Naturrecht
– Spätaufklärung – Revolution, hg. v. Dann, Otto/Klippel, Diethelm (=
Studien zum achtzehnten Jahrhundert 16). Felix Meiner Verlag, Hamburg 1995.
VII, 303 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Vom
22. bis zum 24. November 1989 fand in der Herzog August Bibliothek in
Wolfenbüttel die durch die Stiftung Volkswagenwerk ermöglichte Jahrestagung
1989 der deutschen Gesellschaft für die Erforschung des 18. Jahrhunderts statt.
In den anschließenden beiden Jahren wurden die dortigen Beiträge für den Druck
erweitert und mit Nachweisen versehen. Die Gerda Henkel Stiftung sicherte die
Drucklegung des 1995 erschienenen Bandes, der 1997 gefundene sachkundige
Rezensent reichte aus Unvermögen fast ein Jahrzehnt später das Werk zurück, so
dass dem Herausgeber der Zeitschrift die Aufgabe wenigstens einer kurzen
Inhaltsangabe zufiel.
In
seiner knappen Einleitung behandelt der Kölner Neuzeithistoriker Otto Dann das
im Titel ausgedrückte Verhältnis aus der Spätzeit des Naturrechts, dessen
Fundierung auf die allen Menschen gemeinsame, ihnen mit ihrer Natur gegebene
Fähigkeit des Vernunftgebrauchs als politische Folge eine auf einen vertraglich
geregelten Zusammenschluss freier und gleicher Teilnehmer gegründete
Gesellschaft ermöglichte. Nach Jean Jacques Rousseaus 1762 gebotener Verbindung
der natürlichen Rechte der Menschen mit der Souveränität des Volkes erwuchs auf
dieser theoretischen Grundlage auch eine neue praktische Staatsverfassung, die
freilich die revolutionären Ziele der Aufklärung nicht tatsächlich
verwirklichte, so dass im frühen 19. Jahrhundert bereits eine Distanzierung von
der Aufklärung des 18. Jahrhunderts stattfinden konnte.
Die
sich an diese Grundlegung anschließenden 16 Referate gliedern sich in fünf
Gruppen. Ihrer ersten geht es um den internationalen Kontext. Zu diesem Zweck
untersucht Wolfgang Schmale das Naturrecht in Frankreich zwischen Prärevolution
und Terreur, Henry T. Dickinson The Rise and the Fall of the Theory of Natural
Rights in Late Eighteenth and Early Nineteenth Century Britain und Jürgen
Heideking The Law of Nature and Natural Rights – Die Positivierung von
Naturrecht im Amerika des ausgehenden 18. Jahrhunderts.
Theoretische
Dimensionen erörtern Klaus Luig (Die Wurzeln des aufgeklärten Naturrechts bei
Leibniz), Hans Erich Bödeker/Istvan Hont (Naturrecht, politische Ökonomie und
Geschichte der Menschheit. Der Diskurs über Politik und Gesellschaft in der
frühen Neuzeit) und Wolfgang Kersting (Der Kontraktualismus im deutschen
Naturrecht). Auf den naturrechtlichen Diskurs in Deutschland konzentrieren sich
Günter Birtsch (Naturrecht und Menschenrechte. Zur vernunftrechtlichen
Argumentation deutscher Jakobiner), Jürgen Wilke (Die Entdeckung von Meinungs-
und Pressefreiheit als Menschenrechte im Deutschland des späten 18.
Jahrhunderts), Ulrich Engelhardt (Frauenemanzipation und Naturrecht. Zur
normativen Vorbereitung der Frauenbewegung in der Spätaufklärung), Christof
Dipper (Natur und wirtschaftliche Reformen) und Kristian Kühl (Naturrechtliche
Grenzen strafwürdigen Verhaltens). Naturrecht in Literatur und Pädagogik spüren
Ulrich Herrmann (Natur- und Menschenrechte im Lichte von Erziehung und
Bildung), Friedrich Vollhardt (Naturrecht und schöne Literatur im 18. Jahrhundert)
und Hans Esselborn (Naturrechtsdenken in Jean Pauls Romanen) auf.
Am
Ende werden Kontinuität und Diskontinuität einander gegenübergestellt. Dabei
untersuchen Jan Schröder und Ines Pielemeier in 3000 Vorlesungsverzeichnissen
neunzehner Universitäten und damit etwa der Hälfte der Überlieferung Naturrecht
als universitäres Lehrfach des 18. und 19. Jahrhunderts und erfassen rund 4500
Naturrechtsvorlesungen seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, wobei
zwischen 1735 und 1864 der Anteil der Naturrechtsvorlesungen am
Gesamtlehrangebot der Philosophen von 13,2 auf 1,9 Prozent und der Juristen von
4,5 Prozent auf 1,9 Prozent sinkt (letzte Naturrechtsvorlesung 1900/1901 in
Leipzig), die Lehrveranstaltungen vielfach den Kompendien (nicht Thomasius’, Wolffs
oder Kants, sondern) weniger bekannter (zweitrangiger) Verfasser (Darjes,
Achenwall, Höpfner) folgen und das Naturrecht seit der ersten Hälfte des 19.
Jahrhunderts von der Rechtsphilosophie nicht verdrängt sondern ergänzt wird.
Diethelm Klippel weist am Ende des anregenden, durch Bibliographie und
Sachregister erschlossenen Bandes besonders darauf hin, dass im 19. Jahrhundert
Lehrbücher zu einzelnen Gebieten des geltenden Rechts nicht selten jeweils
einen grundsätzlich-rechtspolitischen Teil voranstellen und Naturrecht und
Rechtsphilosophie sich vor allem auch als Gesetzgebungswissenschaft verstehen.
Innsbruck Gerhard
Köbler