicher Gewalt im
Modernisierungsprozess der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erforscht und
rekonstruiert. Auf eine semantisch-analytische Einführung, welche den
Denunziationsbegriff der interdisziplinären Fragestellung durchaus adäquat mehr
kommunikations- und herrschaftstheoretisch umreißt als rechtlich definiert,
folgen sauber erarbeitete Darstellungen der Entwicklung der politischen
Opposition seit den Napoleonischen Kriegen in Preußen sowie des damaligen
Aufbaus der Verfolgungsbehörden. Im Zuge der Umsetzung der Karlsbader
Beschlüsse wurden nach 1819 nicht nur eigene politische Polizeibehörden
geschaffen, sondern auch eigene Untersuchungsstellen an den Universitäten eingerichtet,
welche die politischen Aktivitäten der Studierenden zu überwachen hatten.
Es
folgen detaillierte Ausführungen über die Denunziation im Methodengefüge
polizeilicher Informationserhebung. Die politische Polizei nahm nach 1819 nicht
nur sicherheitspolizeiliche, sondern zunehmend auch strafverfolgende Funktionen
wahr. Ziel war die Verhinderung politischer Aktivitäten innerhalb der
Bevölkerung, insbesondere der akademischen Jugend. Von der Basis ausgehendes
politisches Engagement wurde in der staatlichen Wahrnehmung mit einem hohen
Gefahrenpotential verbunden (Hochverrat), so dass eine Einschränkung der Rechte
der Untertanen durch Erweiterung der polizeilichen Handlungsspielräume in der
Sicht der aufkommenden Polizeirechtswissenschaft als gerechtfertigt erschien.
Die Denunziation als polizeiliche Informationsmethode entsprach nicht der alten
strafprozessualen Bedeutung im Sinne einer Strafanzeige. Nicht die Einleitung
eines Strafverfahrens, sondern die Beschaffung von Informationen über die
politische Opposition stand im Vordergrund. Allfällige Justizverfahren wurden
von der politischen Polizei als faktische Anklagebehörde eingeleitet, auf die
Mitwirkung der ursprünglichen Denunzianten als Zeugen wurde regelmäßig verzichtet.
Mit
Johann Ernst Theodor Janke wurde bereits 1812 ein als V-Mann für die preußische
Regierung wirkender Denunziant aktenkundig. Am Beispiel der Spitzel Johannes
Ferdinand Wit von Dörring und Ludwig Lessing untersucht Nolte jeweils für den
Zeitraum der ersten Demagogenverfolgung nach 1819 bzw. für die zweite
Verfolgungswelle nach 1830 Werdegang, Motive, Methoden, soziale Vernetzung,
Verhältnis zur Obrigkeit sowie die Folgen der Denunziationen für die
Denunzianten. Ludwig Lessing wirkte als von Preußen finanzierter Lockspitzel in
Bern und Zürich, wo er die lokale Szene der politischen Emigranten ausspionierte
und regelmässig nach Berlin berichtete. Die Berichte wurden für den
innerbehördlichen Verkehr anonymisiert und weitergeleitet. Es erfolgte eine
kontinuierliche Professionalisierung der Spitzeltätigkeit.
Die
folgenden Kapitel befassen sich mit Denunziationen aus Studentenkreisen und solchen
von Lehrern und Professoren. Sodann untersucht Nolte das Phänomen
selbstbekennender Denunzianten, deren Selbsterkenntnisse er sehr aussagekräftig
im Gefüge des zeitgenössischen Normgeltungsdiskurses über Staat und Freiheit
einordnet. Es folgen Ausführungen über Motive und Kommunikationsformen außeruniversitärer
Denunziationen, erfolglose und anonyme Denunziationen sowie ein Schlusskapitel
über Denunziationen im öffentlichen Machtkampf.
Abschließend
stellt der Autor fest, die Denunziation bilde eine durch das Ineinandergreifen
von staatlichen und gesellschaftlichen Strukturen geschaffene Schnittstelle
zwischen Obrigkeit und Gesellschaft, wo formelle und informelle Herrschafts-
und Kontrollmechanismen wirksam werden. Die präventive Orientierung der
politischen Polizei verdrängte angesichts der geltend gemachten Staatsbedrohung
zunehmend die strafprozessualen Vorgaben der liberal konstituierten, repressiv
wirkenden Justiz. Eine „Denunziationsgesellschaft“ wie im Dritten Reich oder
der Deutschen Demokratischen Republik habe es in Preußen jedoch nie gegeben,
obschon Denunziationen für die Arbeit der politischen Polizei von erheblicher
Bedeutung waren. Der Einbezug breiter Kreise der Bevölkerung in die
polizeiliche Ermittlungsarbeit führte, so das eindrückliche Fazit, zu einem
paradoxen Ergebnis: Die Arbeit der politischen Polizei sollte ursprünglich die
Mitsprache der Bevölkerung, wie sie von den verfolgten oppositionellen Kreisen
gefordert wurde, bekämpfen. „Durch das strukturelle Denunziationsangebot wurde
genau das Verhalten gefördert, das eigentlich bekämpft werden sollte, nämlich
die aktive politische Teilnahme der Untertanen am Staatsgeschehen“ (S. 494).
Der
Autor stellt verschiedentlich aufschlussreiche Bezüge her zur Bedeutung der
Denunziation in den polizeistaatlichen Systemen des Nationalsozialismus und des
DDR-Staates im 20. Jahrhundert und zeigt damit sehr deutlich die modernen
Wurzeln dieser problematischen Formen polizeilicher Informationserhebung. Sie
lassen sich keineswegs als historisch zeitgleich eingrenzbare Verirrungen
totalitärer Systeme erklären. So hat etwa die sogenannten „Fichenaffäre“ in der
Schweiz nach 1990 gezeigt, dass politisch motivierte, exzessive polizeiliche
Informationsbeschaffung unter Einbezug der Denunziation auch in einem
basisdemokratischen Rechtsstaat möglich ist.
Die
hervorragend recherchierte, methodisch solide und durch den Einbezug reichen
Aktenmaterials sehr aussagekräftige Studie bedient die Interessen und Ansprüche
von Rechts- und Fachhistorikern. Das Buch verkörpert in imposanter Darstellung
ein wichtiges Kapitel über die Entstehung des modernen Staates in Deutschland.
Sankt
Gallen Lukas
Gschwend